Der Traum vom Eigenheim, vom Häuschen im Grünen: Mit der Realität hat das nur wenig zu tun. Deutschland ist zu einem großen Teil Mieterland. 57 Prozent aller Deutschen wohnen zur Miete, und etwa 43 Prozent der 40 Millionen Haushalte nennen eine Immobilie ihr Eigen. Im europäischen Vergleich ist dieses Verhältnis nur in der Schweiz ähnlich, in den anderen Ländern überwiegt das Eigentum. Und dementsprechend groß ist die politische Bedeutung der Rechte und Interessen von Mietern. Große Mietervereine setzen sich hierzulande für sie ein. Sie beraten, informieren und helfen, wenn sich Mieter und Vermieter so sehr streiten, dass nur ein Gerichtsurteil eine Entscheidung bringen kann.
Die ersten dieser Vereine wurden bereits während des 19. Jahrhunderts im deutschen Kaiserreich gegründet, als die Menschen auf der Suche nach Arbeit im Zuge der Industrialisierung in die Städte strömten – wo sie in schnell hochgezogenen Mietskasernen unterkamen. Heute ist das Mietrecht mit rund 100 Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgelegt. Hinzu kommen jedes Jahr unzählige Gerichtsurteile, die das Verhältnis von Mieter und Vermieter zusätzlich regeln.
Und die weiteren Prognosen stimmen nicht optimistisch: Trotz des Bevölkerungsrückgangs in der Bundesrepublik insgesamt wird die Nachfrage nach Wohnungen in den Großstädten weiter ansteigen. Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) wird es bis zum Jahr 2030 einen durchschnittlichen Neubaubedarf von 230.000 Wohnungen geben – pro Jahr. Der Mangel an erschwinglichem Wohnraum, der Zuzug in die Metropolen, stagnierende Einkommen, die rege Spekulationsaktivität von Maklern und Investoren bei sanierten Wohnungen und Neubauten hat vielerorts eine explosive Wohnsituation entstehen lassen.Zurzeit leben viele im deutschen Mieterland nicht gerade angenehm. Während im ländlichen Raum und in kleineren Städten Wohnungen und Häuser leer stehen und verfallen, wird es in den Ballungszentren, an wirtschaftlich attraktiven Standorten und in Universitätsstädten eng – vor allem für diejenigen, die aufs Geld schauen müssen. Seit Jahren steigen die Mieten in großen Teilen des Landes rasant: Mancherorts, wie in Berlin, gab es zwischen 2004 und 2014 einen saftigen Aufschlag von 45 Prozent, in Dresden und München waren es immerhin 27 Prozent. Allein die ersten beiden Quartale 2015 weisen laut einem Vergleich des Immobilienverbands Deutschland (IVD) für den Berliner Markt bei den Mieten immer noch eine Steigerung um gut 5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf. Fast 8 Euro müssen die Berliner im Durchschnitt für einen Quadratmeter Wohnraum an Kaltmiete berappen. Am teuersten leben die Münchner, die im Durchschnitt mehr als 12 Euro pro Quadratmeter hinblättern. Trotz hoher Einkommen müssen sie laut einer Erhebung des Jahres 2014 23,7 Prozent davon für die Miete abzwacken, bei den deutlich ärmeren Hauptstädtern sind es 22,9 Prozent. Am günstigsten wohnen von den Großstädtern die Dortmunder, die nur 17,6 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufwenden.
Einwohner gehen gegen Verdrängung, Gentrifizierung und gegen zu hohe Mieten auf die Straße. Eine der Ängste ist, dass diese Entwicklungen zur Entstehung abgehängter Bezirke beitragen, deren Einwohner nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können – verdrängt durch Luxuskieze, die im Gegensatz zu Sozialwohnungskomplexen Profit abwerfen. Für den sozialen Frieden in Deutschland wäre das nach Einschätzung vieler Experten wie beispielsweise des Soziologen Heiner Brülle eine tickende Zeitbombe. Deswegen haben sich Mieterinitiativen in Stuttgart, München, Hamburg oder in Berlin gegründet, um eine gerechtere Wohnpolitik zu erwirken.
Auch bei der Bundestagswahl 2013 war das Thema der Mieten so brisant. Kanzlerin Angela Merkel versprach, sich für niedrigere Mieten und eine gesetzliche Mietpreisbremse einzusetzen – die SPD ebenso. Die sogenannte Mietpreisbremse trat schließlich am 1. Juni 2015 in Kraft. Das „Gesetz zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten“ gibt den Ländern die Möglichkeit, die Miete dort, wo eine besonders schwierige Wohnsituation herrscht, zu deckeln. Die Gebiete mit „angespannten Wohnungsmärkten“ dürfen jedoch nur für die Dauer von höchstens fünf Jahren bestimmt werden. In diesen Bezirken darf der Mietpreis bei einer Neuvermietung maximal zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen. Ausgenommen von der Regelung sind Neubauten und komplett sanierte alte Wohnungen. Auch die Maklergebühr von üblicherweise 2,38 Nettokaltmieten soll – nach dem Bestellerprinzip – ab dem 1. Juni vom Vermieter getragen werden und nicht – wie es bisher oft gehandhabt wurde – vom Mieter. In Berlin gilt die Regelung bereits seit dem 1. Juni, in Hamburg und in vielen Städten des Rhein-Main- und des Ruhrgebiets seit dem 1. Juli. Im Süden Deutschlands ist die Einführung in vielen Städten im August und Oktober erfolgt beziehungsweise bis zum Jahresende 2015 geplant.
