Nehmen wir das Frühstücksei. Wer es für Tier und Mensch gesund möchte, kann sich beim Einkaufen problemlos informieren: Ob im Supermarktregal oder Hofladenkörbchen, auf jedem Ei erteilt ein Code Auskunft, wo und wie das Huhn gehalten wurde. Auch den Morgenkaffee aus fairer Produktion zu beziehen, erfordert keinen Aufwand. In praktisch jedem Supermarkt finden sich Produkte mit Siegeln, die bestimmte Standards bei Herstellung und Handel garantieren sollen.
Manche Unternehmen haben das Segment allerdings auch sichtbar im Portfolio. H&M zum Beispiel, nach C&A und vor Tchibo der weltgrößte Abnehmer von Bio-Baumwolle. Das grüne Sub-Label „H&M Conscious“ ist in den Läden einigermaßen leicht zu finden, zugleich passt das Angebot aber auf wenige Ständer. Im Etikett eines weißen T-Shirts für 7,99 € ist nachzulesen, dass das Hemd aus 100 Prozent Bio-Baumwolle gefertigt wurde, und zwar in Bangladesch. Über Arbeitsbedingungen ist damit nichts gesagt, ebenso wenig über den Einsatz von Chemie im weiteren Verarbeitungs- und Herstellungsprozess. Auf der Conscious-Website des H&M-Konzerns sind die Auskünfte eher blumig denn konkret. Eine unabhängige Zertifizierung von Ware und Produktionsprozessen findet man in den Etiketten der H&M-Conscious-Waren nicht.Aber beim Kleiderkauf? Was, wenn das neue T-Shirt nicht nur angenehm zu tragen sein, sondern einem auch das gute Gefühl vermitteln soll, ökologisch und ethisch verantwortungsvoll eingekauft zu haben? Eine so unrepräsentative wie lehrreiche Tour durch Berlin im Sommer 2015 ergibt: Schon die Frage nach Bio-Baumwolle löst beim Verkaufspersonal häufig Befremden aus, egal ob in Kaufhäusern oder Shops von Markenartiklern. Mehrfach lautet die Antwort: „Bio? Weiß ich gar nicht, muss ich nachfragen.“ Woraufhin die besser informierte Kollegin sagt: „Haben wir nicht.“ Alternativ: „Baumwolle ist doch immer Natur!“ An dieser Stelle könnte man Gentechnik, Pestizide und Färbemittel erwähnen. Oder einfach weitersuchen. Versprengte Einzelstücke aus Bio-Baumwolle gibt es nämlich oft – irgendwo dazwischen gehängt. Offensiv präsentiert werden sie in konventionellen Geschäften selten.
Die Siegel werden eher im Nischenmarkt genutzt, nicht im Massenmarkt
Ohnehin sucht man im Handel meist vergebens nach anerkannten Produktionssiegeln – wie von Global Organic Textile Standard (GOTS), Naturleder IVN zertifiziert oder Naturtextil IVN zertifiziert Best (IVN steht für Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft). Anders als Eier-Erzeuger sind T-Shirt-Produzenten nicht zu einer überprüfbaren oder einheitlichen Kennzeichnung der Produktionsfaktoren verpflichtet. Tatsächlich genutzt werden die Siegel eher auf dem Nischen- statt dem Massenmarkt. Das belegt auch diese Zahl: Zwar steigt die Nachfrage nach Bio-Baumwolle, doch der Anteil des ökologisch produzierten Rohstoffs wird weltweit auf ein Prozent oder gar darunter geschätzt.
Tatsächlich sind in der globalen Wertschöpfungskette oft so viele Subunternehmen eingebunden, dass Kontrolle und Bestrafung zur Herkulesaufgabe werden. Drastisch hat das 2013 der Einsturz des riesigen Geschäfts- und Fabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch gezeigt, bei dem mehr als 1100 Menschen ums Leben kamen, vor allem Textilarbeiter. Dass auch Firmen, die in Deutschland verkaufen, in dem Gebäude produzieren ließen, ist unstrittig. Aber direkt beschäftigt waren die Opfer bei diesen Unternehmen nicht. Wer also ist wofür verantwortlich? Nicht zuletzt die Tragödie um das Fabrikgebäude war Anstoß für das Textilbündnis, dem inzwischen dann doch immer mehr Produzenten und Verbände beigetreten sind. Unter ihnen finden sich globale Konzerne wie Adidas ebenso wie das schwäbische Familienunternehmen Trigema. Kritikern, etwa von Greenpeace, gehen die Ziele des Bündnisses nicht weit genug: jede Menge guter Vorsätze, aber kaum konkrete Vereinbarungen.Um soziale, ökologische und ökonomische Verbesserungen entlang der Textillieferkette voranzubringen, hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2014 das „Bündnis für nachhaltige Textilien“ initiiert. Angestrebt wird von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) unter anderem ein Siegel, das soziale und ökologische Standards in der Produktionskette festschreibt. Kaum war es publik geworden, hatte das Projekt schon ein Problem: Den einen geht es zu weit, den anderen nicht weit genug. Manche sehen Belange des Umweltschutzes nicht ausreichend berücksichtigt, andere halten die Überwachung der Produktionskette schlicht für undurchführbar.
Nachhaltigkeit funktioniert in der Mode offenkundig nur als Zusatz. Da liegt der Unterschied zum Ei: Viele versprechen sich mit der Entscheidung für Öko auch einen guten Geschmack. Wenn es aber um Kleidung geht, bedeutet ökologisch und sozial nicht notwendigerweise, dass man schick angezogen ist. Welche Fashionista denkt bei einem Kleid, für das sie sterben möchte, schon an Ökobilanz und Kinderarbeit? Eine bereits existierende Zertifizierung anderer Art ist die derFair Wear Foundation (FWF). Die international operierende Organisation hat das Ziel, die Arbeitsbedingungen von Textilarbeitern zu verbessern. Die FWF stellt für die beigetretenen Unternehmen einen Entwicklungsplan mit Arbeitsschritten für die Verbesserung der Bedingungen in der Wertschöpfungskette auf. Die Fortschritte werden jährlich überprüft, die Ergebnisse veröffentlicht. Unter den Firmen, die sich dem Monitoring der FWF unterwerfen, sind Discounter wie das deutsche Unternehmen Takko und die schwedischen Designmarken Filippa K und Acne. Auch hier gilt: Offensiv werben tun sie mit ihren Bemühungen nicht.
Und doch gibt es Möglichkeiten, sich ein gutes Gefühl zu verschaffen und etwas zu tun: Secondhand kaufen, Teile tauschen, selber machen. Und beim Einkaufen neuer Klamotten: Fragen stellen, Fragen stellen, Fragen stellen.
Je mehr sich die Berliner Autorin Katrin Weber-Klüver mit Mode befasst, desto mehr rätselt sie, warum sich so viele Menschen so wenig für Qualität begeistern.