Ob postapokalyptische Wüsten oder überflutete Städte: Umwelt- und Naturkatastrophen sind seit langem Teil der Geschichten, die in Videospielen erzählt werden. Aber erst seit ein paar Jahren gibt es vermehrt Games, die sich mit Klimapolitik und Klimagerechtigkeit auseinandersetzen. Wir stellen fünf Spiele vor, in denen es nicht nur darum geht, ob eine Held:in gut recycelt, sondern die bewusst machen, dass es strukturelle und politische Handlungen gegen die Folgen der Erderhitzung braucht.
„Beyond Blue“ – Abtauchen in die Wissenschaft
Dieser nautische Tauchsimulator bringt nicht nur deinen Puls nach unten. Durch die Augen der Tiefseeforscherin Mirai kannst du in „Beyond Blue“ den Ozean erkunden und Ausschau nach Pottwalen und Schwellhaien halten. Das Spiel ist inspiriert von der BBC-Dokumentation „Blue Planet“ und wurde in Zusammenarbeit mit Dokumentarfilmer:innen und Wissenschaftler:innen produziert. Als Tiefseeforscherin kannst du mit futuristischer Technik ausgestattet scheinbar endlos durch den Ozean schwimmen. Wie bei einem klassischen Walking-Simulator steht dabei das Erkunden der Umgebung im Vordergrund. Du sammelst Proben und scannst bedrohte Arten, um den Bestand im Blick zu halten. Angesichts der beeindruckenden Begegnungen mit Walen und Delfinen steht die Geschichte des Spiels, die vor allem anhand von Dialogen mit den Kolleg:innen und Verwandten über dein Headset erzählt wird, im Hintergrund. Vielmehr bringt „Beyond Blue“ dir den Ozean als Lebensraum näher und vermittelt anhand kurzer Einspielfilme Wissen darüber, wie stark dieses Ökosystem von Überfischung und Erderhitzung bedroht ist.
„Beyond Blue“ von E-Line Media (2020, für PC, Mac, Linux, Nintendo Switch, Xbox One, PlayStation 4, iOS, 16,79 € bis 19,99 €)
„Never Alone: Kisima Inŋitchuŋa“ – Mit Indigenem* Wissen durch den Sturm
„Never Alone“ führt dich in den verschneiten Norden Alaskas, das Land der Iñupiat, einer Indigenen Gemeinschaft, die besonders vom Schmelzen des Meereises betroffen ist. Es geht um die Folgen der Klimakrise und darum, wie wichtig Indigene Expertise ist, um mit ihnen umzugehen. „Never Alone“, das in Zusammenarbeit mit den Gemeinschaften vor Ort kreiert wurde, erzählt die über Generationen hinweg mündlich überlieferte Geschichte „Kunuuksaayuka“: Nuna zieht darin los, um herauszufinden, wo der Schneesturm entsteht, der ihr Dorf bedroht. Als sie auf ihrer Reise von einem Eisbären angegriffen wird, kommt ihr ein arktischer Fuchs zu Hilfe und weicht nicht mehr von ihrer Seite. In diesem stürmischen Puzzle-Plattformer schlüpfst du abwechselnd in die Rolle des Fuchses und des Mädchens. Diese Freund:innenschaft ist nicht nur ein schönes Spielmotiv, sondern dient als Metapher für den Umgang Indigener Gemeinschaften mit der Natur. Natur und Klima werden jedoch nicht romantisiert: Eisbären und Schneestürme bieten genug Gefahren. Stattdessen zeigt das Spiel, was es bedeutet, mit Natur und Land in einer Beziehung zu stehen, die nicht auf Ausbeutung basiert. Das wird nicht nur durch das Spiel selbst, sondern auch durch dokumentarisches Bonusmaterial vermittelt: Jedes Mal wenn eine Eule ins Bild fliegt, erscheint ein Videoclip, in dem Mitglieder der Iñupiat über ihre Gemeinschaft, ihre Beziehung zur Natur und Klimagerechtigkeit sprechen.
