Sie enden im Kochtopf oder werden in Vitrinen ausgestellt: Ein Zwischenstopp auf Malta kann für Zugvögel tödlich sein. Obwohl das Land seit 2004 Mitglied der EU ist und die Vogelschutzrichtlinie übernommen hat, werden bedrohte Arten wie Schreiadler oder Bienenfresser immer noch zuhauf abgeschossen. Ein Interview mit Axel Hirschfeld, der gemeinsam mit Freiwilligen Jagd auf die Wilderer macht.
fluter.de: Herr Hirschfeld, wenn man als Tourist im Frühjahr oder Herbst nach Malta reist, sieht man immer wieder Einheimische, die mit Flinten wild in die Luft ballern. Was ist da los?
Es ist praktisch unmöglich, das nicht zu beobachten, wenn man zur richtigen Zeit da ist. Im Frühling und im Herbst fliegen unsere Zugvögel nach Afrika, beziehungsweise sie kommen von dort aus ihren Winterquartieren zurück ins Brutgebiet. Die Vögel schaffen es gerade bei schlechten Wetterbedingungen nicht in einem Rutsch übers Mittelmeer und brauchen auf der Mitte der Strecke einen sicheren Ort für einen Zwischenstopp. Und hier kommt Malta ins Spiel.
Ja, aber warum schießen die Malteser denn gleich auf die Vögel, die bei ihnen landen?
Die meisten wollen einfach nur eine seltene Trophäe haben. Andere verkaufen die Vögel auch an Sammler, denen eine bestimmte Farbvariante vielleicht noch fehlt. Wir hatten jetzt im Herbst zusammen mit der Polizei eine große Beschlagnahmung bei einem Jäger, den wir erwischt haben. Der war erst 24 Jahre alt und hatte schon über 100 Greifvögel gesammelt und geschossen. Allein in einer seiner Vitrinen waren mehr Baumfalken als im gesamten Rhein-Sieg-Kreis brüten, wo ich herkomme. Wenn man sieht, was ein einzelner Jäger schon für einen Schaden anrichtet, möchte man sich gar nicht ausmalen, wie viel das auf Malta in der Summe ist. Schrecklich.
Die Vogeljagd ist also illegal?
Nein. Turteltauben und Wachteln dürfen auf Malta legal geschossen werden. Das dient den Jägern als Alibi, um das ganze Jahr mit der Flinte draußen zu sein. Die Vogelarten, deretwegen wir aktiv sind, sind seltene Falken, Adler, Greifvögel, Pirole, Bienenfresser. Arten, die bei uns auf den Roten Listen stehen und mit viel Steuergeldern und persönlichem Engagement von Vogelfreunden geschützt werden. Dieser ganze Aufwand wird durch die Wilderei im Mittelmeer zunichtegemacht. Die schönsten Vogelschutzgebiete nützen nichts, wenn sie leer bleiben, weil die Vögel auf Malta im Kochtopf oder in der Trophäensammlung landen.
Wenn es in einem Land Tradition ist, Vögel zu schießen, kann man doch schwer dagegen argumentieren, oder? Die Inuit dürfen doch auch Wale jagen.
Tradition muss man natürlich zu einem gewissen Grad akzeptieren. Aber wenn eine Tradition gesellschafts- und umweltschädlich ist, ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, ob man die Tradition nicht einfach beendet. Man könnte die Vogeljagd ja auch durch Tontaubenschießen oder Ähnliches ersetzen. Aber die maltesischen Jäger werden natürlich sofort bestreiten, dass das eine vernünftige Idee ist.
Ist es nicht ein bisschen seltsam, wenn Sie als Deutscher in ein fremdes Land reisen und den Einheimischen sagen, was sie tun und lassen sollen?
Wir sind eine Organisation mit Sitz in Deutschland, aber unsere Freiwilligen kommen aus vielen verschiedenen Ländern. Zum Beispiel aus England, Schweden, Frankreich oder Holland. Es sind genauso die Vögel der Malteser, wie es die Vögel der Deutschen und der Franzosen sind. Als Malta 2004 Mitglied der EU wurde, hat das Land die Europäische Vogelschutzrichtlinie übernommen. Das war ein großer Fortschritt. Ich denke, die Mehrheit der Einwohner Maltas ist auf unserer Seite und gegen die Wilderei. Die haben schon verstanden, dass es um die Haltung zu einem gemeinsamen europäischen Naturerbe geht.
Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass die Mehrheit der Malteser hinter Ihnen steht?
