Diebe, Schläger, Vergewaltiger. Räuber, Wilderer, Messerstecher. Bei den Bezeichnungen, die Flüchtlingen von manchen Menschen zugeschrieben werden, geht es mitunter kreativ zu. Vieles spricht dafür, dass Angst die Fantasie mancher Menschen beflügelt. Asylbewerber würden in Streichelzoos einbrechen und Ziegen schächten (Erfurt). In Supermärkten klauen sie angeblich unbehelligt ganze Regale leer (Dresden). Und obwohl sich diese Gerüchte relativ einfach entkräften lassen, halten sich bestimmte Vorurteile hartnäckig.
Johannes Walcher und Jonas Rieser (Familiennamen geändert), zwei junge Männer aus Berlin, wollen dem etwas entgegensetzen. Konkret: entgegenkleben. Mit Plakaten, schwarz auf weiß, einfach gehalten und leicht verständlich, nehmen sie sich ein Gerücht nach dem anderen vor.
„Kein Flüchtling nimmt dir den Job weg“ steht etwa auf einem Plakat oder „Die Kriminalität in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften nimmt nicht zu“ auf einem anderen. Darunter stehen die Ergebnisse ihrer Recherche, quasi ein Faktencheck mit offengelegten Quellen: zum Beispiel das Bundesinnenministerium, die Bundesagentur für Arbeit oder politisch unabhängige Stiftungen. Weniger gerne NGOs, die sich für Flüchtlinge und deren Belange einsetzen oder anderweitig einseitig argumentieren. „Wir sind nicht für oder gegen irgendwelche Gruppen. Wir sind gegen diffuse Angst“, sagen die beiden.
Information, die weder gegen Links hetzt noch über Rechts lacht
Die Ängste, die zu Ressentiments gegenüber Flüchtlingen führen, existieren laut Walcher und Rieser nicht ohne Grund: Vielen Menschen fehle es an Information. Und zwar an einfacher, neutraler Information, die weder gegen Links hetzt noch über Rechts lacht. Stattdessen finde die Verunsicherung mancher Menschen in den immer wieder kursierenden Gerüchten einen Nährboden. Doch nicht nur Ressentiments gegenüber Flüchtlingen haben zugenommen, sondern auch die Gewalt. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der Anschläge auf Asylunterkünfte 2015 laut Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) in Deutschland auf gut ein Vierfaches auf mehr als 900 erhöht. In den Ordnungsämtern fragen immer mehr Menschen nach dem kleinen Waffenschein. Und auch der Absatz von Pfeffersprays, Tierabwehrpistolen, Signalwaffen und Gaspistolen steigt rapide an.
„Wegen Angst“ heißt auch der Tumblr-Blog, auf dem Walcher und Rieser die fertigen Plakate zum Download bereitstellen. Von hier kann sie jeder herunterladen, ausdrucken und dann aufhängen – am liebsten „dort, wo die Information oft nicht hinkommt: in Kleinstädte und ländliche Regionen“, hoffen die beiden. Wie viele der Poster schon an Bushaltestellen, Stromkästen und Kaffeehaustüren kleben, wissen Walcher und Rieser zwar nicht. Auf Facebook posten aber immer wieder User Fotos von Plakaten, die sie entdeckt oder selbst angebracht haben: in Leipzig und in Erfurt, in Stuttgart und in Hamburg.
Nicht allen gefällt das
Mittlerweile hilft eine Handvoll weiterer Freunde bei der Vorbereitung, Recherche und Korrektur. Eine Druckerei sponserte 600 Plakate. Und auf Facebook gefällt die Aktion 920 Personen. Aber sie gefällt nicht jedem: Eine Facebook-Userin schreibt etwa: „Das kann nur von Gutgläubigen geschrieben sein. Was für eine Heuchelei“ und ein anderer User: „‚Arme Schafe!‘, wird der überzeugte Demonstrant oder Wohnzimmer-‚Asylkritiker‘ sich denken, diese Gutmenschen mit ihren Plakaten. Wer das wohl bezahlt hat! Ihr wollt deren ‚Ängste‘ abbauen (Was für Ängste sind das denn!)?“
Walcher erzählt, es mache ihn betroffen, welche Geschütze gegen Flüchtlinge in manchen Teilen Deutschlands aufgefahren würden. Längst nicht nur über Facebook, Twitter und Co. werde die Stimmung aufgepeitscht. Auch offline schafften es die Unterstützer rechtsradikaler und rechtspopulistischer Gruppen, zu mobilisieren – zum Beispiel durch Pegida-Demos, Flyer, Vereinsarbeit und mehr. Diesen Einsatz abseits der virtuellen Welt hätten die dem „weltoffenen Teil Deutschlands“ voraus, schreiben Walcher und Rieser auf ihrem Blog. „Natürlich würde man manchmal einfach gern schreien: ‚Halt doch dein Maul, du Nazi!‘“, gesteht Walcher. „Aber das ist falsch, das bringt nichts.“ Darum setzen die beiden auf etwas, das ihrer Ansicht nach viel stärker ist, als Menschen zu beleidigen, auszulachen oder sogar auszuschließen: sachliche und statistisch belegbare Information. Zum Selberausdrucken und An-die-Wand-Kleben.