Bei den Aufständen vom 17. Juni 1953 hatten junge Menschen aus einer christlichen Jugendorganisation schon einmal eine wichtige Rolle gespielt. Wohl auch deshalb wurde in den rebellischen 1960er-Jahren, als der Rest der Welt sich für die Beatles und die Stones begeisterte, in der DDR Wert darauf gelegt, dass sich die Jugendlichen zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ entwickelten. Das bedeutete natürlich Gehorsam in allen Lebensbereichen – auch in der Musik.
Rockmusik aus dem Westen zu hören war in der DDR ein staatsgefährdender Akt. Zumindest sah das die DDR-Führung so. Ein völlig ausgeartetes Rolling-Stones-Konzert in Westberlin 1965 bestätigte die Staatsführung in ihrem Wahn, dass westliche Musik eine Form der „Feindtätigkeit“ sei, die die Jugend verderbe. Diese Liedtexte mit ihrem „je, je, je“ (gemeint war das „yeah, yeah, yeah“ in „She Loves You“ von den Beatles), diese „unkoordinierten Verrenkungen“ (gemeint war Rock ’n’ Roll) und diese „negativ-dekadenten“ Frisuren (gemeint waren halblange Haare): All das war der Staatsführung zuwider. Man müsse doch nicht „jeden Dreck“ kopieren, der aus dem Westen komme, polterte im Oktober 1965 der Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht.
Jugendliche sollten sich zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ entwickeln
Die Behörden erteilten deshalb mehreren Bands unbefristete Auftrittsverbote, darunter auch der beliebten Leipziger Band Butlers. Aus Protest trafen sich am 31. Oktober 1965 etwa 1.000 bis 2.000 Jugendliche auf dem großen Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig. Sie forderten, das Verbot für die Beat-Musiker aufzuheben – und erregten so den Zorn der Staatsmacht. Die Polizei löste die Demo gewaltsam auf, 264 Jugendliche wurden verhaftet. 97 von ihnen mussten wochenlang „beaufsichtigten Arbeitseinsatz“ im Braunkohle-Tagebau leisten. Es war eine der größten Protestaktionen in der Geschichte der DDR.
Eine 16-Jährige solidarisierte sich wenige Tage später mit den Demonstranten und las in Leipzig öffentlich staatskritische Gedichte vor. Die Behörden wiesen sie zur Strafe in einen Jugendwerkhof ein, eine Art Umerziehungslager für aufmüpfige Jugendliche. Auch zwei 17-Jährige mussten für ihre Solidarisierung büßen. Auf Litfaßsäulen, Schaufenster und Hauswände hatten sie „Freiheit für alle Beat-Fans“ geschrieben – und mussten dafür 15 Monate ins Gefängnis.
Die Aufbruchstimmung währte nur kurz – der Keim für die zukünftige Opposition war gelegt
1971 kam Erich Honecker in der DDR an die Macht, der ehemalige Chef der Jugendorganisation FDJ. Sein Satz, dass es nicht darauf ankomme, was jemand auf dem Kopf trage, sondern was er im Kopf habe, weckte bei vielen Hoffnung. Doch die Aufbruchsstimmung währte nur kurz. Fünf Jahre später wurde der Liedermacher Wolf Biermann ausgebürgert. Viele Jugendliche solidarisierten sich mit ihm, in Jena etwa Mitglieder einer christlichen Jugendgruppe. Spitzel der Stasi ließen die Protestierenden zwar auffliegen, doch der Keim für die zukünftige Opposition bis 1989 war gelegt.
Die Jugend sollte die gesamte DDR-Zeit über immer wieder aufmüpfig werden – und sich bis zuletzt nicht vorschreiben lassen, welche Art von Persönlichkeit sie entwickeln, welche Musik sie hören, welche Ideen sie interessieren und welche Frisur sie tragen sollten.
Immer wieder: Die junge Generation begehrt auf und fordert radikale Erneuerung. Unsere historische Reihe über politische Jugendbewegungen:
Teil 1: Wartburgfest und Hambacher Fest – Bürger sein, nicht Untertan
Teil 2: Die 68er – Lüften in einem muffigen und verstaubten Land
Teil 3: Die Jungtürken – für eine Republik gekämpft, dann Unterdrücker geworden
Teil 4: Schüleraufstand in Soweto – der Anfang vom Ende der Apartheid in Südfrika
Teil 5: DDR-Jugendopposition – eine Staatsführung im Dauerclinch mit der Jugend
Illustration: Enrico Nagel