Als die lange erwarteten ersten Zahlen auf der großen Leinwand aufleuchten, herrscht erst einmal Verwirrung. Viele der gut 70 Menschen auf der Niederlande-Wahlparty im Berliner „Eetcafé Linda Carrell“ schauen sich irritiert um. Im niederländischen Fernsehen lief in der vergangenen halben Stunde ein Countdown. Die Uhr steht jetzt auf Null – es tauchen auch die von Wahlabenden wohlbekannten Balkendiagramme auf, aber statt aktueller Zahlen sind jene vom vergangenen Urnengang 2012 zu sehen. Und nun?

„Ich bin sehr froh, dass Wilders nicht gewonnen hat“

Noch während gerätselt wird, ob zur Einordnung das alte Ergebnis gezeigt wird oder es sich um eine Panne handelt, kommen sie dann doch, die aktuellen Werte: 31 Sitze für die konservativ-liberale VVD von Premier Mark Rutte, nur 19 für den islam- und europafeindlichen Geert Wilders mit seiner rechten PVV (hier findest du das aktualisierte, nur wenig andere Wahlergebnis: die PVV wird wahrscheinlich zweitstärkste Kraft hinter der VVD). Nun ist doch ein leichtes Durchatmen zu vernehmen. Aber niemand klatscht hier begeistert ab, oder in die Hände, und schon gar keinen Beifall. Nicht toll das alles, aber nochmal gut gegangen, spricht es aus vielen Gesichtern.

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Wahlparty in Berlin

Skeptischer Blick: Der Theaterregisseur Ivar hat für eine linke Partei gestimmt und wirkt wenig zufrieden mit dem Wahlergebnis

„Wir bleiben ein normales Land“, sagt Martin. Er ist Holländer, Mitte 40, lebt seit 15 Jahren in Berlin und fährt sich mit einer Hand über seinen kahl geschorenen Kopf. „Ich bin sehr froh, dass Wilders nicht gewonnen hat.“ Martin selbst hat die sozialdemokratische PvdA gewählt. Vielleicht wirkt er deshalb nicht sehr froh, denn seine Partei – bisher als Koalitionspartner in der Regierung – hat dramatisch verloren und kommt nur noch auf neun Sitze. „Die meisten erinnern sich wohl nicht, wie schlecht die Wirtschaft vor vier Jahren lief“, sagt Martin, „die Menschen haben ein kurzes Gedächtnis.“

Wahlsieger Mark Rutte hat hier nur wenige Fans 

Wäre die Niederlande-Wahl in diesem schummrig beleuchteten Café im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg abgehalten worden, das Ergebnis hätte sich stark vom wirklichen Resultat unterschieden. Für Wilders ist hier niemand, zumindest äußert sich niemand so, für Wahlsieger Rutte sind nur wenige Menschen, dafür sympathisieren viele mit den abgeschlagenen Sozialdemokraten, oder mit einer der zahlreichen Kleinparteien, die ins Parlament einziehen werden.

„Ich habe die Tierschutzpartei gewählt“, erklärt Ally. Die 24-Jährige stammt aus Groningen, sie studiert Kunstgeschichte und macht gerade Urlaub in Berlin. „Es war schon ein bisschen eine Protestwahl, aber mir liegt das Wohl von Tieren auch wirklich am Herzen.“ Viele Menschen in ihrer Heimatregion würden die Politik mittlerweile als Ganzes ablehnen. „Die Leute sind wirklich wütend“, sagt Ally und wirkt selbst vor allem besorgt. „Ich glaube auch, dass es bei uns ein Problem gibt mit Kriminalität und mit der Integration. Nur glaube ich nicht, dass Wilders die Lösung ist.“

„Es macht mir Angst, wie schnell es in den vergangenen Jahren abwärts gegangen ist mit dem gesellschaftlichen Klima“

Auch eine Nichtwählerin ist bei der Wahlparty. Die 23-jährige Tina ist vor zwei Monaten aus Haarlem nach Berlin gezogen. „Ich habe es im ganzen Stress einfach nicht geschafft zu wählen“, sagt sie. Tina sitzt neben einem Kamin, hinter ihr zeigen Wandteller mit Windmühlen-Motiven eine klischeehaft gemütliche Niederlande, dieses „Holland“, das manche nun zu vermissen scheinen. Tina empfindet ihre Heimat aber ohnehin nicht mehr so. „Ich bin mit einem Jahr mit meinen Eltern nach Holland gekommen. Es war lange egal, dass ich Schwarz bin. Aber die ganzen Debatten der vergangenen Jahre haben mich gezwungen, in solchen Kategorien wie Weiß und Schwarz zu denken. Ich will das nicht!“

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Wahlparty in Berlin

Erst Trump, jetzt Wilders? Davor hatten viele Angst. Warm anziehen müssen sie sich für die kommende Legislaturperiode jetzt doch nicht

Warum sich das gesellschaftliche Klima in den einst als liberales Musterland gepriesenen Niederlanden gedreht hat, weiß Tina auch nicht. Sie vermutet aber, dass „die viele Medienberichterstattung über Migration und Flüchtlinge“ ein wichtiger Grund dafür sei. Auch von anderen Niederländern ist an diesem Abend auf Fragen nach dem Aufstieg von Rechtspopulist Wilders oder nach der Intensität der Immigrationsdebatte diese Antwort zu hören: die Medien hätten eine Mitschuld, die Berichterstattung sei zu viel, zu zugespitzt.

Die einzigen Erwachsenen, die mit ihren Kindern zur Wahlparty gekommen sind, sind die beiden Theaterregisseure Ivar und Maaike. „Es macht mir Angst, wie schnell es in den vergangenen Jahren abwärts gegangen ist mit dem gesellschaftlichen Klima“, sagt Ivar. Wie seine Frau auch hat er eine linke Partei gewählt. Maaike sagt nachdenklich: „Es war ein anderes Land früher. Sogar die Kulturlandschaft hat es heute schwieriger.“ Ihre beiden Kinder im Kindergartenalter wollen nach Hause, schauen müde. So müde wie viele Erwachsene an diesem Abend, die diese Wahl trotz einer deutlichen Niederlage von Geert Wilders eher nachdenklich statt erleichtert hinterlassen hat.

Stand: 16.3.2017, früher Morgen, nach Auszählung von mehr als 95 Prozent der abgegebenen Stimmen

Fotos: Hahn&Hartung