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Bei der Wahl zum Jugendwort des Jahres spielt die Gebärdensprache keine Rolle. Dabei entstehen auch dort ständig neue Begriffe

DGS Jugendsprache

Wenn in Deutschland Jugendliche für ihr jährliches Jugendwort abstimmen sollen, läuft das immer gleich ab, nämlich cringe. Susanne Daubner liest in der „Tagesschau“ ein paar Wörter vor und kreiert damit Memes für die kommenden Wochen. Was dabei nicht vorkommt, sind die Jugendwörter in Gebärdensprache.

In Deutschland gibt es neben der deutschen Lautsprache auch die Deutsche Gebärdensprache (DGS). Zwischen 80.000 und 300.000 Menschen sprechen die DGS, die erst seit 2002 gesetzlich anerkannt ist. Wie im Gesprochenen unterscheiden sich auch die Gebärden sogar von Region zu Region innerhalb des Landes, es gibt also verschiedene Dialekte. Und nicht nur das: „Wir finden in der Deutschen Gebärdensprache genauso expressive Bildungen, genau den gleichen kreativen Umgang mit Sprache wie im gesprochenen Deutschen. Auch unter den Jugendlichen“, sagt Linguist Fabian Bross von der Universität Stuttgart.

Dass Gebärdensprache immer im Wandel ist, bestätigt auch Isabella Buckenmaier. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Gebärdensprache an der Universität Hamburg. Sie erzählt, dass sich Jugendwörter nach und nach in den normalen Sprachgebrauch von Gebärdenden eingliedern: „Kneipe ist jetzt ein normaler Begriff, war aber mal Jugendsprache.“

Seit 2009 führt die Universität Hamburg das sogenannte „DGS-Korpus-Projekt“ durch. Das Ziel ist dabei, den aktuellen Stand der Deutschen Gebärdensprache widerzuspiegeln. Gebärdensprechende werden dabei gefilmt, wie sie sich über bestimmte Themen unterhalten, diskutieren oder etwas nacherzählen. So wurden über drei Millionen Verwendungen von Gebärden festgehalten. Das Videomaterial ist öffentlich zugänglich, erzählt Isabella Buckenmaier, denn: „Gebärdensprachlernende, zum Beispiel angehende Dolmetscher:innen, können Material aus verschiedenen Altersstufen anschauen, verstehen und üben.“

Adelina aus Hamburg ist mit der DGS als Muttersprache aufgewachsen. In der Uni oder im Handballteam spricht sie Lautsprache, die sie in der Kindheit mithilfe von Logopädie gelernt hat. Mit ihren Freund:innen gebärdet sie meist. „Klar kenne ich die Jugendwörter wie smash oder cringe, die benutze ich meistens beim Chatten.“

Eine Übersetzung für die Jugendwörter in die DGS gibt es nicht – dafür aber eigene Jugendwörter. „Saa“ ist eine Gebärde, mit der Jugendliche Unbehagen ausdrücken. Dabei schwenkt man seine zwei geballten Fäuste vor seiner Brust. „Mittlerweile schreibe ich ‚Saa‘ auch beim Chatten mit meinen Freunden“, erzählt die 22-Jährige. „Elouu“ gebärden Jugendliche, wenn sie zeigen wollen, dass jemand keine Chance hat. „Sios“ kann man mit einem Abwinken gleichsetzen – diese Gebärde benutzt man, wenn man etwas für sinnlos hält. „Tut weh“ wird gebärdet, wenn man Schadenfreude ausdrücken möchte. Auch für den Kommentar „Das finde ich zum Einschlafen“ gibt es eine passende Gebärde.

saaa.gif

Saa
Saa

„Mashallah“ gibt’s auch auf Gebärdisch

Von coolen Gebärden erfährt Adelina meist über soziale Medien. Wenn ihr eine Gebärde gefällt, erstellt sie GIFs oder Sticker, die sie dann auf WhatsApp verschickt. Adelina nutzt oft auch Gebärden aus anderen Sprachen. So verwendet sie statt der deutschen Gebärde für „wichtig“ meist die englische für „important“ und für das deutsche „warum“ das englische „why“. Darüber hinaus ist die arabische Gebärde „Habibi“, was Freund oder Liebling bedeutet, auch unter deutschen Gebärdensprechenden populär. Ebenso wie die arabische Gebärde „Mashallah“, mit der Wertschätzung oder Hoffnung ausgedrückt wird. „Auch in der Jugendsprache werden besonders häufig Wörter aus anderen Sprachen genutzt, denn damit grenzen sich Jugendliche ab“, erklärt Linguist Fabian Bross.

Wenn Jonathan mit seinen Freunden zockt, nutzt er Videocalls, um sich zu unterhalten. „Wenn ich gewinnen will, zeige ich die Gebärde, die ‚Ich mach dich fertig‘ bedeutet“, erzählt der 20-Jährige. Falls er mal verliert, gibt es eine passende Gebärde, die so viel bedeutet wie „Fick alles“. Übrigens: Auch für „Zocken“ gibt es eine Gebärde. Wer in Gebärdensprache von einem Joint spricht, formt dabei die Gebärde für den Buchstaben L in der Nähe des Mundes. „Erwachsene kennen die Gebärde meist nicht, deshalb verstehen sie dann auch nicht, wovon ich und meine Freunde sprechen“, sagt Jonathan.

Auch für Jonathan ist die DGS die Muttersprache. Aktuell wohnt er in einem Internat. Für taube Jugendliche aus ländlichen Regionen ist das oft die einzige Möglichkeit, einen Schulabschluss zu machen. Wenn er zu Hause mit seinen Eltern und Großeltern, die ebenfalls taub sind, gebärdet, fallen ihm dabei Unterschiede auf: „Meine Großeltern buchstabieren in der DGS ganz anders, als meine Freunde und ich das machen. Bei ihnen werden die geschriebenen Buchstaben viel mehr mit den Händen imitiert.“

Dass die DGS sich von Generation zu Generation verändert, bemerkt auch Adelina: „Früher war Gebärdensprache mit viel mehr Scham verbunden, deshalb wurde dabei weniger Mimik verwendet. Heute ist das anders.“ Dafür sei die Gestik in der gebärdeten Jugendsprache weniger ausgeprägt. Während die DGS eigentlich Gestik auf Kopf-, Schulter- und Brusthöhe beinhaltet, gebärden Jugendliche meist unterhalb der Schultern. Hebt man die Hände höher, bedeutet das, man möchte etwas besonders betonen.

Forschung, die sich allein mit der Jugendgebärdensprache beschäftigt, gibt es bislang in Deutschland kaum. Im kommenden Jahr erfasst das DGS-Korpus-Projekt in Hamburg allerdings gezielt Gespräche zwischen Jugendlichen. Ziel dabei ist es, die Sprache der Generation zu dokumentieren. „Dabei wird auch Jugendsprache auftauchen“, hofft Forscherin Isabella Buckenmaier.

GIFs: Renke Brandt (mit freundlicher Unterstützung von Isabella Buckenmaier) 

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.