Der österreichische Journalist und Filmemacher Kurt Langbein hat drei Jahre lang an einem Film gearbeitet, der dokumentiert, wie Boden zum Spekulationsobjekt wird und Großinvestoren Einzug in die Landwirtschaft erhalten. Der Film porträtiert sowohl Anleger als auch Kleinbauern in unterschiedlichen Ländern

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Nach der Brandrodung in einem ehemaligen Waldgebiet im äthiopischen Gambetta ist die Bahn frei für Bulldozer, die den Boden bereiten für den Anbau von Zuckerrohr und Palmöl (Foto: alfredobini\cosmos)

Nach der Brandrodung in einem ehemaligen Waldgebiet im äthiopischen Gambetta ist die Bahn frei für Bulldozer, die den Boden bereiten für den Anbau von Zuckerrohr und Palmöl

(Foto: alfredobini\cosmos)

fluter.de: Herr Langbein, warum ein ganzer Dokumentarfilm und drei Jahre Recherche über Landraub? Hätte es nicht auch ein Artikel getan?

Kurt Langbein: Gestoßen bin ich auf das Thema durch ein Radiofeature von dem Kollegen Christian Brüser über die Situation in Kambodscha. Ich war entsetzt, in welchem Ausmaß und mit welcher Brutalität dort mehr als die Hälfte des Landes den großen Konzernen zugeschoben wird von der Regierung und die eigenen Bauern vertrieben werden, und ich war erstaunt, wie wenig ich selber darüber gewusst habe, obwohl ich als Journalist doch überdurchschnittlich informiert bin. Dann habe ich Christian Brüser angerufen. Wenig später haben wir beide gemeinsam dieses Filmprojekt auf Kiel gelegt.

Was genau verstehen Sie unter Landraub?

Landraub wird natürlich in sehr unterschiedlicher Form durchgeführt. In Kambodscha wird er mit kaum verhohlener Illegalität und brutaler Gewalt zum Großteil durch Paramilitärs und Militärs der Regierung durchgeführt. Diese haben sich selber eine Art Notverordnung geschaffen, durch die sie jederzeit auf das Land zugreifen können – im „öffentlichen Interesse“. Und da ist dieser Regierung die eigene Bevölkerung erkennbar wurst. Die werden zu Zehntausenden vertrieben, das ist wohl die brutalste Form.

Und die weniger brutalen?

In den meisten Regionen Afrikas geht es ein bisschen subtiler zu. Wir haben in Sierra Leone ein Beispiel gesucht, das uns als Modellprojekt präsentiert wurde von fairen, durch Verträge abgesicherten Landdeals. Aber wenn man dann dahinterschaut, dann sind das zwar formal „fair“ abgeschlossene Verträge, aber unter extrem ungleichen Partnern – auf der einen Seite ein internationaler Konzern, auf der anderen Seite einfache Bauern, die kaum lesen und schreiben können. Das ist nicht wirklich fair, und den Bauern dort wird die Zukunft fast genauso geraubt. Es dauert nur in diesem Prozess länger, und das juristische Brimborium ist sehr vielschichtig.

Geschieht so etwas auch in Europa?

In Osteuropa. In Rumänien waren die Verhältnisse gerade nach dem Zusammenbruch des Kommunismus so, dass bestimmte Leute die Möglichkeit hatten, die riesigen Ländereien, die früher von den Kolchosen bewirtschaftet wurden, für einen Pappenstiel zu kaufen. So haben sie vielen Kleinbauern, die dringend zusätzliches Land gebraucht hätten, auch wieder die Perspektive geraubt. Das ist die Gemeinsamkeit der verschiedenen Formen, wie die Agrarindustrie sich Land aneignet: Nur ein kleiner Teil der Leute, die früher dort bäuerliche Landwirtschaft betreiben konnten, finden einen neuen Job, der Großteil schaut durch die Finger und verliert seine soziale und wirtschaftliche Perspektive.

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Am meisten lohnt sich Landwirtschaft heute, wenn man sie im ganz großen Stil betreibt – so wie hier in Rumänien  (Foto: alfredobini\cosmos)

Am meisten lohnt sich Landwirtschaft heute, wenn man sie im ganz großen Stil betreibt – so wie hier in Rumänien

(Foto: alfredobini\cosmos)

Sie haben die Geschichten von vielen Betroffenen gehört. Sind Ihnen eine oder zwei besonders im Gedächtnis geblieben?

Die junge Frau, die in Äthiopien Gemüse für Luxushotels produziert und selbst noch nie davon essen durfte. Sie kann mit dem winzigen Lohn nicht einmal ihre Kinder ernähren. Oder die Familie in Kambodscha, deren Land für Zuckerplantagen geraubt wurde – Zucker, der subventioniert nach Europa verkauft wird – und deren Mitglieder sich nun für zwei Dollar am Tag als Arbeiter verdingen müssen.

Weiß man Genaueres, wie viele Menschen insgesamt von diesem Phänomen betroffen sind?

