Die lange Uferpromenade am Huangpu-Fluss ist nicht nur für Touristen ein schöner Ort. Auch ich bin dort oft gewesen, um mir die europäischen Kolonialbauten anzuschauen. Als ich mal wieder dort entlang spazierte, zeigte plötzlich ein Mädchen auf mich und rief: „Mama, waiguoren!“ Mama, ein Ausländer!
Wer in China als Ausländer lebt, erfährt eine Art positiven Rassismus. Im Restaurant bitten die Kellner um Entschuldigung, dass ihr Englisch nicht gut genug ist – nicht die Fremden, die nach drei Jahren immer noch nicht richtig Chinesisch gelernt haben. Manche wollen unbedingt ein Selfie mit einem machen oder knuddeln blonde Kinder.
Chinesen nehmen hellhäutige Ausländer als Gäste wahr, die eine Sonderbehandlung verdienen. Und das macht es ziemlich schwer, richtig anzukommen. Man wird nur schwer Teil der Gesellschaft, deren Regeln für einen nicht gelten. Einen Joint auf der Straße zu rauchen, ist für einen ausländischen Studenten kein Problem, für einen chinesischen schon.
Im Restaurant bitten die Kellner um Entschuldigung, dass ihr Englisch nicht gut genug ist
Sich an China zu gewöhnen, ist eh nicht leicht. Es gibt nur wenige Länder der Welt, die einem als Mitteleuropäer fremder sind. Schon die Sprache ist ein großes Problem. Ich habe vier Jahre lang drei Mal die Woche Chinesischunterricht gehabt, ohne es auch nur annähernd fließend zu beherrschen. Mein Chinesisch blieb immer so „mamahuhu“, das ist ein chinesischer Euphemismus für „geht so“. Daher probieren es viele der Zugezogenen erst gar nicht. Ich kenne nicht wenige, die über zehn Jahre in China leben, und kein Wort Mandarin sprechen. Die Chinesen erwarten es auch nicht von den Fremden.
Durch die positive Sonderbehandlung kommt noch etwas anderes hinzu: Es entsteht eine unsichtbare, aber unüberwindbare Mauer zwischen Chinesen und den Fremden. Dazu trägt auch bei, dass man hier anders mit Kritik umgeht. Sie wird anders als in Deutschland nur sehr indirekt geäußert, wenn überhaupt. Sarkasmus oder Ironie verstören die meisten Chinesen. Auch nach vier Jahren in Schanghai waren deswegen die Hälfte meiner Freunde Deutsche, die anderen vor allem Engländer, Franzosen, Amerikaner.
Es entsteht eine unsichtbare, aber unüberwindbare Mauer zwischen Chinesen und den Fremden.
Das macht den Aufenthalt in China nicht unangenehm, doch Integration ist das nicht. Es gibt die Geschichte eines Amerikaners, ein unverbesserlicher Maoist, der seit der Revolution in China lebt. Ein Fernsehteam machte sich in den verwinkelten Gassen von Peking auf die Suche nach ihm. Sie fragten eine Chinesin nach dem Weg. Sie antwortete: „Ach, der Waiguoren? Der lebt dort hinten.“
Philipp Mattheis hat bis Ende 2015 in Shanghai gelebt und von dort als Korrespondent für das Magazin „WirtschaftsWoche“ berichtet. Er arbeitet immer noch Korrespondent, inzwischen allerdings in Istanbul.