Zwischen Wiesen und Feldern, umgeben von Wällen, erstreckt sich im nördlichen Brandenburg das Gelände über mehrere Hundert Quadratmeter. Eine riesige Fläche, auf der sich der Müll bis zu zehn Meter hoch türmt. Zersplitterte CDs, Batterien, Druckerpatronen, Elektroschrott. Vor allem aber Plastik in allen Facetten: zerfetzte Folien, geschredderte Schnipsel, Lebensmittel verpackungen, Flaschen, Tuben, große Kunststoffmatten. Doch diese Deponie ist auf keiner Karte verzeichnet. Es dürfte sie eigentlich gar nicht geben.
Was gammelt da mitten in Brandenburg vor sich hin? Und wie groß ist die Gefahr für Mensch und Umwelt? Der Großteil des Abfalls, den man auf der Deponie findet, stammt aus Deutschland. Doch es findet sich auch Müll aus anderen Ländern, etwa Dänemark, dem EU-Land mit dem höchsten Müllauf kommen pro Kopf. Am Fuß der Müllberge sammelt sich rotbräunliches Sickerwasser. Proben davon werden später zusammen mit Abschnitten von Kunststoffmatten in einem Labor untersucht. Die Analyse ergibt erhöhte Werte beim Nervengift Blei, außerdem hohe Konzentrationen von zwei Weichmachern, die die EU als „fortpflanzungsgefährdend“ einstuft. Der Toxikologe Edmund Maser von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel sagt angesichts der Ergebnisse: „So eine Deponie müsste sofort geräumt werden.“
Allein in Brandenburg gibt es über 100 illegale Müllkippen
Zwar verfügt Deutschland über eine hochentwickelte Entsorgungsindustrie. Doch die illegale Halde von Schönermark ist kein Einzelfall. Allein im Bundesland Brandenburg gibt es Recherchen zufolge über 100 mit insgesamt rund fünf Millionen Tonnen Müll. Das ist mehr, als die Einwohner der sieben größten deutschen Städte zusammen in einem Jahr wegwerfen. Geschätzte Kosten für Sanierung und Entsorgung: rund 500 Millionen Euro.
Aber auch in anderen Bundesländern machen Kriminelle Geschäfte mit Müll. Es gibt Quecksilberschmuggel und Giftmülldeals, zuletzt landete die Verklappung von Ölpellets aus einer Raffinerie in Gelsenkirchen in der Presse. Die Liste ließe sich lange fortführen.
Einer, der sich mit solchen Fällen auskennt, ist Harry Jäkel, Leiter des Kommissariats „Schwere Umweltkriminalität“ beim Landeskriminalamt Brandenburg. Jäkel sagt, dass die Täter gegen Geld eine vernünftige Entsorgung versprächen, dann aber Frachtpapiere manipulierten, den Müll umdeklarierten und auf Deponien brächten, auf denen er auf keinen Fall landen dürfte. Oder er komme gleich auf illegale Müllkippen. Laut Jäkel passiert es auch, dass Plastikmüll mit Gülle und Klärschlamm vermischt wird, um in Kompostieranlagen „verwertet“ zu werden.
„Scheinverwertung“ nennt Umweltermittler Jäkel das. Das Bundeskriminalamt hat in einem internen Papier die kriminellen Gewinne der Mülldeponiebetreiber mit den Profiten der organisierten Drogenkriminalität verglichen – und festgestellt: Das Dealen mit Müll ist sogar lukrativer.
Oft handele es sich bei den Müllschiebern um ein Netz aus gewerblichen Unternehmen, vom mittelständischen Betrieb bis zum Großkonzern. Ein ein gespieltes System, in das unter anderem Müllmakler und Spediteure verstrickt seien. Viele Täter würden innerhalb der Abfallwirtschaft legal agieren, „wenn sich aber die Möglichkeit ergibt, machen sie illegale Geschäfte“, so Jäkel.