Seriöse Zahlen für das weltweite Landgrabbing gibt es nicht, aber ich vermute, dass es viele Dutzend Millionen sind. Allein in einem kleinen Land wie Kambodscha sind schon über eine halbe Million Bauern vertrieben worden. Und in Afrika entlang des Äquators laufen jetzt ganz massiv Projekte an, in denen Bauern systematisch von ihrem Land vertrieben werden. Wenn diese so weitergehen, wird das zu furchtbaren sozialen Verwerfungen, ökologischen Schäden und auch zu Wanderungsbewegungen größten Ausmaßes führen. Sollten die 400 Millionen Bauern in Afrika südlich der Sahara ihre Perspektive verlieren, dann wird uns das, was jetzt wie eine große Flüchtlingswelle ausschaut, wie ein kleiner Vorgeschmack vorkommen.

Die Programme zur Entwicklungshilfe, zum Beispiel von der Weltbank, kommen in Ihrem Film ja relativ schlecht weg ...

Die Weltbank und die Großinvestoren fahren eine Politik, von der sie selber meinen, sie sei die Rettung der Welt vor dem Hunger und eine nachhaltige Entwicklung auch des finanziellen Investments. Es mag ein großes Geschäft sein, es ist ökologisch verantwortungslos und sozial desaströs. Es gibt zum Beispiel ein Projekt von Addax Bioenergy in Sierra Leone, wo mit Entwicklungshilfegeldern den Menschen der Boden unter den Füßen weggemietet und noch dazu Biosprit für Europa produziert wird. Die Entwicklungshilfe betreibt hier manchmal wirklich Irrsinn mit Methode. So etwas als Entwicklungshilfe für Afrika zu bezeichnen und auch aufrechtzuerhalten, das halte ich für sehr bedenklich. (Anmerkung der Redaktion: Addax Bioenergy ist ein Tochterunternehmen der Schweizer AOG Addax and Oryx Group, die vor allem in Öl investiert hat. Haupteigentümer ist der Schweizer Milliardär Jean Claude Gandur. Das ehemalige Vorzeigeprojekt Addax Bioenergy in Sierra Leone ist allerdings seit Mitte 2015 auf Eis gelegt. Als Grund werden nicht erreichte Produktionsziele angegeben. Aktuell befindet man sich in einem „Review-Prozess“; es wird nach einem neuen Investor gesucht. Die Arbeiter wurden freigestellt oder entlassen.)

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Die Trockenlegung des Sees „Boeung Kak“ liegt in den letzten Zügen. Danach wird das Land freigegeben für Investoren. Viele Familien, die vorher an dem See lebten, müssen die Region verlassen und bekommen kaum eine Entschädigung (Foto: alfredobini\cosmos )

Die Trockenlegung des Sees „Boeung Kak“ liegt in den letzten Zügen. Danach wird das Land freigegeben für Investoren. Viele Familien, die vorher an dem See lebten, müssen die Region verlassen und bekommen kaum eine Entschädigung

(Foto: alfredobini\cosmos )

Unternehmen wie Addax und auch einige der Regierungen vor Ort sagen dagegen, nur durch ihre Investitionen könnten Maschinen und Infrastruktur im Land bezahlt werden. Außerdem werde für die Ausbildung der Arbeiter gesorgt, und vor allem soll so dauerhaft die Ernährung der Menschen gesichert werden. Was haben Sie dagegen einzuwenden?

Es zeigt sich, dass nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung, auf deren Land Addax Plantagen betrieben hat, von der neuen Wirtschaft profitiert haben. Der Großteil hat allenfalls Saisonjobs als einfacher Landarbeiter bekommen. Das Programm zur Ernährungssicherung war so schlecht organisiert, dass es über zwei Jahre sogar zu wenig Reis zu essen gab. Hinzu kommt: Dort wird Biosprit für unsere Autos hergestellt, das ist einfach widersinnig in einem Land, wo es Nahrungsmangel gibt.

In Ihrem Film werden aber auch Beispiele für Entwicklungshilfe gezeigt, die bei Ihnen deutlich positiver abschneiden.

Es gibt auch mit Entwicklungshilfemitteln geförderte Projekte, die die bäuerliche Landwirtschaft mit wissenschaftlichen Methoden verbessern und verfeinern. Da liegt ja wirklich die Perspektive für diese Regionen und auch für die Ernährung der Welt.

Ist so etwas eher noch die Ausnahme?

Es gibt in allen Regionen der Welt mittlerweile große Projekte, die zeigen, dass kleinbäuerliche Landwirtschaft, wenn sie mit modernen Methoden unterstützt wird, aber dennoch überwiegend auf Handarbeit und Körperkraft beruht, tatsächlich auch wirtschaftliche und soziale Perspektiven bietet. Die Erträge, die die Leute dann erzielen, sind wirklich sehr hoch, und sie können auch verkaufen und sich damit weiterentwickeln. Sie können die Regionen versorgen und zum Teil sogar noch nach Europa exportieren – ohne den Boden mit Chemie zu zerstören, ohne den Menschen ihre angestammten Plätze und ihre eigene Lebensbasis zu rauben. Diese Form der Entwicklungshilfe zu unterstützen wäre eigentlich die Aufgabe der europäischen Politik.

