„Ich lege Wert darauf, mich in Form zu halten, mithilfe einer ausgewogenen Diät und eines strengen Trainingsprogramms. Wenn mein Gesicht morgens etwas verquollen ist, setze ich eine Eismaske auf, während ich meine Sit-ups mache. […] Zum Duschen verwende ich ein wasseraktives Reinigungsgel, danach ein Honig-Mandel-Körperpeeling und für das Gesicht ein Peeling-Gel.“
Durchtrainiert, braungebrannt und makellos führt Patrick Bateman in seinem Luxusapartment durch die Morgenroutine. Was man zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Der Investmentbanker aus dem Roman „American Psycho“ wird nachts zum Serienmörder. Bateman gilt spätestens seit der Verfilmung des Buches als Sinnbild des entfesselten Kapitalismus. Für Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt ist er vor allem eins: ein Influencer, weit bevor es den Begriff gab. Auch in deren zur Schau gestellten Makellosigkeit zeige sich „die hässliche, untergründige Seite des Kapitalismus“, schreiben die Autoren in ihrem gerade erschienenen Buch „Influencer – Die Ideologie der Werbekörper“.
fluter.de: Influencer/-innen posten Inhalte, die ihnen wichtig sind, und finanzieren das mit Werbung. Was ist so schlimm daran?
Ole Nymoen: Wenn eine Nischen-Influencerin, die gerne kocht, kurz eine Pfanne in die Kamera hält nach dem Motto „Danke dafür, jetzt geht‘s weiter“, ist das überhaupt kein Problem.
Wolfgang M. Schmitt: Im Prinzip ist das nichts anderes als der klassische Anzeigenmarkt. Bei vielen Influencern ist es aber genau andersherum: Da wird das eigene Ich als vermeintlich authentische Figur inszeniert und jeder Schritt im Tag des Influencers mit einem Preisschild versehen: Seht her, das ist, was ich gerne koche, diesen Sport mache ich, für dieses Thema mache ich mich stark – jeweils verbunden mit einer Werbekooperation.
Ole: Häufig werben Influencer selbst dann, wenn sie nicht dafür bezahlt werden. Videos darüber, wie Sachen bei Amazon bestellt werden, Challenges wie „5 Minuten bei DM“: Die Leute sehen sich in ihrem Feed Dauerwerbesendungen an.
„Progressive Influencer bleiben Randphänomene. Die meisten haben immer noch Sixpacks, Bikinifiguren und sehr weiße, sehr große Zähne“
Warum klicken denn solche Morgenroutinen und andere Banalitäten besser als politische Themen? Sind wieder mal die Algorithmen schuld?
Wolfgang: Die greifen auch nur auf, was kommerziell erfolgreich ist, das heißt was möglichst banal und harmlos erscheint und gut mit Werbebotschaften kombinierbar ist. Früher hat schließlich auch Thomas Gottschalk für Goldbären geworben – und nicht jemand, der stark polarisiert. Es gibt mittlerweile zwar einige Influencer, die erkannt haben, dass sie mit politischem Anstrich neue Nischen erobern können; wenn sie beispielsweise über ihren Onlineshop blaue EU-Pullis verkaufen. Das kann man natürlich besser und sinnvoller finden als Schminktutorials und Fitnessvideos. Andererseits werden auch wichtige Themen dadurch immer nur oberflächlich behandelt im Sinne eines „Minimalkonsens“, damit die Inhalte nicht von den Algorithmen oder Werbekunden abgestraft werden.
Ist es nicht trotzdem erst mal begrüßenswert, dass Einzelpersonen mit wenig Aufwand Hunderttausende Menschen politisieren können? Influencer/-innen treten heute regelmäßig große Debatten los. Ich denke da zum Beispiel an Rezo und sein Video über die CDU.
Ole: Mit Rezo sprichst du tatsächlich eine große Ausnahme an. Über seine methodischen Ansätze lässt sich streiten, viele Fakten waren einseitig, aber: Er hat sich eine Stunde Zeit genommen, um komplexe Themen anzugehen. Was wir kritisieren, ist, wie Wolfgang eben sagte: Wenn Influencer politisch werden, dann in der Regel mit Inhalten, denen jeder zustimmen würde, der nicht völlig antifeministisch oder rassistisch ist. Dass beispielsweise auf einen rassistischen Artikel in einer Zeitung hingewiesen wird, ist gut und richtig. Aber ich glaube, dass das bei vielen Leuten die Ursachenforschung ersetzt. Dass man meint, mit ein bisschen Awareness ein reales Problem gelöst zu haben, ist eine große Bequemlichkeit. Und stimmt einfach nicht.
War das früher so anders?
Ole: Der Unterschied zu früher ist: Wer sich damals eine Sendung wie „Wetten dass?“ angesehen hat, hatte nicht das Gefühl, dass er sich mit Politik beschäftigt oder sich gar engagiert hätte. Auf sozialen Netzwerken dagegen beobachten wir eine gefährliche Pseudopartizipation: Hier ein Like, dort ein Retweet, schon denkt man, man hätte sich politisch engagiert.
