Als Kim 28 Jahre alt war, fing ihr Fuß merkwürdig zu zittern an. Damals arbeitete Kim, eine lebensfrohe junge Frau mit schulterlangen braunen Haaren, noch in einem Reha-Zentrum in Auckland. Zusammen mit ihrem Freund, einem Offizier der neuseeländischen Luftwaffe, bezog sie gerade ihr erstes gemeinsames Haus unweit des Militärstützpunktes. Sie redeten viel über Kinder und Heirat. Den zuckenden Fuß ignorierte Kim zunächst. Als sie immer häufiger das Gleichgewicht verlor, tat sie das zunächst mit einem Lächeln ab: „Bin ich tollpatschig.“
Eines Abends fuhr Kim allein mit dem Auto nach Hause. Bei der Abfahrt zu ihrem Viertel konnte sie ihren Fuß dann plötzlich nicht mehr vom Gaspedal nehmen: „Ich war wie gelähmt und fuhr einfach weiter geradeaus.“ Sie schaffte es noch bis nach Hause, doch ihr ganzer Körper zitterte, sie konnte sich nicht mehr bewegen, ihr Freund musste sie aus dem Auto hieven. Heute, nach drei Jahren und unzähligen Arztbesuchen, steht fest: Kim leidet an einem seltenen Gendefekt: Mitochondriopathie. Das ist eine unheilbare Krankheit, die Kims Leben zu einer ewigen Liste von Krankheiten macht. „Mittlerweile höre und sehe ich schlecht“, fasst Kim zusammen. Alle sechs Monate kommt ein neues Symptom dazu: „Meine Muskeln bauen sich nicht mehr auf, und ich bin permanent erschöpft.“ Am Ende steht Organversagen.
Die Reform des britischen Gesetzes zur „Regulation von menschlicher Befruchtung und Embryologie“ soll nun ermöglichen, dass Frauen mit diesem Gendefekt Kinder bekommen können, ohne die Krankheit an diese weiterzuvererben. Sowohl das britische Unterhaus als auch das Oberhaus einigten sich im Februar auf die Gesetzesänderung. Großbritannien wird so zum ersten Land, das die Veränderung menschlicher Gene zur Vorbeugung von Krankheiten für zulässig erklärt. Eine bahnbrechende Behandlungsmethode rufen die einen, ein Sündenfall zur Eugenetik, zur Produktion von Designer-Babys die anderen. Tatsächlich ist das Verfahren sowohl in der Politik als auch in der Öffentlichkeit umstritten und birgt Risiken, die bisher kaum absehbar sind.
Bei Kims Krankheit sind die Gene in den Mitochondrien, also den „Energiemotoren“ menschlicher Zellen, mutiert. Dies verhindert, dass die Zellen ihre eigentlichen Funktionen voll wahrnehmen können. Störungen, die das Nervensystem, die Muskulatur und die Organe betreffen, ebenso wie Parkinson, Alzheimer und eine Reihe weiterer schwerer Krankheiten können mit der Mitochondriopathie in Verbindung gebracht werden. Bei der nun in Großbritannien für zulässig erklärten Technik werden in der befruchteten Eizelle eines Elternpaares die Mitochondrien der Frau durch die einer anonymen Spenderin ersetzt – so dass das Embryo das Erbgut seiner Eltern aufweist, die Mitochondrien und deren Gene aber von der Spenderin stammen. Die Medien bezeichneten diese Technik daher als „Drei-Eltern-Babys“. Doch diese Bezeichnung sei irreführend, behauptet Malcolm Alison, Professor für Stammzellenforschung an der Londoner Queen Mary University: „Da die Gene der Mitochondrien weniger als 0,1 Prozent des gesamten Erbgutes ausmachen, sind es genau genommen 2,001 Eltern und nicht drei.“
David King von der Organisation „Human Genetics Alert“ hingegen warnt vor dieser Gentechnik: „Das hier ist der Moment, an dem Menschen, genau wie vorher Pflanzen und Tiere, dem kapitalistischen Produktionssystem völlig untergeordnet werden.“ King ist überzeugt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich die Wissenschaft auch an das Erbgut im Zellkern, also die Gene, die uns ausmachen, wagt. Der Befürworter Hugh Whittall hält dagegen: „Diese Methode ist einzig und allein für einen ganz bestimmten Zweck entwickelt worden. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies darüber hinaus irgendwelche Implikationen hätte.“ Whittall ist Direktor des Ethikrates in Nuffield, der die Gutachten für das britische Parlament in dieser Sache angefertigt hat.
