Natürlich habe ich gewusst, dass es illegal ist, Filme und Musik auf Tauschbörsen runterzuladen. Auch meine Eltern haben mich immer wieder gefragt, ob ich mir der Gefahr bewusst sei. Natürlich habe ich gehört, dass es teuer werden kann, wenn man erwischt wird. Aber ich kannte einfach niemanden, der schlechte Erfahrungen gemacht hat. Den sie erwischt haben. Ich bin doch blöd, habe ich mir gedacht, wenn ich es nicht auch mache. Und natürlich ist es toll, so viel Musik und Filme auf dem Rechner zu haben.
Die ersten Lieder habe ich über Limewire gezogen. Damals war ich 14 Jahre alt, und mir war nicht wirklich klar, ob das illegal ist oder nicht. Ich wollte nichts Kriminelles machen, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass etwas, das so einfach geht, verboten ist. Mit dem Begriff Urheberrechtsverletzung konnte ich damals eh nichts anfangen. Aber als die ersten Geschichten über Abmahnungen in der Presse standen, haben meine Eltern mich gedrängt, Limewire zu deinstallieren. Eine Zeit lang habe ich dann Musik über YouTube runtergeladen, bis mir ein Freund gezeigt hat, wie BitTorrent funktioniert. Es waren nur ein paar Klicks, und die Software der Internettauschbörse war auf meinem Rechner installiert. Mein Freund hatte dann auch noch ein paar Tipps für mich: „Stell die Upload-Rate so niedrig wie möglich ein und zieh dir alles auf die externe Festplatte.“ Außerdem habe ich im Inkognito-Modus gesurft. Ich habe zwar gewusst, dass das nichts bringt, ich habe mich trotzdem sicherer gefühlt. Meine Eltern habe ich beruhigt mit dem Hinweis, dass ich alles so eingestellt habe, dass nichts passieren kann. Ich weiß nicht, ob sie mir geglaubt haben, aber was hätten sie auch tun sollen?
Vor anderthalb Jahren – da war ich fast 18 – kam dann der erste Brief von einem Anwalt. Ohne anzuklopfen – was schon mal ein schlechtes Zeichen ist –, stürzte meine Mutter ins Zimmer und knallte mir das mehrseitige Schreiben auf den Tisch. Ich las: „Es wurde festgestellt, dass in dem Netzwerk BitTorrent das unten stehende Werk unerlaubt vervielfältigt und dabei ausgehend von Ihrem Internetanschluss zum Download angeboten wurde.“ Es folgten Uhrzeit und Datum, IP-Adresse und der Dateiname. Zwischen all den Paragrafen, Aktenzeichen und Verweisen auf Gerichtsurteile fand ich die Behauptung, dass von einem „Gegenstandswert von 10.000 Euro“ auszugehen sei. Zur Vermeidung eines Gerichtsverfahrens bot uns der Anwalt einen Vergleich an: Innerhalb von 14 Tagen sollten wir 803 Euro überweisen und eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Ansonsten würden weitere „nicht unerhebliche Kosten“ auf uns zukommen.
Ich googelte, was man in einem solchen Fall tun kann, und fand folgende Tipps: „Erstens: Bewahren Sie Ruhe! Zweitens: Zahlen Sie den geforderten Betrag nicht! Drittens: Schalten Sie einen auf Urheberrecht spezialisierten Anwalt ein und lassen Sie das Schreiben auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen!“ Also noch mehr Kosten. Außerdem fand ich mehrere Hinweise darauf, dass man auf keinen Fall die vorgefertigte Unterlassungserklärung unterschreiben solle, weil sich diese für den Abgemahnten zum Nachteil auswirken und als Schuldeingeständnis ausgelegt werden könne. Empfohlen wurde, nur eine von dem eigenen Rechtsanwalt verfasste Unterlassungserklärung zu unterschreiben.
