„Bist du innerlich gefestigt und kommst mit Einsamkeit klar, ohne dass dir die Decke auf den Kopf fällt?“, hieß es in der Stellenausschreibung. Gesucht wurde eine Lehrerin, die die zwölf Schülerinnen und Schüler auf Hallig Hooge unterrichtet. Als Manuela Warda das las, sagte sie sich: „Wer weiß, wie lange es die Halligen noch geben wird?“ Warda zog im Sommer mitten ins nordfriesische Wattenmeer; an einen Ort, der ohnehin schon regelmäßig überflutet wird und bei dem sich stärker als anderswo die Frage stellt, was es heißt, wenn Stürme zunehmen und der Meeresspiegel ansteigt.
In den nächsten Jahrzehnten wird die Nordsee um bis zu 1,10 Meter ansteigen
Im Gegensatz zu von Deichen geschützten Inseln herrscht auf den zehn deutschen Halligen öfter mal „Land unter“; 10- bis 40-mal pro Jahr kommt das vor, das ist schon lange so, kann ein bis zwei Tage dauern oder auch mal drei bis vier Tage. Nur die Warften, die künstlich angelegten Hügel, auf denen die Häuser der Halligbewohner zusammengekuschelt wie auf einer Engtanzparty stehen, ragen dann noch aus dem Meer. Für die Einwohner sind diese Aufeinandertreffen mit den Sturmfluten Routine: Das Leben bleibt dann für einige Tage auf die eigene Warft beschränkt, der Unterricht in der Schule fällt aus, die Touristen bleiben auf dem Festland.
In Zeiten des Klimawandels ist diese Routine nicht mehr selbstverständlich. In seinem jüngsten Bericht prognostizierte der Weltklimarat einen Meeresspiegelanstieg in den kommenden 80 Jahren um bis zu 1,10 Meter. Nie zuvor ist er in den letzten Jahrhunderten in so kurzer Zeit so stark gestiegen. Im schleswig-holsteinischen Umweltministerium bereitet man sich gar auf Szenarien von bis zu zwei Metern vor. Sturmfluten der Nordsee könnten die Halligen sogar eines Tages ganz verschwinden lassen. Beim Klimawandel sitzen ihre Bewohner also in der ersten Reihe. Die Hooger müssen sich anpassen – doch in welchem Ausmaß sind sie dazu bereit?
Sind die Halligen noch zu retten?
„Ich glaube fest daran, dass die Halligen für die kommenden 100 Jahre bewohnbar sind“, sagt Michael Klisch. Dieser Satz klingt beruhigend, zumal wenn er vom stellvertretenden Bürgermeister, der eine tiefsitzende Ruhe verströmt, vorgetragen wird. Zum Thema Küstenschutz hat er viel zu erzählen. Der „Blanke Hans“, so nennt man hier die Nordsee bei Sturmfluten, ist seit jeher ein Teil des Lebens auf den Halligen, und seit jeher reagieren die Hooger auf ihn auf dieselbe Weise: Sie erhöhen ihre schützenden Warften. Doch können Extremereignisse in Zukunft öfter eintreten, wie Sturmtief Xaver vor sechs Jahren verdeutlichte. Damals stoppten die Wellen der Nordsee nur wenige Zentimeter vor den Haustüren der Bewohner. Klisch ist sich sicher, dass der übliche Werkzeugkasten erweitert werden muss.
Weltweit machen sich Schüler für das Klima stark – und somit auch für das Schicksal der Halligen
Platziert auf einem „Tisch“ mit hydraulischen Beinen, ließen sich die Häuser anheben, erklärt Klisch. Noch besteht das Hydraulik-Haus nur in den Plänen von Architekten. Realität sind derweil die Schutzräume, über die mittlerweile die meisten Häuser auf den Halligen verfügen. Auf den ersten Blick lassen sie sich nicht vom Rest der Wohnung unterscheiden. Ihre Fundamente aber ragen mehrere Meter tief in den Boden hinein und bieten Standfestigkeit, wenn alles andere ins Schwimmen gerät. Das Problem solcher Zukunftsvisionen: Für den Schutz ihrer Häuser sind die Bewohner selbst zuständig – und das kostet meist eine Menge Geld.