Das wird sich jetzt zeigen. Wir werden im kommenden Jahr zum ersten Mal ein Referendum auf Malta haben. Es wird darüber abgestimmt werden, ob im Frühling weiterhin Vögel gejagt werden dürfen oder nicht. Das ist in keinem anderen Land der EU erlaubt. Vögel, die im Frühling in die Brutgebiete zurückkehren, sind besonders wertvoll für die Population, weil sie später wieder Nachwuchs erzeugen.
Sie organisieren zweimal im Jahr sogenannte Vogelschutzcamps auf Malta und in anderen Ländern. Wie dürfen wir uns das vorstellen, ist das so etwas wie Work and Travel, Urlaub mit ein bisschen Arbeit?
Nein, mit Urlaub hat das überhaupt nichts zu tun. Das ist harte Arbeit. Jede Saison kommen 30 bis 40 Leute zu uns, die wir in Teams aufteilen. Die postieren wir strategisch an den Einflugkorridoren und Schlafplätzen der Vögel. Natürlich nehmen wir nicht jeden, da gibt es ein Auswahlverfahren. Die Leute müssen zum Beispiel Englisch sprechen, teamfähig sein und Vögel bestimmen können. Unsere Leute filmen mit Videokameras die abfliegenden und ankommenden Vögel. Greifvogel fällt runter? Alles klar! In dem Moment versuchen wir, den Wilderer zu kriegen, und rufen sofort die Polizei.
Es soll angeblich rund 15.000 Vogeljäger und -fänger auf Malta geben. Die können Sie doch mit 40 Freiwilligen niemals kontrollieren ...
Natürlich gehen uns viele Wilderer durch die Lappen. Aber wir schnappen genug, um den anderen Angst zu machen. Bestimmte Gebiete haben wir dadurch beruhigen können.
Die Voraussetzungen zur Teilnahme an einem Ihrer Vogelschutzcamps lesen sich ziemlich abenteuerlich. Da steht zum Beispiel: „Auch will der Umgang mit bewaffneten Wilderern gelernt sein.“
Unsere Leute müssen vorsichtig sein. Sie sollen deeskalieren und niemanden provozieren. Man hat sich als Vogelschützer schon schnell mal eine Ohrfeige gefangen. Es wurden auch schon Autos abgefackelt oder Windschutzscheiben zertrümmert.
Der Schriftsteller Jonathan Franzen, der an mehreren Ihrer Vogelschutzcamps teilgenommen hat, wurde auf Zypern ebenfalls von Wilderern angegriffen. Das ist also normal?
In bestimmten Situationen wird es sehr, sehr gefährlich. Wir raten unseren Freiwilligen: In dem Moment, in dem ein schimpfender, wilder Jägermob auf euch zurennt, haut ab. Manche Wilderer fühlen sich aber trotzdem von uns provoziert und drehen durch. Dieses Jahr haben wir schon einen Fußgelenksbruch und einen Trommelfellriss zu beklagen. Wirklich schwer verletzt wurde aber zum Glück noch nie jemand. Auf Malta haben wir teilweise auch eine professionelle Security-Firma, die unsere Teams begleitet.
Wer tut sich so einen Ärger denn an, anstatt in den Strandurlaub zu fahren?
Unsere Camps sind sehr gemischt. Da sind Rentner dabei, junge Leute, Tierschützer, Vogelgucker. Nach vielen Jahren wissen wir, wie wir eine gute Gruppe zusammenbekommen.
Sie betonen immer wieder, wie hart die Arbeit im Vogelschutzcamp ist. Wird einem denn auch mal gedankt?
Wenn man morgens auf Malta im Gelände mit unseren T-Shirts unterwegs ist, kriegt man nur Stinkefinger gezeigt und wird von den Jägern beleidigt. Wenn man mit demselben T-Shirt in der Fußgängerzone unterwegs ist, kommen auf einmal Leute auf einen zu, die einem die Hand schütteln wollen und uns Tipps geben, wo wir Wilderer finden können. Wir bekommen auf Malta also auch Anerkennung für das, was wir tun.
Seien Sie ehrlich: Auch wenn man früh auf den Beinen sein muss und ständig beleidigt wird – es macht doch sicher auch ein klein wenig Spaß, Teilnehmer bei einem Vogelschutzcamp zu sein, oder?
Na ja, die Leute kommen jedes Jahr wieder. Es muss ihnen also auch Spaß machen.
Axel Hirschfeld ist Mitglied des Komitees gegen den Vogelmord e.V. Mehr zu Arbeit des Vereins findet ihr hier. Wer sich für die Sicht der maltesischen Jäger auf das Thema interessiert, sollte mal auf der Seite des Jagdverbandes FKNK vorbeischauen.