„Heiße Häschen suchen geile Eier“: Der Brief vom Anwalt war absurd und total peinlich
Der von uns beauftragte Anwalt konnte den Betrag auf 450 Euro runterhandeln und hat uns dafür eine Rechnung über fast 170 Euro geschickt. Mit meinen Eltern einigte ich mich darauf, dass ich die Hälfte davon in Raten an sie abzahle. Doch noch bevor das Geld überwiesen war, flatterten zwei weitere Briefe von der Anwaltskanzlei ins Haus. Dieses Mal wurde uns vorgeworfen, Pornos mit den Titeln „Perverse versaute Spiele“ und „Heiße Häschen suchen geile Eier“ runtergeladen und zum Download angeboten zu haben. Das war absurd und wahnsinnig peinlich obendrein. Ich konnte meine Eltern davon überzeugen, dass ich niemals solche Filme aus einer Tauschbörse auf meinen Rechner gezogen habe. Wir recherchierten im Internet und fanden heraus, dass die Kanzlei dafür bekannt ist, Tausende von Massenabmahnungen wegen angeblicher Urheberrechtsverletzung zu verschicken, und dass ihre Mandanten ausschließlich Pornofilmproduzenten sind, die ihre Filmchen an irgendwelche Songs hängen, ohne dass man es merkt.
In zahlreichen Foren und Blogs stießen wir auf Leute, denen das Gleiche passiert war. Manche sollten sogar noch mehr zahlen. Manche schrieben, dass sie einfach nicht bezahlt hätten und dass nichts weiter passiert wäre. Andere hatten aber schon ein Mahnschreiben mit einer doppelt so hohen Forderung bekommen und wurden langsam panisch. Wir erfuhren, dass IP-Adressen als legitime Beweismittel vor Gericht gelten, wenn diese mit einer Anti-Piracy-Software festgestellt worden sind, der ein vereidigter Gutachter gerichtsverwertbare Ergebnisse bestätigt hat.
Meine Eltern zahlten also wieder, insgesamt noch mal rund 1.200 Euro inklusive der Anwaltskosten, wovon ich ein Drittel übernehmen musste. Obwohl ich mit diesen Billig-Schrott-Pornos nichts zu tun hatte, waren die IP-Adressen wohl über die Tauschbörsen- Software auf meinem Computer ermittelt worden. Als dann Brief vier und fünf mit ähnlichen Vorwürfen und Forderungen kamen, wurde die Laune zu Hause immer schlechter. Um bei Politikern das Problem der Anwalt-Abzocke bekannt zu machen, schickten meine Eltern Briefe an einige Bundestagsabgeordnete. Alle, die geantwortet haben, schrieben, dass ihnen das Problem mit der „Abmahnindustrie“ umfänglich und seit Längerem bekannt sei. Jährlich, so schrieb ein Politiker, würden von der Telekom knapp 2,4 Millionen IP-Adressen herausgegeben, nachdem Rechtsanwälte diese über die Gerichte angefordert hatten. Und aufgrund von Fehlern in der Software zur Archivierung der IP-Adressen seien bislang schätzungsweise 100.000 Internetuser zu Unrecht abgemahnt worden. Immerhin wurde gerade ein Gesetzesentwurf fertiggestellt, der unter anderem die Höhe der Abmahngebühr bei der ersten festgestellten Urheberrechtsverletzung privater Internetnutzer auf maximal 155,30 Euro begrenzt.
Obwohl ich BitTorrent sofort nach dem ersten Brief deinstalliert habe, habe ich immer noch Angst, dass Briefe kommen, denn die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre, und die Inkassofirma, die die offenen Forderungen der Kanzlei ersteigert hat, versucht die offenen Beträge einzutreiben. Ich habe alle meine Freunde davor gewarnt, sich auf den Plattformen der Tauschbörsen zu bewegen. Die meisten haben damit aufgehört und sind insgesamt vorsichtiger geworden, aber die nächste Falle lauert schon bei Facebook: Vor Kurzem hat einer meiner Freunde eine Abmahnung bekommen, weil er eine Disneyfigur als Profilbild bei Facebook eingestellt hatte. Wem ist schon klar, dass man damit Urheberrechte verletzt? Ein anderer muss über 700 Euro zahlen, weil er einen Mitschnitt eines Konzerts bei MySpace veröffentlicht hat. Wie ich mittlerweile Musik höre? Nur noch auf legalen Plattformen wie Spotify oder Simfy. Und wenn ich einen Song wirklich haben will, dann kaufe ich ihn mir. Wie viele Songs ich für all die Abmahngebühren hätte kaufen können, will ich mir lieber nicht vorstellen.