Es gab mal einen Spatzen, der wurde ein Star. Clarence der Wunderspatz fiel als Jungvogel aus seinem Nest in London und lag an einem Sommerabend im Zweiten Weltkrieg, klein und verletzt, vor der Haustür von Clare Kipps. Kipps, eine Hobbyvogelkundlerin, die beim Zivilschutz arbeitete, nahm ihn mit rein, päppelte ihn auf und rettete ihm das Leben. Sie wurde seine Ziehmutter, brachte ihm Kunststücke bei – schon bald konnte Clarence zum Beispiel mit Streichhölzern jonglieren – und nahm ihn mit in die Bunker der Stadt, wenn die Nazis wieder mal über London flogen.
Zwischen verängstigten zusammengekauerten Menschen führte Clarence seine Tricks auf. In seiner Anwesenheit, heißt es, ließen sich weinende Kinder ohne Klagen Gasmasken anlegen. Clarence war beliebt und wurde schnell berühmt – vor allem für seine Hitler-Imitation. Piepend plusterte er sich dabei auf, hüpfte auf eine Dose, hob seinen rechten Flügel in die Luft, sang sich minutenlang in Rage und wurde immer lauter und schneller, bis er scheinbar ohnmächtig auf den Boden fiel.
Ich rief: Spatz, komm, ich füttre dich!
Er faßt mich scharf ins Auge.
Er scheint zu glauben, daß auch ich
Im Grunde nicht viel tauge.
(Wilhelm Busch, „Der Spatz“)
Allerdings verbietet Staatschef Nicolás Maduro die Einfuhr von Hilfsgütern: Sie wäre nur eine „politische Show“, um ihn zu stürzen. Deshalb schmuggelt Pérez’ Organisation die Medikamente nach Venezuela. Weil das menschlich nachvollziehbar, aber rechtlich nicht ohne ist, bleiben Pérez, die Organisation und ihre 24 freiwilligen Helfer in dieser Geschichte anonym.
Die Geschichte von Clarence erzählt viel, und sie zeigt auch, wie eng die Bindung sein kann zwischen Mensch und Spatz. Und tatsächlich: Haussperlinge, so heißen die Vögel korrekterweise, haben sich uns Menschen vor mehr als 10.000 Jahren angeschlossen. Sie sind uns als sogenannte Kulturfolger hinterhergezogen, haben sich uns angepasst, und heute gibt es sie überall dort, wo auch wir Menschen leben.
Noch jedenfalls.
Seit 2002 steht der Spatz in Deutschland auf der Vorwarnstufe der Roten Liste, seit 2018 gilt er in Hamburg sogar als gefährdet. Dort ist der Bestand allein in den vergangenen 15 Jahren um 45 Prozent gesunken.
Wer wissen will, woran das liegt, muss Uwe Westphal anrufen. Der Biologe und Tierstimmenimitator hat 2016 das Buch „Mehr Platz für den Spatz!“ geschrieben und erzählt am Telefon von glatten Neubauten, die mit ihren dichten Dämmungen keine Nistplätze mehr bieten. Von zugebauten Brachen, auf denen früher noch die Spatzen wohnten. Und von versiegelten Flächen, die den Dreckspatzen ihre so dringend benötigten Staubbäder unmöglich machen.
Anders als früher fühlt sich der Spatz also nicht mehr dort wohl, wo wir Menschen sind. Im Gegenteil: Da, wo wir uns am breitesten machen, verschwindet er. Uwe Westphal ist deshalb besorgt: „Spatz und Mensch leben seit Ewigkeiten zusammen. Wenn die nun plötzlich nicht mehr gemeinsam mit uns existieren können, dann sollten wir uns wirklich Gedanken machen.“
Dass der Spatz aber überhaupt noch mit uns zusammenleben will, gleicht schon einem Wunder. Denn gut behandelt haben wir ihn, ehrlich gesagt, nicht: Lange galten Spatzen als Schadvögel, als Korndiebe. Mao ließ die Spatzen fast ausrotten, weil sie das Saatgut aufpickten, und erntete dafür eine Hungersnot, weil die Insekten zur Plage wurden und über das Land herfielen. Auch in Deutschland versuchte man bis in die 1960er-Jahre, die Vögel zu vernichten: Man vergiftete Weizen und hat sogar ihre Schlafplätze mit Dynamit gesprengt.
Noch hat der Sperling aber immer einen Ausweg gefunden. Was ihm dabei sicherlich zugutegekommen sein dürfte, ist seine hohe Intelligenz. Und vielleicht auch, dass wir Spatzenhirne diese immer unterschätzt haben.
Illustration: Frank Höhne