Was sind NFT?
Das Internet liebt Metaebenen. Zum Beispiel: eine Aktion, bei der die Begriffsdefinition eines digitalen Geschäftsmodells gleich mal über genau dieses Geschäftsmodell verkauft wird. Wie das geht? Per NFT. „Merriam-Webster“, das amerikanische Pendant zum „Duden“, definiert das Wort so: „NFT, Abkürzung oder Nomen: NON-FUNGIBLE TOKEN. Ein einzigartiges digitales Kennzeichen, das nicht kopiert, ausgetauscht oder untergliedert werden kann, das in einer Blockchain erfasst wird und das genutzt wird, um Echtheit und Eigentümerschaft zu zertifizieren […].“
Zugegeben, aus der Erklärung wird man nicht wirklich schlau. Um zu veranschaulichen, was „nicht fungibel“ ist, dreht man die Frage am besten um: Was ist fungibel? Antwort: Dinge, die unmittelbar austauschbar sind. Geld zum Beispiel. Ein 20-Euro-Schein lässt sich ersetzen durch jeden anderen 20-Euro-Schein oder vier 5-Euro-Scheine. Nicht fungibel sind die „Mona Lisa“ oder eine maßgefertigte Geige. Oder besagte Begriffserklärung im „Merriam-Webster“. Die kann man neuerdings aber genauso besitzen wie die „Mona Lisa“ oder die Geige – als NFT eben.
Die „Merriam-Webster“-Definition wurde im Mai 2021 für 15 Ether (eine Kryptowährung, damals etwa 45.000 Euro) versteigert. Der Käufer erhielt so etwas wie eine virtuelle Besitzurkunde, die auf einer Blockchain – einer Art öffentlichen, dezentralen Datenbank – registriert ist. Er wird jetzt auf der Website des Wörterbuchs unter der oben zitierten Definition als Besitzer genannt. Das geistige Eigentum behält jedoch die Redaktion. Die Frage, was ein NFT ist, zieht also viele weitere Fragen nach sich: Können NFT den Eigentumsbegriff revolutionieren und Digitalkünstler:innen zu sicherem Einkommen verhelfen? Oder ist der neue Kryptohandel eine elitäre Blase, die bald platzen wird?
Der Kunstmarkt entdeckt das Digitale
Lange war der Kunstmarkt für Digitalkunstschaffende ein hartes Pflaster. Nutzer:innen des World Wide Web haben sich längst an die barrierefreien Vervielfältigungsmöglichkeiten und die kostenlose Verfügbarkeit von Bildern, Videos und Songs gewöhnt – schlechte Voraussetzungen für einen Markt, auf dem Exklusivität zählt. Wer Kunst kauft, will das Original. Viele schienen sich schon damit abgefunden zu haben, dass man mit digitaler Kunst kaum Geld verdient – bis zum März 2021.
Da nämlich schrieb der US-Grafikkünstler Beeple, bürgerlich Mike Winkelmann, mit ein paar Tausend Pixeln Kunstgeschichte. Beeples Bilder reichen von düsteren Cyberpunk-Stadtszenen bis hin zu Tom Hanks, der ein Coronavirus verprügelt. Sein Sammelwerk „Everydays: The First 5000 Days“ wurde dieses Frühjahr als NFT bei Christie’s, einem der renommiertesten Kunstauktionshäuser, für 69,3 Millionen US-Dollar versteigert. Das Bild, eine JPEG-Datei, ist damit das drittteuerste Werk eines lebenden Künstlers überhaupt. Auch weniger bekannte Digitalkünstler:innen können dank NFT inzwischen ihren Lebensunterhalt sichern. Gegen eine Gebühr bieten sie ihre Werke auf Krypto-Plattformen wie OpenSea an. Bei jedem Weiterverkauf erhalten sie eine Gewinnbeteiligung. Und Wertschätzung.
Wem gehört dieses Meme?
Nyan Cat hatte ihre besten Tage schon hinter sich, als sie im Februar 2021 von ihrem Schöpfer für 300 Ether (damals knapp 600.000 US-Dollar) verkauft wurde. 2011 als GIF geschaffen, ist sie eines jener Memes, die keine Pointe brauchen: Eine Katze, die zur Hälfte aus einem Pop-Tart-Törtchen besteht, fliegt durchs All und hinterlässt Regenbogenausscheidungen. Es gibt unzählige Kopien, Adaptionen und Parodien – und obwohl das Tier als NFT jetzt einen Besitzer hat, bleibt es im Internet unverändert bestehen.
