Droge, dieser Job – der Körper als Versuchsobjekt für die Pharmaindustrie
Gesucht: ein gesunder Mensch mit viel Freizeit, wenig Geld und wenig Angst. Geboten wird: ein Stundenlohn weit über dem Durchschnitt. Wer sich da meldet? Vor allem Studenten, aber immer häufiger auch Arbeitslose. Rund 10.000 Menschen in Deutschland geben sich pro Jahr als Proband für Medikamente her, für neue Grippemittel, Asthmasprays und Salben, für Antidepressiva und die Pille. Für jeden Wirkstoff sind allein 60 bis 80 Gesunde notwendig, um ihn in Phase I zu testen. Hier wird geprüft, wie gut Menschen einen Wirkstoff aufnehmen. Die Forscher beginnen mit einer sehr geringen Menge. Erst später nehmen Prüflinge die volle Wirkdosis zu sich.
Den Freiwilligen zahlen die Pharmafirmen durchschnittlich 250 Euro am Tag. Dabei gilt: Je größer der Aufwand und die Unannehmlichkeiten, desto höher der Lohn. Viele Tester werden stationär beobachtet. Ihnen wird Blut abgenommen oder sie müssen auf dem Ergometer strampeln. Manche werden an ein EKG angeschlossen, bei anderen wird eine Darmspiegelung vorgenommen. Am liebsten testen Forscher übrigens an Männern. Aus gutem Grund: „Männer sind simpler“, erklärt Rolf Hömke, Forschungssprecher des Verbands forschender Arzneimittelhersteller. „Sie haben keine monatlichen Hormonschwankungen.“ Aber nicht nur das macht sie zu geeigneteren Versuchsobjekten: Bei Frauen, die die Pille nehmen, entstehen häufiger Wechselwirkungen.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte muss einen Wirkstoff erst freigeben, bevor er an Menschen getestet werden darf. Bedingung: Er muss an zwei Tierarten erfolgreich erprobt worden sein. Manche Tests in Phase I sind schon nach einigen Stunden beendet, aber Langzeitstudien laufen schon mal über zwei Jahre. Dann probieren Ärzte den Stoff an ein paar hundert Patienten aus, in Phase III schließlich an einigen tausend. Im besten Fall hilft das Medikament, eine bis dahin unheilbare Krankheit zu kurieren. Immer muss bei solchen Versuchen der Erkrankte sein Einverständnis geben. Ob das immer der Fall war, daran gibt es indessen Zweifel. Historiker untersuchen derzeit an der Charité in Berlin, ob westdeutsche Pharmafirmen in der DDR Studien durchgeführt haben, ohne die Zustimmung der Patienten einzuholen. Das Projekt soll Ende 2015 abgeschlossen sein.
Schönheit à la Credit Card: der Körper als Baustelle
Wo kaufen Männer Silikon und ein Sixpack? Im Baumarkt? Falsch: Auch beim plastischen Chirurgen gibt es das. Wenn auch zu einem ungleich höheren Preis. Eine halbe Million Menschen lassen sich pro Jahr in Deutschland operieren, weil ihnen ihre Nase nicht gefällt, ihr Bauch oder ihr Po. Hinzu kommt noch die weit größere Zahl jener, die sich ambulant, zum Beispiel mit Botox, behandeln lassen. Fünf von sechs Operierten sind Frauen, und immerhin 83 Prozent erklärten sich laut einer Studie der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (kein Witz) mit dem Ergebnis zufrieden oder sehr zufrieden.
Zu den restlichen 17 Prozent gehören immer auch einige, die auf einen fragwürdigen Anbieter hereingefallen sind. Einem, der aus der Sehnsucht vieler Menschen nach einem besseren Aussehen Profit schlägt. Schönheitschirurg darf sich jeder nennen, nur „Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie“ ist eine geschützte Bezeichnung. Aber das klingt erstens mehr nach Autounfall, und zweitens dauert die Ausbildung zum Facharzt sechs Jahre – nach dem abgeschlossenen Medizinstudium, wohlgemerkt.
Weil die meisten Operationen mehrere hundert oder gar Tausende Euro kosten, ist das ein lukratives Geschäftsfeld. Auch aus medizinischen Gründen müssen Ärzte mitunter mehrfach operieren: Zum Beispiel kommt es bei etwa jeder dritten Nasenoperation zu Komplikationen. Und Brustimplantate sollten alle 10 bis 15 Jahre ausgetauscht werden, auf eigene Kosten, also für durchschnittlich 5.000 Euro. Nur wenn, wie kürzlich geschehen, ein Unternehmen schadhafte Implantate produziert, kommt die gesetzliche Krankenkasse dafür auch – und auch nur für dessen Entfernung, nicht für ein neues Implantat. Einige hundert Frauen waren allein in Deutschland den Betrügern der Firma Poly Implant Prothèse aufgesessen: Sie hatte jahrelang statt medizinischem Silikon billiges Industriesilikon verwendet – also Baumarkt-Qualität. Vor allem die Brust-, aber auch die Augenoperationen ziehen das Durchschnittsalter für Schönheitsoperationen nach unten: Es beträgt rund 40 Jahre. Offenbar flößen die ersten Falten und Erschlaffungen des Körpers mehr Furcht ein als die zweiten.
Jan Ludwig arbeitet als freier Journalist. Nachdem er mit sieben Jahren erfolgreich über eine Hüpfburgmauer sprang und mit 22 versuchte, die Küche zu putzen, verdiente jeweils ein ganz besonderer Zweig des Gesundheitswesens an ihm: die Gipsindustrie.