Der Gyalwang Drukpa ist das Oberhaupt einer buddhistischen Schule, die alte Weisheiten auf moderne Lebensumstände anwendet. Auch deshalb werden seine Gehmeditationen mit hunderten Teilnehmern durch Indien und den Himalaya regelmäßig zu großen Müllsammelaktionen. Wir haben ihn getroffen und die Gelegenheit genutzt, um auch mal ein paar grundlegende Fragen zum Thema Buddhismus und Plastik loszuwerden. Zum Beispiel wie es sich auf das Karma auswirkt, wenn man damit die Umwelt verschmutzt.
fluter.de: Wir möchten mit Ihnen zuerst ein buddhistisches Brainstorming machen. Was fällt Ihnen zu Plastik ein?
In Bezug auf Plastik habe ich gemischte Gefühle. Meist spreche ich ja sehr negativ darüber, weil das meiste Plastik nicht biologisch abbaubar und sehr schädlich für Mensch und Tier ist. Wenn wir nur mal schauen, wie viel Plastik in den Ozeanen treibt. Abermillionen Tiere verschlucken es oder strangulieren sich und sterben sehr qualvoll. Langsam, unter großen Schmerzen. Das ist aus buddhistischer Sicht sehr übel. Aber wenn man es vom Nutzen her sieht, ist Plastik ein durchaus praktisches Material. Es ist leicht. Es ist abwaschbar. Es kann stabil sein. Es kann über einen längeren Zeitraum genutzt werden. Schlecht wird es jedoch, wenn es nur kurzzeitig genutzt und dann in großen Mengen weggeworfen wird.
Also nicht das Material an sich ist schlecht, sondern der Umgang der Menschen damit?
Natürlich wäre es besser, die Produktion von Plastik zu stoppen. Wir sollten global die Unternehmen dazu drängen, über Alternativen nachzudenken. Aber solange es produziert wird, ermutige ich die Menschen, Plastik nicht zu nutzen oder so lange wie möglich.
Um Menschen ein Bewusstsein zu vermitteln, veranstalten Sie sogenannte „Pad Yatras“. Was ist das?
Ein Pad Yatra ist eine Gehmeditation, eine Wanderung, auf der wir mit unserem inneren Ich in Kontakt kommen, aber eben auch mit der Erde. Gehen verbindet uns mit der Erde. Seit mir vor einigen Jahren aufgefallen ist, wie viel Müll an den Wegen liegt, haben wir bei unseren Pilgerreisen immer große Säcke dabei und sammeln Müll.
Doch wohl keine Plastiksäcke!
Nein, natürlich nicht. Die ersten Male schon, weil wir damals nichts anderes hatten, aber inzwischen haben wir Säcke aus zu 100 Prozent recycelbarem Polypropylen.
Allein von der Pilgerreise nach Ladakh im Jahr 2009 haben sie 60.000 Plastikflaschen, 10.000 Tabak- und Kaugummiverpackungen sowie 5.000 Dosen mitgebracht. Wie kommt all der Müll in diese entlegene Himalaya-Region? Das ist ja nicht Delhi oder New York ...
Anfänglich war ich auch sehr verwundert, wo der ganze Müll im Himalaya herkommt. Aber tatsächlich kommt ein Großteil aus Delhi oder New York. Reisende bringen Kaugummis, Zigaretten, Wasser in Plastikflaschen mit in den Himalaya – und lassen den Abfall zurück. Weil sie ihn nicht wieder nach Hause tragen wollen. Aber sie sollten ihre Plastikflasche lieber behalten, mit sauberem Wasser aus den Bergen füllen und zu Hause ihren Freunden erzählen: „Diese Flasche war mit mir im Himalaya.“
Es sind aber ja nicht nur die Touristen, die die Natur verschmutzen.
Nein, gerade bei den Einheimischen in entlegenen Regionen herrscht viel Unwissenheit, und wir nutzen die Pad Yatras auch für Aufklärungsarbeit. Was wir oft sehen, sind die winzigen Tütchen, in denen Kautabak verpackt ist. Die sind der Killer. Sie sind so klein, dass sie überall liegen und schwieriger einzusammeln sind. Vögel, Mäuse und andere Kleintiere essen sie.
Außerdem bieten immer mehr Gasthäuser den Touristen verpacktes Essen an. Für viele Menschen steht das für ein gutes Leben. Es ist chic eingepackt, kann sofort gegessen werden, schmeckt ganz gut. Ich versuche seit einiger Zeit, die Einheimischen dazu zu bringen, uns und anderen Reisenden keine abgepackten Nahrungsmittel anzubieten. Ich bin vollkommen zufrieden mit traditionellem Tee, Tsampa und dem regionalen Essen. Das ist nahrhaft, gesund und verursacht weniger Umweltverschmutzung.
Essen Sie nie Fast Food?
Oh, auch ich esse manchmal Fast Food. Ich bin auch nicht generell gegen modernes und bequemes Leben. Die buddhistische Lebensphilosophie sagt: „Freu dich am Leben. Wenn die materielle Welt da ist, genieße das Materielle, umarme das Bequeme.“ Ich mag gute Straßen und bin schon mal einen Mercedes gefahren. Ich finde Strom fantastisch, habe eine Website und bestücke selber meine Facebook-Seite. Aber es ist wichtig, dass wir uns nicht von der Technik kontrollieren lassen.