Wie kann man besitzen, was frei im Internet herumschwirrt?
Für den Betrachter, etwa auf YouTube, ist kein Unterschied erkennbar. Nyan Cat ist ja kein Gemälde in einem Museum, das man als Besitzer:in abhängen könnte. Darin liegt eine der großen Paradoxien, mit denen Kritiker:innen sich schwertun: Wie kann man etwas besitzen, das man im anarchisch angelegten Internet faktisch gar nicht „haben“ kann? NFT-Befürworter:innen sagen, es gehe eben um die emotionale Verbindung zu dem digitalen Kunstwerk.
Die Grenzen des Virtuellen
Musikfans waren schon immer Sammler, die die Emotionen, die sie mit ihren Stars verbinden, auf die Dingwelt übertragen. Mit Elvis-Autogrammen beispielsweise lässt sich ein Vermögen verdienen, allerdings sind sie auch leicht fälschbar. NFT-Transfers dagegen gelten als unhackbar, weil sie mithilfe der Blockchain dezentral verzeichnet werden.
Kings of Leon sind die erste Band, die diese Kombination aus Authentizität und Einzigartigkeit genutzt hat. Ihr jüngstes Album „When You See Yourself“ veröffentlichten sie neben den regulären Vertriebswegen auch als NFT, zum Beispiel als animiertes Albumcover. Davon erhofften sie sich neue Einnahmequellen abseits von Streamingdiensten wie Spotify, die Künstlern weniger als einen Cent pro Stream zahlen.
Ist das nun die Zukunft des Rock ’n’ Roll? Wohl eher nicht, zumindest nicht ausschließlich. Kings of Leon haben ihre NFT-Aktion jedenfalls so angelegt, dass auch die sentimentale, haptische Seite des Musikfans befriedigt wird: Wer ein NFT ihres Albums kauft, erhält eine Vinylplatte dazu.
Sind NFT also nur ein vorübergehender Hype?
Ein Pixel, mehr nicht, und dann auch noch durchsichtig: Der „Single Transparent Pixel“ von Max Haarich ist bislang noch nicht verkauft. Aber darum geht es dem Münchner Künstler auch nicht. Haarich will den NFT-Hype selbst kritisieren. „NFT sollten ja das Copyright im digitalen Raum durchsetzen“, sagte er in einem Interview. „De facto geschieht das Gegenteil: NFT hebeln das Copyright im analogen Raum aus. Ein Foto von Rembrandts ‚Nachtwache‘ wurde als NFT verkauft, und niemand weiß, wie man damit umgehen soll.“
Andere Künstler, etwa der Brite Memo Akten, kritisieren die miserable CO2-Bilanz von Blockchains. Weil sie auf viele Tausende Computer aufgeteilt sind, beanspruchen sie Unmengen an Strom. Laut einer Schätzung der Website Digiconomist verbraucht das Ethereum-Netzwerk jährlich fast so viel Energie wie Portugal. Auch das „Schürfen“ (mining), also die Verifizierung neuer Kryptowährungseinheiten, die durch das Lösen komplizierter numerischer Puzzles zustande kommt, ist wegen der hohen Rechenleistung energieintensiv.
Haarich betont, der Markt sei bislang ohnehin nur „eine Spielwiese für elitäre Spekulanten“. Tatsächlich ist, wie bei allen Märkten, die auf nicht staatlich regulierte Kryptowährungen setzen, die Gefahr der platzenden Blase nicht von der Hand zu weisen. Möglich also, dass Nyan Cat zur Katze im Sack wird. Der Rekordkäufer von Beeples „5000 Days“ hält dagegen: Er sei überzeugt, seine JPEG-Datei werde eines Tages milliardenschwer sein.
Darüber kann man streiten. Eines aber hat auch die traditionelle Kunst mit dem NFT-Prinzip gemeinsam: Damit sie funktionieren kann, braucht es ein wenig Fantasie. Ohne wird sie buchstäblich wertlos.