Effektiver wäre es, meinen einige, die Hallig als solche zu schützen. Der politische Wille ist da: Die schleswig-holsteinische Landesregierung schrieb den Schutz der Halligen in ihren Koalitionsvertrag. Anders als viele ebenfalls vom steigenden Meerwasserspiegel bedrohte Inseln in der Südsee sind die notwendigen finanziellen Mittel vorhanden, mit denen die Hallig zukunftssicher gemacht werden kann. Die Frage, die sich nun stellt, ist die nach dem Wie.
Könnte man nicht einfach einen großen Deich um die Hallig herumbauen? Diese auf den ersten Blick so einleuchtende Lösung findet auf Hooge wenig Freunde. Denn wer die Nordsee aussperrt, macht aus der Hallig eine Insel – damit wäre sie nicht mehr so besonders, also touristisch auch weniger interessant, und die charakteristischen Lebensräume der Salzwiesen, auf denen Jahr für Jahr um die 60.000 Vögel brüten, würden verloren gehen. Experten verweisen zugleich auf die Gefahr, die ein hoher Deich mit sich bringen könnte. Denn sollte die Nordsee diesen einmal überwinden, würde die dahinter liegende Hallig volllaufen wie eine Badewanne, bei der der Abfluss nicht funktioniert.
Die nachhaltigste Lösung: die Halligen öfters überschwemmen lassen
Die Arbeitsgruppe Halligen 2050, in der unter anderem Vertreter des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums, die Bürgermeister der Halligen und einige Umweltschützer zusammenarbeiten, plädiert für eine andere Lösung: Nachhaltiger sei es, die Halligen häufiger überschwemmen zu lassen. Jede Überschwemmung ist für sie eine lebenserhaltende Maßnahme, denn dann lagern sich Schlick und Sand ab und lassen das Land anwachsen.
Auf Hooge sind das rund 2,6 Millimeter im Jahr. Gleichzeitig nimmt der durchschnittliche Hochwasserstand im gleichen Zeitraum um 4,6 Millimeter pro Jahr zu. Sich für die Zukunft zu wappnen bedeutet auf Hooge: im Hier und Jetzt auf Lebensqualität verzichten. Denn wer möchte schon den Gang zum Supermarkt, den Besuch auf dem Festland oder einfach den geselligen Skatabend beim Nachbarn um zwei Tage verschieben, weil sämtliche Straßen mal wieder unter der Nordsee verschwunden sind?
„Viele Banken geben für den Kauf oder Bau eines Hauses keine Kredite mehr“
Nicht alle Bewohner sehen den Klimawandel als oberste Priorität an. „Es gibt wichtigere Probleme“ ist immer wieder von einzelnen Halligbewohnern zu hören: Das Leben auf der Hallig ist teuer, die Arbeitsmöglichkeiten limitiert und Neubürger wie Lehrerin Manuela Warda selten. Zukünftige Umweltprobleme, an die man sich heute schon anpassen soll, sind nicht immer leicht zu vermitteln.
Dabei ist der Klimawandel in Hooge schon heute zu bemerken. Allerdings eher an Konto- als an Pegelständen: „Viele Banken geben für den Bau oder Kauf eines Hauses auf der Hallig keine Kredite mehr“, erzählt Klisch. Bei Laufzeiten von 30 Jahren sei nicht sichergestellt, dass die Gebäude nach dieser Zeit überhaupt noch stehen werden. Ob die Lehrerin Manuela Warda dann noch auf Hooge wohnen wird? Erst einmal muss sie den ersten Winter auf der Hallig und die erste Sturmflut erleben. Mental ist sie in diesem Hinblick jedoch schon auf einer Linie mit den übrigen Hoogern: „Wir haben keine Angst vor dem Meer. Aber Respekt.“
Titelbild: Hans Silvester / Agentur Focus