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Moria ist noch da

Der Podcast „Memento Moria“ fragt nach, wie es den Geflüchteten auf der Insel Lesbos heute geht – und wirft einen kritischen Blick auf die europäische Migrationspolitik

Moria Brand

Worum geht’s?

Um Moria, das Lager für Geflüchtete auf der griechischen Insel Lesbos, das in den Augen vieler sinnbildlich für ein Scheitern der europäischen Migrationspolitik steht. Anfang September 2020 brannte das überfüllte Lager aus, und mehrere Tausend Menschen wurden obdachlos. Der Podcast „Memento Moria – Was heute an Europas Grenzen passiert“ will verstehen, warum sich seitdem zwar manches verändert, aber doch wenig für Geflüchtete verbessert hat.

Worum geht’s eigentlich?

Um die großen Fragen hinter der Migrationspolitik. Das Team rund um die Hostin Sham Jaff und die Reporterin Franziska Grillmeier erklärt den Hörer:innen, wie europäisches Asylrecht geregelt ist, wie das Dublin-Verfahren funktioniert und warum der EU-Türkei-Deal zwar eine gute Idee war, aber am Ende wohl zu einem Anstieg von Menschenrechtsverletzungen geführt hat. Dabei ist der Podcast auch eine Anklage an die EU und Politiker:innen, die es seit Jahren nicht schaffen, eine menschenwürdige Migrationspolitik durchzusetzen. Wie kann es sein, fragen die Podcastmacher:innen, dass Geflüchtete bei sogenannten „Pushbacks“ völkerrechtswidrig an den EU-Grenzen zurückgedrängt werden? Und sind die schlechten Zustände in Lagern wie Moria womöglich eine politische Strategie, um Menschen von der Flucht nach Europa abzuschrecken? 

Wie ist es erzählt?

Sehr persönlich und kritisch. Jaff adressiert die Hörer:innen direkt und verspricht schon in der ersten Folge, man werde „danach einen ganz anderen Blick auf Europa haben“. Die Journalistin nimmt die Hörer:innen mit auf ihre Recherchen, sodass man das Gefühl hat, der Podcast entstehe erst in diesem Moment, in dem man ihn hört. Immer wieder werden Sprachnachrichten von Reporterinnen und Betroffenen eingespielt, Sätze wie „Ich verstehe das einfach nicht“ oder „Das lässt mich alles nicht los“ machen dabei auch Jaffs eigene Gefühlswelt transparent. Als sie nach Lesbos und Athen reist und mit ihrer Kollegin Franziska Grillmeier die Orte besucht, anhand derer sich die europäische Migrationspolitik verstehen lassen soll, fühlt es sich so an, als würde man mit auf der Rückbank sitzen. Gemeinsam mit Grillmeier und Jaff blickt man auf die Überreste von Moria, steht fassungslos vor einem der Friedhöfe, auf dem Geflüchtete liegen, und spürt die stetige Überwachung im neuen, hochgesicherten „Vorzeigecamp“ auf der Insel Samos. Die Reise führt wie ein roter Faden durch den Podcast. Immer wieder steht auch die Frage im Raum: Warum gelingt mit Geflüchteten aus der Ukraine ein besserer, menschenwürdigerer Umgang als mit Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea? Zwischendurch gibt Jaff die Erzählung ab – an Grillmeier, die sich beispielsweise mit Milad trifft, einem ehemaligen Geflüchteten, der von seiner Zeit vor, während und nach Moria erzählt. Zu Wort kommen auch: der Migrationsforscher Gerald Knaus, der die Idee zum EU-Türkei-Deal hatte, die Campleiter von Moria und dem Nachfolgecamp Mavrovouni und ein Seenotretter, der auf Lesbos verhaftet wurde und dem jetzt bis zu 25 Jahre Haft drohen. 

Ideal für …

Menschen, die die komplexen Zusammenhänge der europäischen Migrationspolitik besser verstehen wollen, ohne dabei mit Paragrafen und Politikfloskeln gelangweilt zu werden. „Memento Moria“ macht klar, wie viele Akteur:innen an der EU-Migrationspolitik beteiligt sind und dass jeder und jede von ihnen Einfluss darauf nehmen kann, ob und wie Menschen in Europa Zuflucht erhalten.

Good Job!

Trotz des anklagenden Tonfalls, der teils ein wenig zu stark daherkommt, schafft es „Memento Moria“, ein kompliziertes und umstrittenes Thema sehr nah und persönlich zu erzählen, ohne dabei emotional zu überwältigen. Obgleich die Meinung der Journalistinnen deutlich wird, kommen auch Gegenstimmen zu Wort, die die europäische Migrationspolitik verteidigen. In einer Zeit, in der vor allem auf ukrainische Geflüchtete geblickt wird, hat das Team ein Thema wieder auf die Agenda gerückt, das seit Monaten kaum noch in den Medien präsent war. Und das, obwohl in diesem Jahr nach Angaben der International Organization for Migration schon etwa 850 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind. 

Die ersten sechs Episoden von „Memento Moria – Was heute an Europas Grenzen passiert“ gibt es auf Spotify. Zwei weitere sollen noch folgen und jeweils donnerstags erscheinen.

Titelbild: Picture Alliance/Associated Press

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.