„Ey, du Assi. Die Ampel ist rot!“ Die Fußgängerampel springt um, doch in allerletzter Sekunde heizt noch ein Auto unbedacht darüber. Die Reifen quietschen, der Motor dröhnt.
„Was für ein Proll.“ Sobald solche Worte fallen, ploppt vor dem inneren Auge ein Bild auf. Dabei können wir auf die Schnelle gar nicht wissen, wer am Steuer saß. Vielleicht war es gar kein Mann im Trainingsanzug und mit zurückgegelten Haaren, sondern eine Frau, die im SUV über die rote Ampel gebrettert ist, um rechtzeitig zu ihrem Meeting zu kommen. Sehr wahrscheinlich war es sogar eine ganz andere Person.
Wenn es um Rassismus und Sexismus geht, wächst das Bewusstsein für die Diskriminierung durch Sprache allmählich, beim Klassismus – also der Benachteiligung und Ausgrenzung aufgrund der sozialen Herkunft – fehlt es noch an Sensibilität. Dabei gehen die verschiedenen Formen von Diskriminierung oft Hand in Hand: Je häufiger zum Beispiel Medien Schulen mit einem hohen Migrationsanteil als „Brennpunkte“ bezeichnen, desto eher werden Kinder mit Migrationshintergrund als ungebildet und problematisch wahrgenommen und entsprechend benachteiligt.Wer weiß, wie das Wort „Asoziale“ einst benutzt wurde, gebraucht es eh nicht mehr so leicht. „Asoziale“ wurden im Nationalsozialismus verfolgt, viele kamen ins KZ und wurden ermordet. Darunter waren obdachlose oder verarmte Menschen, aber auch kinderreiche Familien aus unteren Schichten und Prostituierte. Dagegen ist „Proll“ von Proletariat abgeleitet, also der Arbeiterschaft des 19. Jahrhunderts. Heute bezeichnet es eher Menschen ohne Manieren.
Klassenunterschiede äußern sich also nicht nur durch Einkommen oder Lebensstil, sondern auch durch Sprache. In der Schule wird die sogenannte Standardsprache gelehrt, Hochdeutsch, akzentfrei und grammatikalisch einwandfrei. Jede Abweichung davon enthüllt vermeintlich einen Klassenunterschied. Wer sich in einer Situation nicht „richtig“ artikulieren kann, fällt auf. Beim Abendbrot eines Professorenpaares wird anders gesprochen als in der Mittagspause auf der Baustelle. Selbst wer versucht, sich sprachlich anderen Klassen anzunähern, wird meist enttarnt. Wer zu korrekt spricht, lässt seine Unbeholfenheit erkennen. Wer immer hochgestochen gesprochen hat, wird Schwierigkeiten haben, sich zwangloser auszudrücken.
Falsch verwendete Ausdrücke oder starke Dialekte können sogar den sozialen Aufstieg erschweren oder verhindern. „Kiezdeutsch“ gehörte einst dazu. Bei der urbanen Jugendsprache vermischen sich deutsche und vor allem aus dem Türkischen und Arabischen stammende Wörter. Wer es spricht, galt einst als aggressiv und ungebildet. Da sich darin auch Identität und Abgrenzung ausdrücken, hat das „Kiezdeutsch“ Eingang in die Popkultur gefunden. Längst ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass sich auch Jugendliche ohne Migrationshintergrund solche Ausdrucksweisen aneignen.
Sprache bildet die Zustände der Gesellschaft ab. Sie offenbart, wie tief Ungleichheiten verwurzelt sind und wie wir diese durch unsere Ausdrucksweise zementieren: Du bist, was du sprichst. Aber genauso gilt: Durch Sprache haben wir die Möglichkeit, soziale Unterschiede einzuebnen. Und nicht mehr so „assi“ zu sein.