Menschen, die in Outdoorjacken vor Gletschern in Patagonien oder auf Vulkanen posen, verdreckte Motorradfahrer auf der Panamericana, der mit 25.000 Kilometern längsten Straße der Welt, Mondsüchtige in der Atacama-Wüste, Naturfreaks im Dschungel: Für Abenteuersuchende ist Südamerika ein Paradies. Für die Bewohner kann die Landschaft zwischen Tropen und Antarktis allerdings zur echten Herausforderung werden. Im Amazonasgebiet Handel zu treiben oder auch über die Anden hinweg erwies sich über Jahrhunderte und bis heute als unmöglich.
Durch die natürlichen Barrieren gibt es weniger Krieg – und wenn, dann geht's um Rohstoffe
Daher mussten Brasilien, Argentinien, Bolivien, Paraguay und Uruguay im Osten der Anden viele Waren über den Seeweg transportieren, um sie nach Venezuela und Kolumbien im Norden oder in die westlich gelegenen Ecuador, Peru und Chile zu liefern. Den europäischen Kolonialisten im 16. Jahrhundert war daher vor allem daran gelegen, die Häfen auszubauen – auch um Handel mit Europa treiben zu können. Viele der größten Städte liegen an Küsten oder Flussmündungen: São Paulo, Rio de Janeiro, Buenos Aires, Lima.
Im Zentrum des Subkontinents galt es seit jeher, Dschungel, verschneite Bergpässe, trockene Wüsten und tiefe Täler zu überwinden. Immerhin hielten diese natürlichen Barrieren – die oft als Staatsgrenzen fungieren – das Risiko von Auseinandersetzungen zwischen den Ländern gering. Einer der wenigen Konflikte fand von 1879 bis 1884 zwischen Chile auf der einen und Peru und Bolivien auf der anderen Seite statt. Der sogenannte Salpeterkrieg, bei dem es um eine rohstoffreiche Region im heutigen Norden Chiles ging, endete damit, dass Bolivien seinen Zugang zum Pazifik verlor – bis heute eine schwere Hypothek für das Land.
Die riesigen Rohstoffvorkommen sind neben den landschaftlichen Extremen ein weiterer Faktor, der das wirtschaftliche und politische Leben vieler Länder in Südamerika bestimmt, mal zum Guten, mal zum Schlechten. Aber ähnlich wie in Afrika führen große Vorkommen an Bodenschätzen oft dazu, dass sich Regierungen auf die Einnahmen aus den Verkäufen konzentrieren und den Aufbau einer produzierenden Industrie vernachlässigen. Venezuela etwa ist das Land mit den größten Erdölreserven der Welt – und dennoch eines der ärmsten.
Anbauflächen für Kaffee und Orangen vertrocknen, Bananen verfaulen – die Klimakrise grüßt
Brasilien wiederum, das größte Land des Kontinents, birgt zwar viele Bodenschätze, doch rund die Hälfte des Landes ist vom Amazonasdschungel bedeckt: Der Gütertransport ist schwierig, der Bau von Siedlungen oft unmöglich. Für den Anbau von Soja, das weltweit als billiges Futter in der Massentierhaltung fungiert, wird der Regenwald immer weiter abgeholzt. Das Land hat zwar eine lange Küste mit Hafenstädten, doch die wird häufig von riesigen Steilhängen durchbrochen, was den Austausch zwischen den Orten erschwert. Brasiliens ewiger Rivale Argentinien wiederum verfügt mit der Pampa zwar über fruchtbare Anbaugebiete, wird aber oft von starken Überschwemmungen und Dürren heimgesucht. Und die Zukunft bringt noch mehr Herausforderungen: Denn der Klimawandel hinterlässt auch auf dem südamerikanischen Kontinent seine Spuren.
Zu hohe Temperaturen lassen Anbauflächen für Kaffee und Orangen vertrocknen, Bananen verfaulen durch Starkregen, die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien, der „grünen Lunge“ des Erdballs, bringt das gesamte Ökosystem des Amazonas ins Wanken. So bleibt Südamerika auch aufgrund der natürlichen Begebenheiten ein Kontinent der Hoffnung; einer Hoffnung jedoch „wie ein Versprechen des Himmels, ein Schuldschein, dessen Einlösung immer wieder verschoben wird“, wie der chilenische Dichter Pablo Neruda schrieb.
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