In einer Stadt wie New York kann das Einfachste kompliziert werden, zu Fuß gehen zum Beispiel. Der Verkehr, der Lärm, die Baugerüste, der Parkour aus Smartphone-Glotzern, E-Scootern, Fahrradkurieren, Paketboten und Menschen, die sechs Hunde gleichzeitig ausführen. Wer hier nur geht, um zu gehen, muss sich Fragen gefallen lassen. Zum Beispiel die: Warum?
Für Matt Green ergibt die Frage keinen Sinn. Er sagt, er laufe, weil er laufen will. Was sein aberwitziges Ziel unterschlägt: Green will New York erwandern, jede Straße, jeden Block, jeden Friedhof, jedes Ufer, jeden Park. Knapp 13.000 Kilometer, schätzte Green und lief an Silvester 2011 los. Green wusste, worauf er sich einließ: Herbst 2009, er arbeitet als Bauingenieur in Manhattan, lebt also gut – aber auch ein bisschen unglücklich. Er beschließt, von der Ostküste zur Westküste der USA zu laufen. 5.000 Kilometer. Green braucht fünf Monate. Mittlerweile ist er 44 und seit zwölfeinhalb Jahren in New York unterwegs. Er schläft bei Freunden, gibt maximal 15 Dollar am Tag aus, übernimmt ab und an kleinere Jobs und läuft weiter.
Dieser Text ist im fluter Nr. 92 „Verkehr“ erschienen
Green hat es nicht eilig: Er interessiert sich für fast alles: Gullydeckel, Hydranten, Friseursalons, Fassaden und Gedenktafeln, auch für die Müllwerker und Gassigängerinnen, die ihm unterwegs begegnen. „So viele Dinge sind unsichtbar für die Menschen, die nicht zu Fuß gehen“, sagte er in einem Dokumentarfilm, der 2018 über ihn erschien. Weil Green diese Dinge akribisch fotografiert, aufschreibt und in seinem Blog „I’m Just Walkin’“ dokumentiert, ist er seinem Zeitplan um einiges hinterher.
In diesen Tagen wird er fertig mit seiner Stadttour. Über 16.000 Kilometer wird er abgespult haben, 3.000 mehr als geplant. Denn mit einem hatte Green nicht gerechnet: dass New York jeden Tag größer wird.
Titelbild: Jens Umbach/laif – Matt Green