Viele aufgeregte politische Debatten drehen sich um Zahlen. Manchmal hilft Nachrechnen, um einen kühlen Kopf zu bewahren. Zum Beispiel, wenn es um die Terrorgefahr in Deutschland geht. Davon ist zumindest der Ökonom und Friedensforscher Tilman Brück überzeugt. Der befasst sich unter anderem damit, welche Sorgen unser Verhalten treiben und wie verschiedene Akteure mit Risiken umgehen

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Ausgerechnet Frauen auf dem Land haben die größte Angst vor Terror. Dabei müssten gerade sie sich eigentlich keinen Kopf machen

Ausgerechnet Frauen auf dem Land haben die größte Angst vor Terror. Dabei müssten gerade sie sich eigentlich keinen Kopf machen

fluter.de: Sie benutzen ökonomische Methoden und Perspektiven, um auf das Thema Unsicherheit zu schauen. Dann bilanzieren Sie doch mal: Gibt es ein Missverhältnis zwischen dem gesellschaftlichen Umgang mit der Terrorgefahr und der statistischen Bedrohung?

Tilman Brück: Seit dem 11. September 2001 gibt es auch in Deutschland eine tiefe Angst vor dem globalen Terror, die aber nichts mit der tatsächlichen Anzahl von Anschlägen in Deutschland zu tun hat. 2007 habe ich am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Rahmen einer Studie gefragt, worüber sich die Deutschen die größten Sorgen machen. Kriminalität? Umweltschutz? Die eigene wirtschaftliche Situation? Die eigene Gesundheit? Terrorismus? Damals, vor dem Beginn der Finanzkrise, gab es keine größere Sorge als den globalen Terror. Das hat sogar mich als Terrorexperten überrascht.

Was sagen die Zahlen: Wer hat die größte Angst vor Terror in Deutschland?

Insbesondere alte Frauen, die auf dem Land leben und weniger gebildet sind, machen sich der Umfrage zufolge die meisten Sorgen über einen möglichen Terroranschlag in Deutschland. Dabei sind das diejenigen, die sich am wenigsten Sorgen machen müssten, denn Anschläge werden im Allgemeinen eher in großen Städten an Orten mit vielen Menschen verübt, wie an Flughäfen, Bahnhöfen oder Stadien. Dort pendeln vor allem viele jüngere und gut ausgebildete Menschen. Die machen sich aber weniger Sorgen um ihre Bedrohung. 

Ist das wirklich verwunderlich? Angst ist nun einmal etwas sehr Subjektives. Die Leute richten sich dabei doch nicht nach Zahlen und Statistiken.

Klar, Vernunft und Gefühl können manchmal ganz schön auseinander klaffen. Und selbst wenn alle Anschläge in Deutschland erfolgreich verhindert werden können, gibt es natürlich noch immer eine latente Bedrohung.  

Und wenn doch was passieren sollte? Wie kann uns die nüchterne ökonomische Sicht der Dinge dann helfen?

Wenn Terrorattacken stattfinden, sollten wir versuchen, so rational wie möglich damit umzugehen, damit die Terroristen nicht den von ihnen gewünschten Erfolg haben. Ökonomen sind gut darin zu analysieren, welcher Akteur welches Ziel verfolgt. Für Terroristen ist Mord ein Mittel zum Zweck. Sie wollen Aufmerksamkeit und eine Polarisierung in der Politik erreichen.

Bringen wir noch ein paar Zahlen ins Spiel. Das Institute of Economics and Peace verzeichnet aktuell in seinem „Global Terrorism Index“ für Deutschland 0,0 Terroranschläge und 0,0 Tote durch Terror. Das Bundesinnenministerium schreibt hingegen auf seiner Website von einer „großen Bedrohung“. Nutzen Politiker die Angst vor Terror aus?

Es ist nicht meine Aufgabe zu sagen, ob Politik sich an Zahlen oder an Gefühlen der Bürger orientieren sollte. Tatsächlich üben Medien einen gewissen Druck auf die Politik aus, nach einem Anschlag irgendetwas zu tun. Ebenso gibt es Politiker, die vor dem Hintergrund eines Anschlags eigene Interessen durchsetzen. Nach jedem Anschlag gibt es ein kurzes Zeitfenster, um zuvor strittige Fragen der Sicherheitspolitik durchzusetzen.

Investieren wir Deutschen zu viel in Terrorschutz?

Tatsächlich ist eine klassische ökonomische Frage, wofür wir unser Geld ausgeben. Umweltschutz? Kindertagesstätten? Krankenhäuser? Das Gefühl der Sicherheit? Daher sollten wir uns drei Fragen stellen: Wo ist die Bedrohung? Was kostet der Schutz vor dieser Bedrohung? Und was bringt uns das? Das Problem dabei ist, dass uns zu diesen Themen Zahlen fehlen. In der Rentenpolitik wissen wir, wie alt Menschen durchschnittlich werden, wie viel die Renten kosten und wie viel Geld überhaupt da ist. Zur Arbeitslosigkeit haben wir auch Zahlen. Sicherheitspolitik hingegen wird eher emotional oder ideologisch gemacht. Daher arbeite ich an Methoden, um diese Zahlen schaffen zu können. Doch Bedrohung, Risikowahrnehmung und Schutzbedürfnis sind nur schwer zu messen. Wir müssen uns diesen Zahlen also annähern, so gut es geht.

Tilman Brück, 44, wurde in Glasgow und Oxford zum Entwicklungsökonomen ausgebildet und forscht seit vielen Jahren zu den Themen Sicherheit, Krieg und Frieden. Er ist Gründer und Direktor des International Security and Development Center (ISDC) in Berlin, Gastprofessor an der London School of Economics and Political Science (LSE), forscht am Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) und am Institut für Sozialwissenschaften der Universität von Lissabon. Zuvor war er Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und Abteilungsleiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Fotos: Ute Mahler/OSTKREUZ; privat