Kerzen vor einem Porträt des Journalisten Ján Kuciak und seiner Freundin Martina Kušnírová

Der Kampf um die Wahrheit

Im Sommer 2024 wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Slowakei abgeschafft. Seither berichten Journalist:innen von Einschüchterungen durch die Regierung und von gezielten Desinformationen. Droht nun ein Zerfall der Pressefreiheit?

Linda Huber
Thema: Demokratie
17. Januar 2025

Am 21. Februar 2018 erschoss ein Auftragsmörder den Journalisten Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová in seinem Haus in Vel’ká Mača, Slowakei. Kuciak hatte Korruption in höchsten Kreisen aufgedeckt. Die Medien brachten das Verbrechen mit dem damaligen Premierminister Robert Fico in Verbindung.

Die Morde lösten die größten Proteste seit dem Ende des Kommunismus aus. Karolína Farská war damals eine der Anführer:innen. Mit 18 Jahren wurde sie zur Stimme einer jungen Generation, die Gerechtigkeit forderte. Premierminister Robert Fico, damals in seiner dritten Amtszeit und Symbol eines korrupten Systems, trat zurück. „Es war unglaublich, dass das tatsächlich passiert“, sagt Farská.

Hintergründe zum Mord an Ján Kuciak

Auf dem Küchentisch fanden Ermittler:innen zwei Laptops. Martina Kušnírová suchte nach Brautkleidern für die Hochzeit, Ján Kuciak recherchierte zu Verbindungen zwischen der kalabrischen Mafia ’Ndrangheta und slowakischen Eliten. Es war seine letzte Arbeit im Rahmen des Panama-Papers-Skandals rund um Steuerhinterziehung und Geldwäsche, bevor man ihn und seine Verlobte am 21. Februar 2018 in seinem Haus tötete.

Ján Kuciak, 27, war Investigativjournalist und deckte Korruption und Mafiaverstrickungen auf. Über den einflussreichen Geschäftsmann Marián Kočner schrieb er mehrfach, der ihm auch anschließend drohte, sich „persönlich um ihn zu kümmern“. Kuciak meldete die Drohung der Polizei, doch diese reagierte kaum. Wenig später wurde er erschossen.

Der Mord wurde von einem Auftragsmörder ausgeführt, der gestand und verurteilt wurde. Marián Kočner, der als mutmaßlicher Auftraggeber angeklagt wurde, wurde 2020 und 2023 ein weiteres Mal mangels Beweisen freigesprochen.

Heute, sechs Jahre später, dokumentiert Farská für die Safe-Journalism-Plattform des Investigativzentrums Ján Kuciak Angriffe auf Journalist:innen. Aus der Anführerin wurde eine Chronistin, die aufzeichnet, was sie einst verhindern wollte: die Bedrohung der Pressefreiheit in der Slowakei. Journalist:innen werden zu Feind:innen erklärt, unabhängige Medien unter Druck gesetzt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk in ein Staatsmedium umgewandelt. Denn Robert Fico ist zurück. Im Herbst 2023 wurde er erneut Premierminister. Seitdem schürt er eine zunehmend feindselige Stimmung gegenüber Medienschaffenden. „Er hasst Journalist:innen, weil sie eine Rolle dabei spielten, dass er seine Macht [2018] verloren hat“, sagt Karolína Farská. 

Über Desinformationskanäle wie den des YouTubers Daniel Bombic, der mit antisemitischen Inhalten auffällt, verbreitete Fico eine neue Erzählung der Ereignisse: Die Proteste gegen ihn seien von westlichen Mächten gesteuert worden, angeführt vom jüdischen US-Investor George Soros. Dieser ist im Zuge seines politischen Engagements in Osteuropa immer wieder Antisemitismus ausgesetzt. Verschwörungen wie diese hält die Journalistin Xénia Makarová für absurd: „Aber vor ein paar Monaten fragte mich sogar meine Mutter: ‚Wirst du wirklich von Soros bezahlt?‘ Sie wiederholen dieselben Lügen so oft, bis die Leute sie glauben“, sagt Makarová.

Karolína Farská während des Protests in Bratislava, April 2017

Karolína Farská (zweite von links) bei einer selbstorganisierten Anti-Korruptions-Demonstration. An dem Protest nahmen bis zu 10.000 Menschen teil

Fotos: Akos Stiller/NYT/Redux/laif

In der Slowakei herrscht ein Klima der politischen Gewalt. Robert Fico wurde am 15. März bei einem Attentat lebensgefährlich verletzt. Während einer Pressekonferenz im Herbst 2024 beschuldigte er mehrere Medien, indirekt schuld daran zu sein, dass er angeschossen wurde. Gleichzeitig häufen sich Angriffe auf Journalist:innen, auch durch Regierungsmitglieder. „Der Kampf um Medienfreiheit eskaliert“, sagt Lucie Sykorova vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF). Laut der Organisation ereigneten sich im Jahr 2024 bisher 40 gemeldete Angriffe, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.

