Am Ende des Schlechte-Nachrichten-Jahrs 2020 fällt es schwer, in negativen Superlativen zu sprechen. Der Tod von Chadwick Boseman (auf dem Titelfoto mittig und liegend zu sehen, Anm. d. Red.) im August dürfte aber zumindest für die US-amerikanische Schauspielszene einen der größten Verluste des Jahres darstellen. Mit nur 43 Jahren starb Boseman an Krebs, nachdem er in Filmen wie „Get On Up“, „Black Panther“ oder „Da 5 Bloods“ so vielschichtig, würdevoll und drastisch gespielt hatte, dass es nur eine Frage der Zeit schien, bis dieser Mann einen Haufen Oscars entgegennehmen würde. Seine letzte Rolle spielte er in der von Denzel Washington produzierten Adaption des August-Wilson-Theaterstücks „Ma Rainey’s Black Bottom“, die jetzt auf Netflix zu sehen ist.
Boseman gibt den Trompeter Levee, Teil der Combo um die Blues-Diva Ma Rainey, eindrücklich dargestellt von Viola Davis. Die historische Ma Rainey war mitverantwortlich für die Transformation des Blues: weg vom eher spontanen Stil der frühen Jahre, hin zu standardisierteren Formen und Darbietungen vor einem Massenpublikum. Das brachte ihr den Titel „Mother of Blues“ ein.
Ein Schauspielerfilm, aber zu dialoglastig
Der Film setzt ein in dem Moment, als Ma Rainey und ihre Band, die bisher nur Liveshows gespielt haben, zur Aufnahme einer Platte in ein Chicagoer Studio geladen werden. Weil Ma Rainey, die als bisexuell galt, lieber mit einer Tänzerin im Hotel ausschläft, proben die Combo-Mitglieder erst einmal für sich im Keller des Studios – wobei sie mehr diskutieren, als dass sie Musik machen. Beginnt der Film noch mit aufwendigen Außenaufnahmen eines nachgestellten Chicagos des Jahres 1927, wird der Zuschauer bald in eine intime Kammerspielatmosphäre zurückgeworfen. Was ziemlich schade ist: Weniger Theateranleihen, ausufernde Dialoge und Überdeutlichkeit der Emotionen hätten dem Film gutgetan.
Geht es bei den Diskussionen zunächst noch um künstlerische Unstimmigkeiten zwischen Levee und dem Pianisten Toledo (Glynn Turman), wird schnell deutlich, dass zwischen den Noten ganz andere Konflikte lauern. Toledo glaubt, dass sich die Bevölkerungsgruppe der Schwarzen US-Amerikaner – zu der alle in der Band gehören – in Zeiten der sogenannten „Rassentrennung“ in einem organisierten Akt für ihre Rechte einsetzen sollte. Doch in den Augen Toledos würden die meisten stattdessen, genau wie seine Bandkollegen, in ihrem „Pisstopf-Leben“ nur eine vermeintlich „gute Zeit“ als Entertainer haben wollen.
Levee hingegen will den individuellen Weg gehen: Die Aufnahmen mit Ma Rainey sind für ihn nur ein Sprungbrett, ihrer Musik fühlt er sich längst entwachsen. Er will sich mit einem völlig neuen, tanzbaren Stil unabhängig machen, ein Star werden und dann eines Tages von oben auf die Weißen in den Chefetagen herabblicken. In einem berührenden Monolog, der durchaus zu einem posthumen Oscar für Boseman beitragen könnte, erklärt Levee seine Lust auf Rache mit einem Trauma seiner Kindheit, ein Ergeignis, in dem er angesichts der Gewalt der Weißen völlig auf sich gestellt war, während die Rufe der Mutter nach Gottes Beistand verhallten.
Die Allüren von Ma Rainey sind auch eine Form der Rache an den Weißen
Auch die später doch noch eintreffende Ma Rainey ist nicht aus reiner Arroganz zur Diva geworden. Sie ist sich von Anfang an bewusst, dass die weißen Plattenbosse ihr Talent maximal ausbeuten wollen, um sie dann fallen zu lassen, sobald ihr Schatz, ihre Stimme, einmal eingefangen ist. Daher soll wenigstens bis dahin alles so laufen, wie Ma Rainey will – selbst wenn das bedeutet, dass ihr stotternder Neffe das Intro zur Platte spricht, was für die beiden Vertreter des Labels Hunderte scheiternde Aufnahmeversuche bedeutet.
Bei all dem Misstrauen vonseiten der Band tun die beiden manchmal fast leid. Man fragt sich, ob sie – eben mit den Mitteln der gerade in Fahrt kommenden Plattenindustrie – nicht doch einfach das Beste für die aufstrebenden Künstler wollen. Bis die Schlusspointe verdeutlicht, was den beiden die Menschen hinter der Kunst und der Schwarze Ursprung des Blues wert sind: nichts.
„Ma Rainey’s Black Bottom“ läuft bei Netflix.
Titelbild: Netflix