Meint ihr nicht, dass die Follower/-innen unterscheiden können, um welche Art von Inhalt es sich handelt, und die Posts vielmehr als Anlass nehmen, sich zu informieren?
Ole: Nein, ich fürchte, die bleiben da stehen.
Wolfgang: Was du beschreibst – dass man seinen Feed erst mal nur als Informationspool wahrnimmt –, funktioniert, wenn man Inhalte einordnen kann. Also weiß: Das ist die Meinung eines Influencers, da steckt vielleicht eine Kampagne dahinter. Ich denke aber auch, dass Social Media häufig eher ein Ersatz ist. Rezos „Zerstörung der CDU“ hat politisiert und angeregt, Dinge zu hinterfragen. Aber – und das finde ich höchst interessant – der Fall Rezo hat sich nicht wiederholt. Die Medien haben das Thema aufgegriffen, alle Parteien haben in irgendeiner Form reagiert, aber kein einziger Influencer hat es gewagt, etwas Ähnliches zu machen. Rezos harsch formulierte Angriffspunkte – etwa der Drohnenkrieg oder die wachsende soziale Ungleichheit in Deutschland – hat kein bekannter Influencer aufgegriffen. Stattdessen ist man zur üblichen Konsensproduktion zurückgekehrt.
Das Topmodel Paloma Elsesser, die häufig als „Plus-Size-Model“ bezeichnet wird, sagte neulich im „ZEIT-Magazin“: „Dank der sozialen Medien haben wir heute das Glück, Menschen, die unterschiedlich aussehen und die uns auch im normalen Alltag begegnen, viel stärker in der Öffentlichkeit wahrzunehmen.“ Ist es nicht ein befreiendes Moment, wenn Influencer/-innen bestimmte Normen aufbrechen?
Wolfgang: Klar, das ist absolut begrüßenswert. Alte Gatekeeper verlieren ihre Bedeutung, und plötzlich zeigt sich: Die Leute wollen gar nicht immer die gleichen Körpertypen sehen.
Aber?
Wolfgang: Selbst wenn solche progressiven Influencer teils hohe Followerzahlen haben, bleiben sie allein von ihrer Zahl her extreme Randphänomene. Die allermeisten erfolgreichen Influencer haben immer noch Sixpacks, Bikinifiguren und sehr weiße, sehr große Zähne.
Ole: Für viele junge Menschen ist es eine große Entlastung, dass es in den sozialen Medien verschiedene Körperbilder gibt. Auch wenn es mitunter eine etwas zynische Spielart der Bodypositivity gibt. Wenn eine an sich „perfekte“ Influencerin ein Bild hochlädt, auf dem man sie mit Doppelkinn sieht, und dieses Bild mit dem Hashtag #nobodyisperfect versieht, impliziert das: An jedem anderen Tag bin ich verdammt noch mal perfekt. Das ist schon etwas boshaft.
„Für die Influencerinnen selbst mag ihr Erfolg durchaus ein befreiendes Moment sein“
Auf Körpernormen geht ihr in eurem Buch ausführlich ein. Warum ist der Druck durch soziale Medien eurer Meinung nach heute größer, wo doch überall Bodypositivity gepriesen wird?
Wolfgang: Das Körperideal ist immer noch das gleiche. Aber durch die vermeintliche Nähe der sozialen Netzwerke wähne ich die Person in meinem unmittelbaren Umfeld. Das war mal anders: Die Influencer von früher suggerierten keine Nähe, sondern Ferne. Marlene Dietrich hat in den ersten Jahren ihrer Karriere keine Autogramme gegeben, Greta Garbo kaum Interviews – um mal den ganz großen Bogen zu spannen. Damals konnte man sagen: „Ich bin kein Hollywoodstar oder Topmodel.“ Die Frage „Warum sehe ich nicht so aus?“ ist durch die gefühlte Nähe zu den eigenen Idolen heute viel naheliegender.
Ihr schreibt, dass Influencer/-innen neben diesen Körpernormen auch traditionelle Geschlechterrollen verstärken. Das finde ich interessant, da vor allem Frauen erfolgreich influencen …
Ole: Man könnte sagen, diese Influencerinnen sind als erfolgreiche Unternehmerinnen sehr emanzipiert. Es gibt oft sogar eine umgekehrte finanzielle Abhängigkeit, wenn beispielsweise Influencerinnen ihre Partner als Kameramänner engagieren. Gleichzeitig reproduzieren sie aber oft Normen …
Wolfgang: … und nähren die Illusion, dass man alles verbinden kann: Karriere, Familie, Sexyness, einen tollen Lifestyle. Das entspricht natürlich absolut nicht der Realität.
Ole: Für die Influencerinnen selbst mag ihr Erfolg also durchaus ein befreiendes Moment sein. Aber der Großteil macht anderen Frauen vor, wie sie sich zu stylen haben, um zu gefallen. Sie leben also davon, dass ihre Followerinnen diesen emanzipativen Schritt nicht schaffen.
Titelbild: Adam Amengual/NYT/Redux/laif