Erst in Ungarn, jetzt auch in der Slowakei

Xénia Makarová selbst hatte im Oktober 2024 einen kritischen Artikel über die Renovierung des Regierungsgebäudes veröffentlicht. Am nächsten Tag klopften Juraj Gedra, der Leiter des Regierungsbüros, und Erik Kaliňák, EU-Abgeordneter und Berater des Premierministers, unangekündigt an ihre Bürotür. Der eine filmte sie mit dem Handy, der andere stellte aggressive Fragen zu angeblichen Fehlern im Artikel. Noch am selben Tag erschien auf den offiziellen Facebook- und YouTube-Profilen der Regierungspartei SMER ein bearbeitetes Video, das die Angreifer positiv darstellte. Die Partei zahlte auf Facebook für zusätzliche Reichweite, und Makarová traf eine Welle von Hass und Morddrohungen. „Ich kann nicht in ihre Köpfe sehen, aber sie wollten offenkundig kein Gespräch führen. Ihr Ziel war es, ein Video für die sozialen Medien zu produzieren“, sagt sie heute. „Ich sollte als Journalistin unglaubwürdig aussehen.“

Angriffe auf die Pressefreiheit machen jedoch nicht bei Einzelnen halt, sondern gehen an die Struktur. „Es ist wie in Ungarn: Copy Paste in der Slowakei“, sagt die Journalistin Soňa Weissová. Sie versuchte, den Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in ein Propagandainstrument der Regierung aufzuhalten. Eine Entwicklung, die Kritiker:innen „Orbanisierung“ nennen – in Anlehnung an den Staatsumbau des ungarischen rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. „Es hätte Haie gebraucht, um die Proteste zu organisieren. Ich bin nur ein kleiner Fisch, aber irgendjemand musste es ja machen.“

Robert Fico

Wieder Ministerpräsident: Robert Fico wurde 2023 zum dritten Mal ins Amt gewählt

Foto: Sergei Gapon/AFP via Getty Images

Weissová, die 15 Jahre beim Rundfunk gearbeitet hatte, wurde zur Protestfigur: Sie organisierte Demonstrationen, sprach in Podcasts, ließ sich mit zugeklebtem Mund fotografieren – ein Symbol für erstickte Pressefreiheit. Doch einen Monat nach dem Attentat auf Robert Fico im Mai 2024 stimmte das Parlament einer Reform zu. Die unabhängige Rundfunkanstalt RTVS wurde abgeschafft und durch eine regierungskontrollierte Einrichtung, die STVR, ersetzt. Die Leitungsposition wird von einem Rat bestimmt, dessen Mitglieder vom Kulturministerium und Parlament ernannt werden. Finanziert wird die STVR durch Werbung und staatliche Zahlungen, was deren Unabhängigkeit zusätzlich infrage stellt.

„Ich verstehe, wenn man Kinder hat oder einen Kredit, den man zurückzahlen muss. Aber ich wollte abends in den Spiegel sehen können“

Soňa Weissová, slowakische Journalistin

Wenige Wochen später kündigte Weissová: „So konnte ich nicht mehr arbeiten.“ Auch andere Journalist:innen wurden entlassen oder gingen freiwillig. Manche passten sich den neuen Strukturen an. Kolleg:innen, die einst beim „Schwarzen Tag“, dem Tag nach dem Regierungsbeschluss, mit Weissová protestiert hatten, grüßten sie inzwischen nicht mehr. „Ich verstehe, wenn man Kinder hat oder einen Kredit, den man zurückzahlen muss. Aber ich wollte abends in den Spiegel sehen können – was hatte ich denn für eine andere Wahl, als zu gehen?“, sagt sie. Heute besucht Weissová Deutschkurse, um im deutschsprachigen Journalismus Fuß zu fassen – auch wenn sie wenig Hoffnung hat.

Karolína Farská, die nach Ján Kuciaks Tod die Proteste anführte und heute Angriffe auf Journalist:innen dokumentiert, sieht bei Fico mehr als nur Rache. „Eines seiner Hauptziele ist es, sich und seine Verbündeten vor strafrechtlichen Konsequenzen zu schützen, die in einer funktionierenden Demokratie auf sie zukämen.“ Nach dem Mord an Ján Kuciak und der Berichterstattung der Medien wurden hochrangige Politiker festgenommen – ein seltenes Zeichen dafür, dass der Rechtsstaat funktionierte. Doch Fico zog daraus seine Lehren: Er baut demokratische Strukturen ab, schwächt die Presse und sichert so seine Macht gegen Kritik.

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Titelbild: Vladimir Simicek/AFP via Getty Images