Auch für Google, die sonst allwissende Suchmaschine, ist das Darknet vor allem eines: ein großer weißer Fleck. Ein technisch abgeschirmtes Netz, so lautet die Minimaldefinition für „Darknet“. Und um diesen Schutz zu erreichen, gibt es theoretisch verschiedene Möglichkeiten. In der Praxis hat sich allerdings ein einziger Ansatz durchgesetzt: das Darknet über die Anonymisierungssoftware Tor.

Die ist eine Art digitaler Unsichtbarkeitsumhang. Ein kostenlos verfügbarer Browser auf der Basis von Tor, entwickelt von der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation The Tor Project, verschleiert die Identität von Internetnutzern. Und er macht auch die Betreiber spezieller Darknet-Seiten mit der Internetendung .onion unsichtbar. Die sind meist gemeint, wenn in den Medien vom Darknet geredet wird. Sie können nur mit Tor aufgerufen werden. Für klassische Internetbrowser wie Firefox oder Google Chrome sind sie unsichtbar – und auch für gängige Suchmaschinen.

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Waffen, Pillen, Illegales fliegen aus Laptop (Foto: Anthony Antonellis)

Ganz schön duster hier. Webseiten mit der Endung .onion kommt man nur mit der Tor-Software aufrufen

(Foto: Anthony Antonellis)

Anonymität ist quasi in die DNA des Darknets eingeschrieben, auch wenn Internetaktivisten mahnen, dass verschiedene Geheimdienste mit Hochdruck daran arbeiten, diese Anonymität technisch zu unterwandern. Trotzdem ist es bis heute nur schwer möglich, die Strukturen und „Bewohner“ des Darknets zu erforschen. Wissenschaftler, Netzaktivisten und auch staatliche Stellen versuchen dennoch zu verstehen, wie der versteckte Teil des Netzes tickt und wer dort was macht. Das weiß man heute schon über das Darknet:
 

1. Wie groß ist das Darknet?

Genau kann das keiner sagen. Bei klassischen Internetendungen wie .de oder .com gibt es jeweils eine zentrale Vergabestelle, nicht so für Seiten mit der Endung .onion. Die Darknet-Adressen werden automatisiert von der Tor-Software erstellt, und es gibt kein Adressregister. The Tor Project präsentiert seit Ende 2014 trotzdem Zahlen zu .onion-Seiten, die über einen komplizierten Mechanismus hochgerechnet werden. Zurzeit sind es etwa 60.000, die Zahl schwankt aber stark. Wie viele .onion-Adressen jemals erstellt wurden und zurzeit nicht genutzt werden, lässt sich gar nicht ermitteln.

Nur Vages kann man über die Zahl der Darknet-Besucher sagen. The Tor Project schätzt, dass pro Tag etwa 1,8 Millionen Leute weltweit die Tor-Software verwenden, darunter etwa 200.000 aus Deutschland. Wie viele davon nur per Tor-Browser anonym im normalen Internet surfen, ohne ins Darknet zu gehen, weiß die Organisation nicht. Die Zahlen der Tor-Anwender markieren in jedem Fall die Obergrenze für Darknet-User.
 

2. Wie illegal geht es im Darknet zu?

Durchaus illegal – aber nicht ganz so einseitig gesetzeswidrig, wie man denken könnte. Denn in die Schlagzeilen schafft es das Darknet meist nur, wenn die Polizei eine größere Razzia durchgeführt hat. Zuletzt wurden Ende Februar in Deutschland und im Ausland 69 Wohnungen durchsucht und neun Verdächtige festgenommen. Sie sollen mit Drogen, Waffen und Falschgeld gehandelt haben.
 
Zwei Forscher des britischen King’s College wollten herausfinden, inwiefern das Darknet tatsächlich vor allem für illegale Zwecke genutzt wird. Für ihre Untersuchung „Cryptopolitik and the Darknet“ haben sie 5.200 .onion-Webseiten analysiert. Von denen enthielt nur etwa die Hälfte Inhalte, die anderen waren schlicht „leer“ und hatten nichts, was sich untersuchen ließe. Von den Seiten mit Inhalt ordneten sie 57 Prozent der Kategorie „illegal“ zu, 43 Prozent klassifizierten sie als legale Inhalte.

In die Schlagzeilen schafft es das Darknet meist nur, wenn die Polizei eine Razzia durchgeführt hat.

 
Bei etwa einem Viertel (27 Prozent) der illegalen Angebote ging es um Drogen, bei einem Fünftel (21 Prozent) um Finanzgeschäfte wie Geldwäsche oder den Handel mit Falschgeld oder Kreditkartendaten, 9 Prozent fielen in die Kategorie Extremismus: Sie enthielten terroristische Hetze oder Aufrufe zu Gewalt. Auf 8 Prozent der Seiten ging es um „illegitime Pornografie“: vor allem Bilder missbrauchter Kinder, die auf versteckten Foren getauscht werden. 
 