An dem Gesetz gab es im Vorfeld heftige Kritik. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) warnte davor, dass es letztlich den Mietern schaden werde. In einer Studie für den Berliner und Kölner Mietermarkt hat das IW ermittelt, dass sich die Mietpreisbremse nicht nur auf wenige tatsächlich überteuerte Wohnungen auswirken wird, sondern breitflächig auf den kompletten Markt. Mit der Folge, dass Investoren und Vermieter kaum noch nennenswerte Gewinne erzielen können. „Deswegen gehen wir davon aus, dass Mietwohnungen zunehmend an Selbstnutzer verkauft werden“, so IW-Forscher Michael Voigtländer. Denn: „Der Mietmarkt wird kleiner und das Problem der Knappheit von Mietwohnungen verstärkt.“
Auch Hans-Joachim Voth, der an der Universität Zürich Finanz- und Wirtschaftsgeschichte lehrt, glaubt, dass die Mietpreisbremse eine soziale Spaltung noch verstärken werde. „Die Vereinigten Staaten führten während des Zweiten Weltkriegs einen generellen Mietpreisstopp ein“, schreibt Voth in der „FAZ“. „Was geschah? Reiche Leute wohnten bald in übergroßen Wohnungen, die sie sich dank der Mietdeckelung viel einfacher leisten konnten.“ Voth geht davon aus, dass der Mietmarkt austrocknen wird. Bedürftige würden deswegen nur noch schwer eine Wohnung finden. Die Obdachlosigkeit werde ansteigen.
Der Eigentümerverband „Haus & Grund“ hält das neue Gesetz gar für „verfassungswidrig“ und wollte Vermieter bei einer Klage gegen das Gesetz unterstützen. Allerdings habe sich bis heute niemand gemeldet, wie der Berliner Verbandsvorsitzende Carsten Brückner in einem Beitrag des RBB sagt. Ob das Gesetz das Potenzial hat, die Mieten mittelfristig zu senken, muss abgewartet werden. Erste Anzeichen dafür gibt es aber bereits.
Neben der neuen Mietpreisbremse stehen den Städten und Kommunen aber noch andere Möglichkeiten zur Verfügung, die Verdrängung von einkommensschwächeren Mietern zu verhindern. Mit dem Paragrafen 172 des Baugesetzbuches können sie die Mietentwicklung in bestimmten Kiezen auch über sogenannte „soziale Erhaltungsverordnungen“ steuern. Das heißt: Wohnungen und Häuser können dann nicht einfach so komplett saniert und modernisiert werden. Was zur Folge hat, dass Vermieter und Investoren keinen Grund haben, die Mieten in einem bestimmten Bezirk drastisch anzuheben. Häufig wird eine solche „Erhaltungsverordnung“ mit dem Schutz der alten Bausubstanz in einem Viertel begründet. Beispielsweise kann so untersagt werden, Aufzüge einzubauen, Balkone anzubringen oder die Wohnungsstrukturen zu verändern.
Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln ist in einem solchen geschützten Gebiet dann kaum noch möglich. Man spricht bei diesen Regelungen im Allgemeinen vom „Milieuschutz“. In Berlin bestehen bereits 22 solcher Schutzgebiete – Tendenz steigend –, und auch in anderen Großstädten wie Hamburg, Stuttgart und München werden solche Erhaltungsverordnungen angewandt. Allerdings gibt es keine statistische Erhebung darüber, in wie vielen Kiezen bundesweit bereits ein Milieuschutz besteht.
Und auch an dieser Praxis gibt es durchaus Kritik: Der Präsident des IVD, Jürgen Michael Schick, kritisiert den Milieuschutz in einem Beitrag der Zeitung „Die Welt“ als Verhinderungspolitik, mit der soziale Verhältnisse zementiert und die Quartiere nicht weiterentwickelt würden. Es sei nicht Aufgabe des Staates, Wohnstandards vorzuschreiben, argumentiert Schick. Kritische Stimmen sind aber auch aus den Reihen der Mietervereine vernehmbar. Deren Experten bezweifeln, dass Maßnahmen wie die Mietpreisbremse oder der Milieuschutz wirklich helfen, langfristig Druck aus dem Kessel der Wohnungsmärkte in den Ballungszentren zu nehmen.
Der Stadtsoziologe Andrej Holm fordert stattdessen eine Wohnungspolitik, „die soziale Anforderungen der Wohnungsversorgung auch gegen private Verwertungsinteressen durchsetzt“. Letzten Endes müsse endlich der soziale Wohnungsbau durch die kommunale Politik gefördert werden, sagte er der „taz“. Der sei in den vergangenen Jahren aufgrund einer zu liberalen Stadtentwicklungspolitik vernachlässigt worden. Denn was fehle, um das Mieterland Deutschland wieder zu befrieden und zukunftsfest zu gestalten, seien vor allem: preiswerte Wohnungen. Dass es davon mehr geben muss, darüber sind sich die meisten einig. Nicht aber über den Weg, der zu diesem Ziel führen soll.
Foto: Florian Büttner