Ach ja, die Liebe. Seufz. Wenn es sie nicht gäbe, wären einerseits 99 Prozent aller Popsongs nie geschrieben worden, ein Großteil der Weltliteratur ebensowenig. Andererseits sorgt gerade sie, die Liebe, für viel unsinniges Leid, das nicht mit dem Komponieren eines Liedes oder dem Dichten eines Sonetts kompensiert werden kann, sondern einfach nur schrecklich und schwer auszuhalten ist. Muss das denn sein? Und ist das schon immer so gewesen?
Nein, sagt die schwedische Comiczeichnerin Liv Strömquist, und zwar auf beide Fragen: Es liegt an unserer neuzeitlichen Auffassung von Liebe, dass wir so viel emotionale Energie darauf verschwenden, sie zu suchen, zu finden und zu behalten. Aber warum tun wir das?
Arme Diana. Armer Charles
Liv Strömquist hat bereits im letzten Jahr mit „Der Ursprung der Welt“, einer „Kulturgeschichte der Vulva“, ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, komplexe kulturhistorische und feministische Fragestellungen auf ziemlich coole und pointierte Art grafisch umzusetzen. In „Der Ursprung der Liebe“ versammelt sie nach derselben Methode eine Reihe von Sachcomics, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven des Themas Liebe annehmen, sich dabei manchmal aufeinander beziehen, aber in sich jeweils abgeschlossen sind. Der kürzeste Comic ist gleich der erste; er besteht aus nur einer Seite und fasst in vier Bildern die grundlegende Fragestellung sehr lakonisch zusammen: Prinz Charles, so wird gezeigt, wird nach seiner Verlobung mit Lady Diana auf einer Pressekonferenz (!) gefragt, ob er verliebt sei. Nach einem Moment der Stille (ist ja verständlich) antwortet er: „Yes.“ Und fügt dann hinzu: „Whatever love is.“ Arme Diana. Armer Charles.
Was die Liebe genau ist, werden wir am Ende von Liv Strömquists Comicalbum zwar immer noch nicht wissen. Aber wir werden oft ein bisschen ertappt in uns hineingegrinst haben, wenn uns vorgeführt wurde, welche Fallen wir uns mit unseren Erwartungen an Liebe selbst stellen. Natürlich: Diese Comics sind in jeder Hinsicht schwarz-weiß gezeichnet. Die Autorin nutzt ihr Medium, um die Dinge zugespitzt darzustellen. Wenn sie aufzeigt, welch grundverschiedene Rollenmuster Frauen und Männer in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft auferlegt werden, möchte die eine oder der andere zwar gern glauben, dass es bei einer/m selbst anders ist, erkennt aber in den vorgeführten Klischees doch bekannte Muster problemlos wieder.
Sich emotional von einem Mann abhängig machen? Nein, danke
Locker streut Strömquist zwischendurch Ergebnisse diverser Studien ein, beispielsweise: „Die Studie zeigte, dass die meisten Männer das Wort ‚Gefahr‘ mit einem Bild verbanden, das einen Mann und eine Frau in einer Beziehung zeigte.“ Dazu soll nicht zuletzt erwähnt werden, dass dieses Comicalbum einen insgesamt dezidiert feministischen Standpunkt einnimmt – und Frauen anhand zahlreicher Fallbeispiele verdeutlicht, wie absurd es ist, sich emotional von einem Mann abhängig zu machen, der seine Partnerin womöglich auch noch schlecht behandelt.
Liebe und Hass, so erfahren wir des Weiteren, werden übrigens durch Aktivität in genau derselben Hirnregion repräsentiert. Interessant sind auch jene Geschichten, die die unterschiedlichen Auffassungen von Liebe und sexuellen Beziehungen im historischen Vergleich aufdecken. Dass die Liebesheirat eine Erfindung der Neuzeit – genauer: des industriellen Zeitalters – ist, wussten wir ja schon. Aber dass die Heirat aus Liebe eben auch für das sexuelle Besitzstandsdenken verantwortlich ist, darüber könnte man bei Gelegenheit mal nachdenken.
Und genau so funktioniert dieses Comicbuch: Es stößt Gedanken an, ohne Lösungen frei Haus zu liefern. Männer kommen insgesamt nicht sehr gut weg und werden wiederholt aufgefordert, Dinge zu tun, zu lassen oder in Zukunft besser zu machen – zum Beispiel wie folgt formuliert: „Hier ein Tipp für Typen, die das Patriarchat ein bisschen aufmischen wollen: Schenken Sie irgendeiner Frau Zuneigung und Fürsorge! Z.B. einmal täglich.“ Darunter steht ganz klein: „Schneiden Sie diesen Merkzettel aus und legen Sie ihn in Ihr Portemonnaie!“
Ja, dies ist ein ungehemmt feministisches Buch, in dem die immer noch gültige patriarchale Gesellschaftsordnung als Quelle jener unseligen stereotypen Voreinstellungen identifiziert wird, die Liebesbeziehungen scheitern lassen. Das ist einerseits sicher nicht ganz falsch. Andererseits reduziert diese Sichtweise, wenn sie so verwendet wird wie hier, das Liebesproblem ausschließlich auf Beziehungen zwischen Frauen und Männern. Das ist dann doch ein bisschen zu flach gebohrt. Denn was ist mit den anderen? Funktionieren gleichgeschlechtliche Beziehungen etwa so anders? Um dieser Frage auszuweichen, kommen Frau-Frau- und Mann-Mann-Liebesbeziehungen in diesem Buch schlichtweg nicht vor.
Klar, Liv Strömquist ist keine Soziologin (sondern sie hat Politologie studiert). Und es ist prinzipiell ja richtig, daran zu erinnern, dass unsere westlichen Gesellschaften immer noch an ihrer patriarchalen Grundstruktur kranken. Aber so ein klein wenig zu einfach hat die Autorin es sich letztlich doch gemacht. Trotzdem: vielen Dank für die gute Unterhaltung und das Gedankenfutter!