3. Welche legalen Inhalte gibt es im Darknet?

Wissenschaftler interessieren sich vor allem für die illegale Seite des Darknets – die Forscher des King’s College haben die von ihnen erfassten 43 Prozent legalen Inhalte deshalb leider nicht weiter untersucht. Zu den legalen Inhalten zählen technische Tutorials, anonyme Blogs über Technik oder Politik und Spaßseiten, beispielsweise ein Portal mit zufällig ausgewählten Fakten über Katzen. Es gibt einige spezialisierte Tor-Dienste, etwa einen Datei-Tauschdienst namens OnionShare und den ultraanonymen Messenger-Dienst Ricochet.

Hinter einigen legalen Darknet-Seiten stehen Anbieter aus dem normalen Netz. Sie haben sich eine zusätzliche Darknet-Präsenz errichtet, die – so zumindest der Anspruch – abhörsicher und auch in Regionen mit Internetzensur aufgerufen werden kann. Seit Ende 2014 verfügt Facebook über eine alternative Zugangstür unter .onion, ebenso sind dort linke Projekte wie das Nachrichtenportal Indymedia oder das Serverkollektiv Riseup vertreten. Zudem haben einige Medienhäuser anonyme Postfächer für Whistleblower im Darknet eingerichtet, beispielsweise die deutsche Tageszeitung „taz“, der „New Yorker“ und die „Washington Post“ aus den USA sowie die britische Boulevardzeitung „Sun“.

 

4. Wie funktioniert der illegale Handel im Darknet?

Ähnlich wie bei legalen E-Commerce-Portalen wie Ebay: Auch auf den großen „Kryptomärkten“ im Darknet wie Alphabay oder Nucleus Market gibt es – ja, wirklich – Dinge wie AGBs, Kundenberatung und Rückgaberecht. Allerdings wird hier mit Krypto-Währungen wie Bitcoin bezahlt, und im Angebot sind Drogen, verschreibungspflichtige Medikamente, Falschgeld, Kreditkartendaten und manchmal auch Waffen. Kinderpornografie ist dort übrigens tabu.

Auch im Darknet gibt es Kundenberatung und Rückgaberecht.

Das wichtigste Handelsgut sind illegale Drogen: Laut einer US-Studie zur Evolution der Darknet-Marktplätze wurden im März 2015 etwa zwei Drittel des weltweiten Umsatzes beim Handel mit den meistverbreiteten Party-, Aufputsch- und Entspannungsdrogen erwirtschaftet: Cannabishaltige Drogen (36 Prozent), MDMA-haltige Substanzen wie Ecstasy (21 Prozent) und Stimulanzien wie Kokain (8 Prozent). Käufer können genau wie auf legalen Plattformen Händler bewerten – und somit diejenigen abstrafen, die mangelhafte Qualität verkaufen. 
 

5. Wie wird das Darknet überhaupt erforscht, wenn alles so anonym abläuft?

Im abgeschirmten Darknet müssen Wissenschaftler vor allem schätzen, hochrechnen und manchmal auch tricksen. Um mehr über die Geschäfte auf den illegalen Marktplätzen zu erfahren, haben US-Forscher die Zahl der Produktbewertungen erfasst. Kombiniert mit den jeweiligen Preisen der Waren haben sie dann Umsatzanteile für einzelne Produktgruppen geschätzt. Die britischen Forscher vom King’s College haben für ihre Untersuchung bestehende Übersichten mit .onion-Adressen genommen. Ein spezialisiertes Crawler-Programm ist dann Links zu anderen .onion-Seiten gefolgt, um weitere Adressen zu finden und untersuchen zu können – ähnlich, wie es auch Suchmaschinen im offenen Netz machen.

Im abgeschirmten Darknet müssen Wissenschaftler vor allem schätzen, hochrechnen und manchmal auch tricksen.

Andere Wissenschaftler stellen eigene Server als Tor-Knoten zur Verfügung. Über solche Knoten fließen im Darknet die Nutzerdaten, diese werden dabei anonymisiert. Die Wissenschaftler protokollieren an ihren Knoten aber gleichzeitig auch, welche .onion-Seiten durchgeleitet werden. Von solchen trojanischen Pferden im Auftrag der Wissenschaft hält die Tor-Organisation wenig. Und sie missbilligt auch die Versuche staatlicher Stellen, Tor zu unterwandern. Netzaktivisten vermuten, dass nicht wenige Knoten mittlerweile von Geheimdiensten und anderen Behörden betrieben werden, um Teile des Darknets zu deanonymisieren.
 

6. Wie sieht die Zukunft des Darknets aus?

Das Darknet befinde sich noch in den Kinderschuhen, meinte ein Tor-Entwickler auf der Jahreskonferenz der Hackerorganisation Chaos Computer Club im Dezember 2015. Über den aktuellen Zustand des Darknets sind die Entwickler von Tor sehr unglücklich. Sie hoffen, dass die legalen Nutzungsformen zunehmen und .onion irgendwann mehr wird als eine illegale Einkaufsmeile für Drogenkonsumenten. Auf der letzten Jahreskonferenz der Hackerorganisation Chaos Computer Club wünschte sich der Tor-Erfinder Roger Dingledine, dass bald auch Amazon, Twitter, Wikipedia und viele andere Webprojekte eine nicht zensierbare und anonyme Eingangstür unter .onion haben. Und er hofft, dass die Nutzung eines weniger illegalen Darknets irgendwann zur normalsten Sache der Welt wird.