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Auch braver Kreuzstrich kann rebellisch sein: Unsere Autorin bei der Jugendweihe (Foto: privat)

Auch braver Kreuzstrich kann rebellisch sein: Unsere Autorin bei der Jugendweihe

(Foto: privat)

Individualität gehörte in der DDR nicht zu den gefragten Tugenden. Alle sollten nicht nur möglichst gleich denken, sondern auch gleich aussehen. Die Sozialistische Einheitspartei und der Einheits-Grauputz an den Häusern setzten sich in der Einheitskleidung von der Stange fort.

Aber bei der sozialistischen Mode gab es, wie auch bei den Fünfjahresplänen der Staatswirtschaft, große Unterschiede zwischen Theorie und Praxis. Auch in der DDR war Kleidung nicht nur dazu da, sich im Winter möglichst dick und im Sommer möglichst luftig zu kleiden. Mit Hosen, Jacken, Hemden, Kleidern, Schuhen und Taschen konnte man sich nicht nur ein individuelleres Äußeres geben. Man konnte, zum Beispiel mit Klamotten aus dem Westen oder Selbstgeschneidertem, geradezu ein modisches Bekenntnis ablegen – gegen den Staat und seine Mode von der Stange.

Als ich 14 Jahre alt war, musste ich mir überlegen, was ich zu meiner Jugendweihe tragen wollte. Bei der Jugendweihe gaben Jugendliche ein Gelöbnis auf die Verteidigung des Sozialismus ab und wurden in die Reihen der Erwachsenen aufgenommen. Und da wollte ich, bis auf die Schuhe, keinesfalls was aus einem „Centrum Warenhaus“ tragen.

Was tun? Meine Mutter wusste mit ihrer alten Singer-Nähmaschine mit Fußpedal ganz wunderbar umzugehen. Klar, dass Mutti mir einen blauen Rock nähen würde, der zu der blau-weiß bestickten ungarischen Folklorebluse passte, die ich bereits ausgewählt hatte. Das Wichtigste an dieser Kombination war der blau-weiße Kreuzstich, mit dem ich die Taschen des Rockes verzierte, auch den Gürtel bestickte ich blau-weiß. Als meine Klasse schließlich Aufstellung für ein Gruppenfoto nahm, kam ich mir inmitten all der Warenhaus-Einheitskleidung sehr individuell vor mit meinem braven Kreuzstich.

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Selbst ein Blueser braucht mal eine Pause. Hauptsache, die Levis sitzt (Foto: Gerd Danigel)

Selbst ein Blueser braucht mal eine Pause. Hauptsache, die Levis sitzt

(Foto: Gerd Danigel)

Kurze Zeit später entdeckte ich die Szene der „Kunden“ oder „Blueser“. So wurden junge, meist langhaarige Männer und Frauen genannt, die zu Blueskonzerten fuhren und sich speziell kleideten. Besonders wichtig war es, an eine original Levi’s-Jeans zu kommen, die das Nonplusultra darstellte. Dagegen kamen die Nietenhosen, die in der DDR hergestellt wurden und die „Wisent“ oder „Boxer“ hießen, gar nicht in Frage. Zum Glück hatte ich eine Tante, die von ihrer Westverwandtschaft regelmäßig Klamotten geschickt bekam und mir meine erste Levi’s schenkte.

Dazu trug ich sogenannte Tramper oder Klettis, Wanderschuhe aus braunem Wildleder, die oftmals nur zu haben waren, wenn man Beziehungen hatte. Im Sommer wurden die Treter abgelöst von Jesuslatschen, auch „Römersandalen“ genannt. Für diese schlichten flachen Riemensandalen brauchte man ebenfalls Vitamin B. Zu diesem Outfit wurden gern blaue Fleischerhemden mit weiß-grauen Streifen getragen, wobei ich nicht weiß, warum gerade diese Arbeitskleidung so beliebt war.