„Never Alone“ von Upper One Games/E-Line Media (2014, für PC, Mac, Linux, Nintendo Switch, PlayStation 3/4, Xbox One, Android, iOS, 14,99 €)
* „Indigen” wird hier groß geschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich dabei um die Selbstbezeichnung von Gemeinschaften handelt, die durch Kolonialismus von ihrem Land verdrängt wurden
„Terra Nil“ – Nachhaltige Aufbaustrategien
Viele Aufbaustrategiespiele bedienen sich eines kolonialistischen Narrativs, indem sie Spieler:innen dazu ermutigen, Land und Leute auszubeuten: Als allmächtige Herrscher:in findest dann du „neues“ Land, baust dessen Ressourcen ab und führst Territorialkriege. „Terra Nil“ denkt dieses Genre nachhaltiger. Dein Ziel ist es, ein von Verschmutzung und Unwettern gezeichnetes Ödland zu renaturieren. Aus der Vogelperspektive schaust du hier auf einen grauen Landstrich. Mithilfe futuristischer Technologien kannst du in verschiedenen Levels die Erde wieder fruchtbar machen und Gewässer reinigen, während du endliche Ressourcen nachhaltig managst. Belohnt wirst du dadurch, dass Rehe oder Bienenschwärme zurückkehren. Dabei geht es nicht darum, die Landstriche wieder „nutzbar“ zu machen, sondern darum, Biodiversität herzustellen; ein Ökosystem, das in der Lage ist, sich ohne Fremdeinwirkung selbst zu erhalten. Wichtig: Alle Gerätschaften, die dafür benötigt wurden, müssen am Ende wieder recycelt werden, sonst gilt das Spiel als verloren. So denkt „Terra Nil“ ein altbekanntes Genre neu und verändert die Parameter, die für einen Spielsieg nötig sind.
„Terra Nil“ von Free Lives/Devolver (2022, bisher nur Demo erhältlich, für PC)
„Norco“ – Abgase, Trauer und Kapitalismus
In „Norco“ tauchst du in die Sci-Fi-Version des real existierenden gleichnamigen Orts außerhalb von New Orleans, Louisiana, ein. In diesem Pixel-Point-and-Click-Abenteuer bewegst du dich durch die dystopische Welt von Kay. Die 23-Jährige ist zurück in Norco, weil ihre Mutter, die illegalen Bauprojekten in der Gegend auf der Spur war, an Krebs gestorben und ihr Bruder verschwunden ist. Neben Rückblenden zu den letzten Tagen von Kays Mutter stolpern Kay und der Android Million detektivisch von einem skurrilen Gespräch zum nächsten. Das Spiel lässt wenig Zweifel daran, dass der Tod der Mutter und der düstere Zustand der Stadt auf die Ölraffinerie des Konzerns „Shield“ (angelehnt an die Raffinerie von Shell im realen Norco) zurückzuführen sind. Zwischen mystischen Sumpflandschaften, verrauchten Nachthimmeln und kurzen Momenten von Gemeinschaft macht „Norco“ auf die verheerenden Folgen aufmerksam, die die Ausbeutung durch Ölkonzerne für Städte, Menschen und Umwelt hat. Dabei geht es um Klimafolgen (laut einer Studie sind die 20 größten Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, für mehr als ein Drittel aller energiebedingten Treibhausgasemissionen seit 1965 verantwortlich), gesundheitliche Auswirkungen der Ölförderung und um ökonomische und soziale Verhältnisse: Die Bewohner:innen von „Norco“ sind in vieler Hinsicht von dem Konzern abhängig. Die meisten versuchen nur, irgendwie zu überleben.
„Norco“ von Geography of Robots/Raw Fury (2022, für PC und Mac, 14,99 €)
„Survive The Century“ – Wer überlebt dieses Jahrhundert?
In diesem textbasierten Browsergame entscheidest du nicht über das Schicksal eine:r einzelnen Held:in, sondern über die globale Aufmerksamkeitsökonomie im Verlauf des 21. Jahrhunderts. Dabei spielst du als Chefredakteur:in Jahrzehnt für Jahrzehnt durch: Zu verschiedenen tagesaktuellen Themen (zum Beispiel Pandemiemanagement, klimabedingte Fluchtbewegungen und reproduktiven Rechten) musst du dich für eine Headline entscheiden, immer mit dem Wissen im Hinterkopf, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt, um die Klimakatastrophe in den Griff zu bekommen. Diese ist jedoch keine singuläre Krise, sondern eine von vielen, die das kapitalistische Wirtschaftssystem verursacht hat und die weltweit miteinander im Zusammenhang stehen. Es geht darum, für wen Politik gemacht wird und wie viel Zeit noch bleibt. Schaffst du es, die Superreichen durch hohe Steuern so sehr zu verärgern, dass sie kollektiv auf den Mars auswandern, anstatt weiterhin den Planeten auszubeuten? Oder prokrastinierst du, bis ehemalige Metropolen als Unterwasserstädte Katastrophentourist:innen anziehen? Das schnell gespielte Textadventure vermittelt trotz simpler Optik, dass diese Zusammenhänge komplex sind, und stellt sie gleichzeitig humorvoll und nachvollziehbar dar. Der Zusammenhang zwischen Medien und tatsächlicher politischer Entscheidungsgewalt ist dabei vielleicht ein bisschen vereinfacht, dafür wird hier gut dargestellt, wie Kapitalismus und Krisen zusammenhängen. Die Frage ist nicht nur, ob, sondern auch wie wir das Jahrhundert überleben und wem am Ende des Jahrhunderts noch ein gutes Leben möglich ist.
„Survive The century“ von Sam Beckbessinger, Christopher Trisos und Simon Nicholson (2021, Browsergame, kostenlos)