Buddhisten gelten als naturverbunden und wollen gutes Karma für das nächste Leben sammeln. Ist es also leichter, Buddhisten Umweltschutz beizubringen?
Das ist genauso schwierig wie mit allen Menschen. Anfänglich dachte ich auch, dass Buddhisten glücklich sein würden, die Umwelt zu schützen. Doch viele verstehen nicht, warum Plastik so schädlich sein soll. Buddhisten haben zwar Wissen über Respekt vor anderen Menschen und vor der Natur – aber ihnen fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse. In modernen Gesellschaften hingegen wissen die Menschen mehr über die wissenschaftlichen Zusammenhänge, haben aber nicht mehr so viel Respekt vor der Natur. In Hongkong beispielsweise habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Menschen genau wissen, was es bedeutet, Müll wegzuschmeißen – aber es ist ihnen egal. Es wäre toll, wenn wir das Wissen aus beiden Welten vereinigt hätten: Könnten wir Liebe und Bildung zusammenbringen, könnten wir die Welt innerhalb weniger Tage verbessern.
Macht es für das Karma einen Unterschied, ob ich Müll aus Unwissenheit oder mit Absicht in den Wald schmeiße?
Es kommt auf das Ergebnis und die Motivation an. Sagen wir zum Beispiel, wir schlagen jemandem auf den Kopf und er stirbt. Sie haben es versehentlich gemacht, ich mit Absicht. Das Ergebnis ist das gleiche: Der Mann ist tot. Also lastet es bei uns beiden schwer auf dem Karma, aber bei mir noch schwerer – weil ich es eben absichtlich getan habe. Im nächsten Leben werden Sie also Probleme mit Kopfschmerzen haben, vielleicht eine leichte Migräne. Ich hingegen bekomme einen Tumor und muss mehr leiden, sterbe vielleicht früher. So ähnlich ist das mit dem Wegwerfen von Plastik ...
Konnten Sie den Menschen im Himalaya das schon vermitteln?
Zumindest einigen. Es gibt inzwischen Dörfer, in denen Plastikflaschen verboten sind. In den Häusern gibt es Wasserfilter, und Reisende können dort frisches Wasser trinken und abfüllen.
Sie sagen, Glück, Erfüllung und Zufriedenheit können nicht ohne Umweltschutz gedeihen. Erklären Sie uns das bitte etwas näher.
Wir können die Umwelt nicht ignorieren, wenn wir glücklich sein wollen. Sie ist die Quelle unseres Lebens, und darum müssen wir auf sie achten. Wenn wir es schaffen, die Entwicklung der modernen Welt mit dem Bewusstsein zu vereinen, unsere Welt zu erhalten, dann werden wir erfolgreich und glücklich sein. Und da kann jeder mithelfen. Spirituell zu sein bedeutet nicht unbedingt, sich in weiten gelben oder weißen Klamotten zum Meditieren zurückzuziehen, Mantras zu rezitieren und kein Geld zu verdienen. Im Gegenteil: Geht los, verdient Geld und helft anderen damit. Dann seid ihr spirituell und könnt eure eigene Erfüllung finden.
Wie nehmen Sie den Umgang mit Plastik in Deutschland wahr?
Deutschland ist in puncto Umweltschutz schon sehr gut. Mir ist schon auf früheren Reisen aufgefallen, dass Menschen beim Einkaufen beispielsweise keine Plastiktüte haben wollen, sondern ihre eigenen Taschen dabeihaben. Auch die Regierung und Nichtregierungsorganisationen tun hier einiges. Aber die Menschen sind der wichtigste Aspekt: Wenn die Bürger Umweltschutz fordern, muss die Politik darauf reagieren.
In Berlin hat gerade ein Supermarkt eröffnet, in dem Lebensmittel unverpackt verkauft werden. Kunden bringen ihre eigenen Gefäße mit.
Wirklich? Das ist ja toll. Mit dieser Information habe ich etwas Neues erfahren. Und Sie haben ein wenig zu meiner Erleuchtung beigetragen.
Der 12. Gyalwang Drukpa ist der höchste Geistliche der tibetisch-buddhistischen Drukpa-Traditon, die Staatsreligion in Bhutan ist und weltweit mehr als vier Millionen Anhänger hat. 1963 als Jigme Pema Wangchen in Nordindien geboren, wurde er im Alter von drei Jahren als Reinkarnation des 11. Gyalwang Drukpa gefunden und 1967 inthronisiert. Seit seiner Volljährigkeit steht er zahlreichen Klöstern vor. Das zentrale Anliegen des 12. Gyalwang Drukpa, der die meiste Zeit in Nepal lebt, ist die praktische Anwendung der buddhistischen Lehre im Alltag. Er hat das nichtreligiöse Hilfsnetzwerk „Live To Love“ gegründet und engagiert sich für Naturschutz, Bildung, Frauenrechte und Kranke. Er wurde unter anderem 2010 mit dem „Millennium Development Goals Award“ der Uno ausgezeichnet.