Weil es in meiner Familie keinen Fleischer gab, half mir Mutti auch hier. Sie machte ein blau-weiß gestreiftes Oberhemd meines Vaters etwas enger und arbeitete den Hemd- in einen Stehkragen um, sodass es einem Fleischerhemd nahekam. Über den Schultern der „Kunden“ hingen übrigens meist selbst gemachte Umhängetaschen, die früher einmal Sofakissen oder Wandgobelins gewesen waren – vorzugsweise mit einem röhrenden Hirsch als Motiv.

Miniröcke wider die sozialistische Moral

Mit 17, 18 Jahren fand ich dann auch alte Nachthemden aus Omas Zeiten sehr gut geeignet, um mich vom Einheits-Chic abzuheben. Mutti schneiderte ein altes Nachthemd um – das heißt, sie kürzte es auf mein Drängen so stark, dass es den Namen Minikleid verdient hatte. Zum Einsatz kamen auch violette Färbetabletten. Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, als ich das Nachthemd-Kleid zum ersten Mal in der Öffentlichkeit trug. Da war ich gerade aus dem Dorf in Sachsen, in dem ich aufgewachsen bin, nach Leipzig gezogen. Vor dem Studium arbeitete ich für ein Jahr in der Personalabteilung der Karl-Marx-Universität. Da gab es einmal in der Woche Publikumsverkehr, und genau an so einem Publikumstag trug ich das ultrakurze Kleid. Ich wollte ja, dass das Teil von möglichst vielen Mitbürgern wahrgenommen wurde.

Meine Arbeitskollegen waren nicht nur bedeutend älter als ich, sondern auch treue Mitglieder der Partei, auch meine Chefin war eine vollüberzeugte 150-Prozentige. So ließ der Protest nicht lange auf sich warten. Wenige Minuten nachdem mich die Chefin auf dem Flur gesehen hatte, zitierte sie mich in ihr Büro. Sie hielt mir einen Vortrag über sozialistische Moral und schickte mich mit dem Auftrag nach Hause, mich sofort umzuziehen. Der Aufforderung kam ich nur widerwillig nach. Aber die Genugtuung, die ich in der kurzen Zeit des Minikleid-Tragens empfunden hatte, war die Standpauke allemal wert gewesen.

Barbara Bollwahn, Jahrgang 1964, trägt am liebsten Schürzen, Kleider und Mäntel aus den 1950er-, 1960er- und manchmal auch 1970er-Jahren. Ob sie aus dem Osten oder Westen sind, ist egal. Hauptsache: Baumwolle.

In der Ausstellung „Alltag Einheit. Porträt einer Übergangsgesellschaft“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin erzählt sie in einem Zeitzeugen-Video davon, wie sie nach dem Ende der DDR im Westen einen neuen Beruf fand. Barbara Bollwahn hat zudem für den Katalog der Ausstellung einen Text geschrieben – und darin spielt auch Mode eine Rolle. Denn in der Wendezeit liebäugelte Bollwahn, nach Jobs für ein Weingeschäft und eine Arzneimittelfirma, auch mit dem Gedanken, „Model für Katalogmode“ zu werden. Dazu ließ sie professionelle Fotos bei einem Fotografen machen:

„Ich posierte im romantischen Kleid mit Strohhut, im Hosenrock und flotter Matrosenbluse, die meine Schwester, eine Damenmaßschneiderin, genäht hatte, in Sportkleidung und in Sachen, die ich mir als Businesskleidung im Westen vorstellte. Nach einer Weile servierte der Fotograf Sekt – und Kleidungsstücke aus seinem Fundus. Er bat mich, einen roten Body und irrsinnig hochhackige knallrote Schuhe anzuziehen. Und obwohl der Body viel zu kurz und die Schuhe viel zu klein waren, zwängte ich mich tatsächlich hinein. Meine Versuche, lasziv in die Kamera zu schauen, schlugen grandios fehl.“

Einige Bilder der Session sind auch im Ausstellungskatalog zu sehen. Die Fotos mit dem roten Body allerdings, so Bollwahn, blieben „in meiner ganz persönlichen Wiedervereinigungsschachtel“.