Der Fall in Brandenburg ist exemplarisch. Nach der Wende erhielt der Unternehmer, dem das Gelände in Schönermark gehört, von den Behörden die Genehmigung für eine Entsorgungsanlage. Damit durfte er Abfälle aus der Papierindustrie zwischenlagern, um sie zu Brennstoff für Verbrennungsanlagen zu verarbeiten. Deponieren durfte er sie aber nicht. Doch genau das tat er: Über die Jahre häufte er immer mehr an.
Dabei hätte der Schwindel schon im März 2010 auffliegen und das illegale Geschäft gestoppt werden können. Bei einer routinemäßigen Lkw-Kontrolle auf der Autobahn hielt das Bundesamt für Güterverkehr einen Mülltransport an, der auf dem Weg nach Schönermark war. Dessen Ladung passte nicht zu den Angaben auf den Begleitpapieren, die der Fahrer mit sich führte. Auch das „angegebene Verwertungsverfahren“ erschien den Kontrolleuren „unplausibel“. In der Folge beschäftigte der Fall Umweltamt, Polizei und Staatsanwaltschaft.
Alarmiert durch die Lkw-Kontrolle flog das Landeskriminalamt über das Grundstück des Unternehmens. Auf den Luftbildern sah man, dass hier wesentlich größere Mengen gelagert wurden als die 5.000 Tonnen, die die Behörden zur Zwischenlagerung genehmigt hatten. Das LKA schätzte die tatsächlich gelagerte Menge auf das Vierfache. Daraufhin ermittelte die Staatsanwalt schaft gegen den Firmenchef.
Die Umweltbehörde vereinbarte mit dem Betreiber, dass er die Abfallberge Monat für Monat abzutragen habe, doch statt den Müll zu entsorgen, häufte erweiteren an. Bis zu einer Anlagenkontrolle im November 2012. Da verhängte die Umweltbehörde dann angesichts all des Mülls einen Annahmestopp.
Doch auch daran hielt sich der Deponiebe treiber offenbar nicht. Auf dem Gelände lagert nämlich Müll, der nach dem Annahmestopp im Jahr 2012 dort gelandet sein muss: ein Taschenkalender von 2014 zum Beispiel und eine Packung Fruchtpüree mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum Dezember 2017.
Strafen sind im illegalen Müllgeschäft selten
Auf eine Anfrage teilt das zuständige Landesamt für Umwelt mit, der Behörde lägen keine Erkenntnisse vor, „die auf eine Gefahr für Mensch und/oder Umwelt“ schließen ließen. Obwohl der Betreiber über Jahre falsche Mengen angegeben hat, glaubt man beim Landesumweltamt immer noch, dass an sonsten alles mit rechten Dingen zuging. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen den Betreiber schon im November 2011 gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 2.000 Euro ein. Strafen sind im illegalen Müllgeschäft selten und wenn, dann oft mild. Das belegen auch Zahlen aus dem Justizministerium Brandenburg für die Jahre 1994 bis 2015: In 90 Prozent der Fälle, die überhaupt vor Gericht landeten, verhängten die Richter eine Geldstrafe.
Dabei stehen die recht geringen Beträge im Gegensatz zu den Kosten für die Allgemeinheit. Laut amtlicher Schätzung würde die Räumung der Deponie in Schönermark rund acht Millionen Euro kosten.
Der Mann, der in Schönermark Zehntausende Tonnen Müll zu einer illegalen Deponie aufschütten ließ, verbringt den Ruhestand in einer Ferienhausanlage mit schönem Blick über das Odertal. Auf die Frage nach den Müllbergen sagt er: „Jeden trifft Schuld. Ich bin schuldig, weil es mein Grundstück ist.“ Mehr mag er nicht sagen.
Eines fällt aber sofort auf. Dort, wo er wohnt und sich mit der Vermietung von Ferienwohnungen befasst, sieht es zwischen Pferdestall und Bungalows unglaublich sauber aus.