David Clancy, Genforscher an der Universität Lancaster, kritisiert dagegen: „In der öffentlichen und politischen Debatte hätte viel klarer gemacht werden müssen, was die möglichen Risiken sind.“ Erste Studien deuten auf Komplikationen in der Anwendung der Methode hin, etwa dass die drei Erbgüter, von Vater, Mutter und Spenderin, nicht zusammenpassen könnten: „Auf diese Weise“, sagt Clancy, „würde man Menschen erschaffen, die nicht gesund wären und früh versterben könnten.“ So wirklich weiß das allerdings noch kein Wissenschaftler. Die vier Affen, die erstmals mit dieser Technik gezeugt wurden und über drei Erbgüter verfügen, sind seit ihrer Erschaffung 2009 putzmunter. „Doch die meisten Folgen treten sowieso meistens erst später im Leben auf“, erklärt Clancy.
Clancy hätte sich gewünscht, dass die Berichte, die dem Parlament vorlagen, weitere Experimente verlangt und nicht nur empfohlen hätten. Und auch Abgeordnete im britischen Unterhaus kritisierten, dass die gesamte Gesetzesinitiative mit einer unnötigen und risikoreichen Eile vorangetrieben worden sei: „Einige der vorklinischen Tests sind erst im Juni abgeschlossen worden“, wirft der Abgeordnete Paisley der „Democratic Unionist Party“ ein. „Ich stehe diesem Verfahren nicht im Wege, allerdings sollten wir unsere Entscheidung in dieser Sache nur auf Grundlage von sicheren wissenschaftlichen Beweisen und nicht aufgrund von psychologischer Erpressung und emotionalen Argumenten treffen.“
Die Debatte über die Technik ist mit dem Gesetzesentwurf im Februar allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Im Oktober wird die zuständige Behörde die Richtlinien für die konkrete Anwendung veröffentlichen. Ein strenges Lizenzsystem und Fall-zu-Fall-Entscheidungen sind im Gespräch.
Scrollt man durch die Seiten von Selbsthilfegruppen für Mitochondriopathie in sozialen Netzwerken, versteht man, warum keine einzige Patientenorganisation die britische Gentechnik ablehnt: „Es wird nicht einfacher, nur von Tag zu Tag schwerer“, postet eine Mutter unter dem Bild ihres mit fünf Monaten verstorbenen Babys. Gleich darunter lacht Katelynn, ein etwa zweijähriges Mädchen, in die Kamera. Ende Februar ist auch sie verstorben. Es reihen sich Bilder von Kindern in Krankenhausbetten aneinander. Denn am häufigsten tritt dieser Gendefekt nach der Geburt auf. Die Überlebenschancen gehen gegen null.
„Manchmal habe ich Angst, dass ich mich zu sehr freue“, meint Kim, deren Kinderwunsch durch Wahrscheinlichkeiten, Risiken und ihr kurzes, eingeschränktes Leben bestimmt ist. „Doch auch wenn mir diese Methode niemals zur Verfügung stehen sollte: Wir Mito-Patienten sind wie eine kleine Familie. Ich wäre über jede Frau glücklich, die dank dieser Technik gesunde Kinder bekommen kann.“
Wenn es das stressige Masterstudium in London erlaubt, arbeitet Annette Kammerer frei für Print und Radio. Von Gentechnik erfuhr sie das erste Mal in der achten Klasse - da hieß es noch Gentechnik am Menschen sei realitätsferne Zukunftsmusik.