Was wären die politischen Voraussetzungen dafür?

„Die Politik müsste die Rahmenbedingungen für Investments ändern. 44 Prozent von dem, was weltweit in die Agrargroßindustrie investiert wird – und die ist es ja, die hauptsächlich den Landraub betreibt –, stammen aus europäischen Banken, Lebensversicherungen, Versicherungen und Pensionsfonds. Da kann man Rahmenbedingungen schaffen, unter denen solche Investments nur erlaubt sind. Und die Politik kann genauso die Rahmenbedingungen für die Importe schaffen. 60 Prozent von dem, was wir hier konsumieren, wächst nicht mehr in Europa, sondern in den Ländern, die ohnehin zu wenig zum Essen haben. Und auch da kann dafür gesorgt werden, dass soziale, ökologische und Menschenrechtsstandards eingehalten werden müssen.

Was kann jeder einzelne von uns tun?

In den letzten Tagen gab es einmal eine Diskussion, da stand ein Mensch, ein junger Mann aus Sierra Leone auf, der Flüchtling ist, weil er dort zu laut gegen die Regierungspolitik protestiert hat. Der hat den Leuten, die genau diese Fragen gestellt haben, gesagt: „Was ist los mit euch? Ihr lebt in einer Demokratie! Ihr könnt Einfluss nehmen, ihr könnt euch frei äußern, ihr könnt eure Regierung abwählen, ihr könnt das Europaparlament verändern! Warum tut ihr nichts und sagt immer, es ist so schwer, etwas zu tun. Wenn ich einmal den Mund aufgemacht hab, bin ich verhaftet worden, ihr seid hier in einer Demokratie, tut endlich was!“ Und das war ein sehr befreiender Satz. Es liegt an uns, und wir können es ändern, ich bin überzeugt davon.

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cms-image-000049213.jpg (Foto: Jonas Gratzer)
(Foto: Jonas Gratzer)

Kurt Langbein wurde 1953 in Budapest geboren und arbeitet als Filmemacher, Wissenschaftsjournalist und TV-Produzent in Wien. Seit den späten 1970er Jahren dreht er sozialkritische Dokumentarfilme, für die er schon oft mit Preisen ausgezeichnet worden ist.


 

Begriff im Fokus: „Landgrabbing“

Der Begriff „Landgrabbing“ wird oft benutzt, wenn es um den Kauf oder die Pacht großer Agrarflächen durch Großinvestoren geht. Dabei kann es sich um sehr unterschiedliche Deals handeln, denen aber fast immer gemeinsam ist, dass Kritiker fehlende Transparenz bemängeln und die Folgen schwer einzuschätzen sind. Die Investoren streben mit dem Kauf beziehungsweise der langfristigen Pacht von Anbauflächen eine möglichst sichere und lukrative Geldanlage an. Seit der Finanzkrise ist die Nachfrage denn auch deutlich gestiegen. Zur Attraktivität solcher Investments hat unter anderem beigetragen, dass Biokraftstoffe in den USA und der EU gefördert werden und die Preise von Nahrungsmitteln insbesondere zwischen 2007 und 2008 stark gestiegen sind (sogenannte Nahrungsmittelpreiskrise), was auch durch die ungebrochen hohe Nachfrage nach Futtermitteln für die Fleischproduktion in den Industrieländern – und zusätzlich in einigen Schwellenländern – verursacht wurde. 

Verhandlungspartner der Investoren sind oft Regierungsvertreter aus weniger wohlhabenden Ländern in Afrika, Asien oder Lateinamerika, die von ausländischen Investments abhängig sind, um ihre Infrastruktur aufzubauen, den Ertrag der Landwirtschaft zu steigern und die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Die ansässigen Kleinbauern haben bei solchen Abkommen nur selten ein direktes Mitspracherecht. Das liegt auch an den oftmals unklaren Besitzverhältnissen. In Teilen Afrikas etwa ist deren Landbesitz aus Tradition zwar anerkannt, er ist aber nicht ausreichend klar verankert in einem staatlichen und rechtlichen System. Auch in Kambodscha ist die Nutzung von Land rechtlich unsicher, seit es unter den kommunistischen „Roten Khmer“ in den 1970er-Jahren Bestrebungen gab, alles Land zu Staatsbesitz zu erklären. 

Laut einem Bericht der Welternährungsorganisation engagieren sich Agrar-Großinvestoren besonders oft in Ländern mit unklaren Landrechten und schwachen Regierungen. Die Interessen der Bevölkerung lassen sich unter solchen Rahmenbedingungen nur schwer durchsetzen: die Klärung der Nutzungsrechte, die gerechte Kompensation, eine umweltverträgliche Nutzung und die dauerhafte Einhaltung der Verpflichtungen der Investoren gegenüber den Bauern. Das Ziel, die Situation in dem Land zu verbessern, wird Kritikern zufolge oftmals verfehlt, unter anderem, weil die Ernte häufig in Industrieländer exportiert werde und dort für die Produktion von Biokraftstoff oder als Futter in der Fleischproduktion genutzt werde.