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„Humor lässt den Hass akzeptabler erscheinen“

In sozialen Netzwerken wird der Holocaust angezweifelt und verlacht – das zeigt eine Unesco-Studie. Besonders Memes sind eine Herausforderung, sagt deren Autorin Heather Mann

fluter.de: Frau Mann, Sie und Ihr Team haben fast 4.000 Inhalte zum Thema Holocaust auf Facebook, Twitter, TikTok, Instagram und Telegram untersucht. Die Ergebnisse der Studie

Heather Mann: … sind schockierend.

Demnach leugnet oder verzerrt fast die Hälfte aller untersuchten Telegram-Inhalte, bei denen es um den Holocaust geht, den nationalsozialistischen Völkermord. Bei Twitter und TikTok sind es knapp ein Fünftel. Handelt es sich um ein neues Problem?

Kein neues, aber ein wachsendes. Wir sehen grundsätzlich immer mehr Hatespeech in sozialen Netzwerken, Verschwörungsmythen rund um den Holocaust sind ein Teil davon. 2020 wurden diese Verschwörungen wegen der Pandemie besonders stark verbreitet, oft im Zusammenhang mit der Impfung oder anderen Covid-Maßnahmen.

Der Jüdische Weltkongress wandte sich mit dem Thema an die Unesco.

Ja. Gemeinsam mit dem Oxford Internet Institute und den Vereinten Nationen wollten wir das Problem angehen. Denn für Menschen, die den Holocaust selbst überlebt haben oder die Überlebende in der Familie haben, sind antisemitische Posts besonders schmerzhaft.

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Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Viele verharmlosen den Holocaust unabsichtlich – indem sie Memes teilen oder cute Fotos im Denkmal für die ermordeten Juden Europas machen

Die Studie macht auch klar, wie unterschiedlich Holocaust-Revisionismus klingen und aussehen kann.

Manche Nutzer bestreiten konkret, dass es den Völkermord gab, etwa durch vermeintliche Faktenchecks laut denen Gaskammern, Massenerschießungen und Folter niemals existiert haben. Einige Posts leugnen den Holocaust nicht, sondern feiern ihn oder machen die jüdische Bevölkerung selbst für ihre Verfolgung und Ermordung verantwortlich. Am gefährlichsten sind aber antisemitische Memes.

Warum?

Memes sind ein Humorformat. Sie gehören zur Kultur des Internets, gerade unter jungen Menschen, Und sie nutzen oft sprachliche Codes, die nur bestimmte Kreise verstehen.

Haben Sie ein Beispiel?

Sehr beliebt ist der Bowler. Das Meme zeigt einen Mann beim Bowlen, der die systematische Tötung jüdischer Menschen quasi mit dem Argument „abräumt“, die Türen der Gaskammern in Auschwitz seien aus Holz gewesen, hätten das Gas also gar nicht im Raum halten können. Was natürlich falsch ist, glatte Holocaustleugnung. Solche Memes haben schlimme Konsequenzen: Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker können ihren antisemitischen Hatespeech leichter verschleiern. Humor lässt den Hass akzeptabel erscheinen, fast schon fröhlich. Sie erreichen so auch den „normalen Diskurs“, also Menschen jenseits ihrer Bubble.

„Je umständlicher es eine Plattform ihren Nutzern macht, einen Beitrag als antisemitisch zu melden, desto höher ist die Zahl der antisemitischen Beiträge dort“

Weil ihr Antisemitismus zunächst einfach als Witz gelesen wird.

Das hat auch mit dem Format zu tun: „Humorvolle“ Bilder und Videos sind im Vergleich zu Texten schwieriger als antisemitisch zu identifizieren, sie normalisieren den Hass. Das wiederum erfordert eine spezielle Schulung der Plattformbetreiber, um die Inhalte zu bewerten.

Dabei ist der Anteil der leugnenden Inhalte von Plattform zu Plattform sehr unterschiedlich. Das geht von 3 Prozent bei Instagram bis zu 49 Prozent auf Telegram.

Je umständlicher es eine Plattform ihren Nutzern macht, einen Beitrag als antisemitisch zu melden, desto höher ist die Zahl der antisemitischen Beiträge dort. Das war eine Erkenntnis der Studie. Die mag banal klingen, zeigt aber, dass es enorm davon abhängt, wie groß der Wille des Unternehmens ist, Antisemitismus zu begrenzen. Wenn eine Plattform keine Richtlinien aufstellt, die es explizit verbietet, den Holocaust zu leugnen oder zu verzerren, sendet sie auch ein Signal: Bei uns ist alles erlaubt. So ist es zum Beispiel bei Telegram, das keine entsprechenden Regeln hat.

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Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Victory im Holocaust-Mahnmal. Merkste selber, oder?

Sind andere Plattformen engagierter?

Keine kann antisemitische Posts komplett verhindern. Die anderen vier untersuchten Plattformen haben aber zumindest strikte Richtlinien und Moderation, deshalb werden antisemitische Posts dort auch schneller gesperrt. Facebook und TikTok sind Partnerschaften mit uns eingegangen. Wenn dort Menschen etwas über den Holocaust posten oder nach Informationen zu entsprechenden Begriffen suchen, erhalten sie den Hinweis auf eine Infowebsite des Jüdischen Weltkongresses und der UNESCO. Die erklärt grundlegenden Fakten: Was war der Holocaust? Wer war Adolf Hitler? Warum wurden die Juden zur Zielscheibe? Einfache Fragen in 19 Sprachen, damit möglichst viele genaue Informationen erhalten.

Was können Nutzer tun, die sich aktiv gegen Antisemitismus in den Netzwerken wehren wollen?

Zuerst sollten sie verdächtige Posts melden, egal wie erfolgreich sie damit sind. Wenn sie sich nicht sicher sind, ob sie etwas teilen sollten, gibt es einfache Checklisten für Posts: Wer ist der Verfasser des Beitrags? Handelt es sich überprüfbare Fakten? Ist der Ton des Beitrags ausgewogen oder sensationslüstern und emotional aufgeladen? Daneben gibt es viele Menschen, die in den sozialen Netzwerken über den Holocaust aufklären.

Ein Beispiel?

Dov Forman und seine Urgroßmutter, Lily Ebert, die Ausschwitz überlebt hat. Sie führen einen TikTok-Account, auf dem sie Fragen über den Holocaust beantworten. Nutzer sollten Menschen wie die beiden feiern. Und das bedeutet in sozialen Netzwerken: liken und teilen.

Und wie geht ihre Arbeit weiter? Wird es eine weitere Studie geben?

Ich hoffe. Wir haben auch beobachtet, dass die Inhalte oft nicht beim Antisemitismus bleiben. Sie gehen mit anderen Phänomenen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit einher, mit Rassismus etwa, Frauenfeindlichkeit oder Homophobie. Wir würden gern genauer auf die schauen, die für solche Inhalte verantwortlich sind. Es könnte zum Beispiel sein, dass hinter den Hunderten antisemitischen Hassposts auf Telegram nur eine Handvoll Täter steckt. Das ist bislang völlig unklar.

Fotos: Nikita Teryoshin/OSTKREUZ

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.