Im nordalbanischen „Prokletije“-Gebirge, zu Deutsch den „Verwunschenen Bergen“, folgen Einzelne bis heute der Tradition der „Burrnesha“, der Schwur-Jungfrauen: Um künftig als Mann leben zu dürfen, versprechen Frauen vor den Ältesten ihrer Gemeinschaft, für immer enthaltsam zu bleiben – und werden danach offiziell als Männer angesehen. Die Frauen kleiden sich wie Männer, tragen ihre Haare wie Männer und arbeiten in Männerberufen. Sie gehen auf die Jagd, fahren Trucks, dürfen Tabak rauchen und Alkohol trinken. Sie genießen Privilegien, die in dieser patriarchalischen Gesellschaft eigentlich Männern vorbehalten sind.
Auslöser dafür, dass sich die Schwur-Jungfrauen für ein Leben als Mann entschieden, war aber nicht, dass sie sich im falschen Körper fühlten. Die Tradition entstand vielmehr aus Notlagen heraus: Starb das Oberhaupt einer Familie, musste jemand dessen Platz einnehmen. Fand sich aber kein männliches Familienmitglied, das die Sippe führen konnte, nahm stattdessen eine Frau den Platz des Patriarchen ein.
Tatsächlich entschieden sich jedoch viele Frauen aus anderen Gründen für ein Leben als Burrnesha: Den Schwur abzulegen, war zum Beispiel die einzige Möglichkeit, einer arrangierten Ehe zu entgehen, ohne die Familie des Bräutigams bloßzustellen. Auch der Wunsch, einfach so frei und unabhängig leben zu können wie ein Mann, war ein gängiges Motiv.
Geregelt wird diese gesellschaftliche Umwandlung zum Mann durch den „Kanun“, das ursprünglich ungeschriebene Gewohnheitsrecht der Albaner. Dadurch bekamen die Schwur-Jungfrauen mehr Rechte – einen Partner haben oder Mutter werden, durften sie aber nicht mehr. Das abgelegte Versprechen zu brechen, wurde früher mit dem Tod bestraft. Heute wird man zwar nicht mehr umgebracht, aber um einen wirklichen Neuanfang als Frau zu schaffen, bleibt meist keine andere Wahl als auszuwandern.
Die junge Generation Albaniens kann sich ein Leben als Schwur-Jungfrau ohnehin nicht mehr vorstellen – die Zeiten haben sich geändert. Nur noch ein paar Dutzend eingeschworene Jungfrauen leben heute im Norden Albaniens. Die Fotografin Pepa Hristova hat einige von ihnen besucht und ihre Geschichten dokumentiert.

Mutter und Tochter #1, Albanien 2008: Drande (zum Zeitpunkt der Aufnahme 53 Jahre alt) verbrannte nach der achten Klasse ihre Mädchenkleider und legte mit 19, nach dem Tod ihres Vaters, den Jungfrauen-Schwur ab.
(Pepa Hristova)
Drande #3, Albanien 2008: Als Kind verlor Drande ihre Hände, weil sie mit einer Handgranate aus dem albanischen Bürgerkrieg spielte. Die männliche Rolle macht es ihr einfacher, mit der körperlichen Schwäche umzugehen. „Keiner will eine Frau ohne Hände hab
(Pepa Hristova)
Sanije #1, Albanien 2008: Nachdem ihr Vater früh starb, legte Sanije (50) als 14-Jährige den Schwur ab, das Leben eines Mannes zu führen. Mit dem Alter wächst in ihr ein leiser Zweifel: Wenn sie in die Jahre kommt, werden keine Kinder für sie sorgen.
(Pepa Hristova)
Hakije #1, Albanien 2008: Hakije (59) wurde von Geburt an als Junge aufgezogen, weil ein Derwisch (ein Mitglied eines islamischen religiösen Ordens) ihren Eltern einen Sohn prophezeit hatte.
(Pepa Hristova)
Shkurtan #2, Albanien 2010: Als Kind bewunderte Shkurtan (76) eine Burrnesha in ihrer Nachbarschaft für ihren Willen und ihre Stärke. Und sie wollte frei sein wie ihr Bruder, sich um die Tiere kümmern und überall hingehen können.
(Pepa Hristova)
Rahime #2, Albanien 2010: Rahime (66) wird von den jüngeren Familienmitgliedern „Onkel“ genannt. Sie empfand es als Ehre, nach dem Tod ihres Bruders für ihre Familie zu sorgen und wurde im Alter von 25 Jahren zur Burrnesha.
(Pepa Hristova)
Qamile #2, Albanien 2010: Qamile (86) ging schon als Kind zur Männerrunde des Dorfes. Als einziger Mann in der Familie erbte sie das Haus der Eltern und wurde „Opa Qamile“ genannt. Mit den Jahren sind ihre Gesichtszüge wieder etwas weiblicher geworden.
(Pepa Hristova)
Osmani #6, Albanien 2010: Osmani (80) weiß nicht mehr, wann sie zum Mann wurde. Schon als Kind verbrachte sie Monate mit den anderen Männern und den Tieren im Gebirge. Später arbeitete sie in einem Erzbergwerk.

Ilmije #1, Albanien 2010: Im Norden des Landes haben nur die Jungen das Recht, aus dem Haus zu gehen und den Sommer mit den Tieren in den Bergen zu verbringen. So entschied sich Ilmije (30) nach dem Tod ihrer Mutter für ein Leben als Mann.
(Pepa Hristova)
Diana #3, Albanien 2010: Diana (54) hat es während des kommunistischen Regimes zum General bei der Armee gebracht. Sie ist offen und weltgewandt – nur über ihre Gefühle spricht Diana nicht gern. Das würde ihrem Ansehen als Mann schaden.
(Pepa Hristova)