Es kann schon mal vorkommen, dass man als Popmusiker bei einem Festival umsonst spielt. Dass man bereitwillig auf den Spritkosten hocken bleibt, weil die Location chic ist und die Veranstalter ihren Job ehrenamtlich machen. Wenn man aber nach dem Soundcheck durch das Festivalprogramm blättert, die fünf Seiten mit Grußworten des Oberbürgermeisters, von Kulturreferenten und kulturpolitischen Sprechern durchgeht, mehrmals liest, wie sehr es ihre Stadt bereichert, was die Organisatoren bei freiem Eintritt bieten, und erst auf der letzten Seite im letzten Satz ein leises, indirektes Danke an die Künstler steht, fühlt man sich: ausgenutzt.

So ging mir das etwa bei einem Pop-Festival, das jedes Jahr im Münchner Gasteig stattfindet. Und es ist bei weitem nicht die einzige Veranstaltung dieser Art. In München, Hamburg oder Berlin stehen seit Jahren Festivals im Kalender, die keinen oder nur wenig Eintritt kosten und bei denen die Künstler kein oder nur wenig Geld bekommen. Ein paar hundert Euro. Ergibt bei einer vierköpfigen Band eine Gage, die dieses Wort nicht verdient.

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Ein Backstageraum voller leerer Flaschen

Über das Leben auf Tour existieren ja viele, viele Geschichten ...

Für Musiker ein Minusgeschäft

Für die Städte eine hübsche Sache: Die Festivals machen sich gut im Stadtmarketing und werten die Stadt als Kulturstandort auf. Für Musiker oft ein Minusgeschäft: In einer Zeit, in der CDs und Platten keine Monatsmieten mehr finanzieren und selbst Bands wie Portishead über Spotify nur lächerliche Beträge einfahren, sind Livekonzerte die wichtigste Einnahmequelle. Schon problematisch, wenn man für die nichts bekommt, aber vielleicht einen Proberaum zahlen muss und obendrein mal wieder ein Album aufnehmen will.

Trotzdem funktionieren diese Veranstaltungen. Was wohl daran liegt, dass dort größtenteils Künstler auftreten, denen gerne das Etikett „Subkultur“ aufgeklebt wird. Jene blutleere Bezeichnung, die nicht mehr viel mit Protest und Gegenkultur zu tun hat. Sondern heute eher Bands bezeichnet, die keine fünfstelligen Verkaufszahlen schreiben und sich nicht aussuchen können, bei welchen Festivals sie spielen. Bands, denen manche Veranstalter mit einem fragwürdigen Argument begegnen: dass es schließlich Promotion sei, bei einem Festival vor soundso viel Leuten aufzutreten. Wozu also angemessen bezahlen?

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Ein Backstageraum voller Klamotten

... eher selten geht es darum um die trostlosen Backstageräume ...

Ein Gradmesser für Erfolg

Tatsächlich sind Festivals immer noch ein Gradmesser für Erfolg. Wer im Sommer seine Verstärker nicht auf Open-Air-Bühnen schleppt, hat mit seiner Platte im Jahr davor anscheinend kaum Hörer gefunden.

Nun könnte man meinen, dass sich das Gagenproblem recht einfach lösen ließe: die Ticketpreise erhöhen. Oder überhaupt Eintritt verlangen. Das kommt aber beim Publikum nicht sonderlich gut an. Man könnte freilich auch lamentieren, dass die staatliche und die kommunale Pop-Förderung in Deutschland ein Witz sind. Gerade wenn man bedenkt, wie viele Fantastilliarden in Theater- und Opernhäuser fließen. Nur ist dieser heulsusige Refrain allmählich durchgenudelt.

Übernachten auf hygienisch zweifelhaften Matratzen

Man könnte stattdessen ehrlich sein: Der Pop lässt es mit sich machen. Kein Orchestermusiker würde sein Instrument in die Hand nehmen für die Gagen, für die Popmusiker durch die Clubs ziehen. Und wo sonst wird es zur Credibility verklärt, wenn Bands sich wochenlang in einen viel zu kleinen Tourbus quetschen und in Punk-Rock-WGs auf hygienisch zweifelhaften Matratzen übernachten?

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Ein siffiger Backstageraum

... und erst recht nicht um den wirtschaftlichen Druck, den das Touren für die Musiker bedeutet

In kaum einem anderen Kreativbereich gehört der Hang zur Selbstausbeutung so sehr zum Berufsbild wie im Pop. Zumindest unter Künstlern, die im Subkultur-Fach stecken. Die anfällig sind für das Promotion-Argument und solche Umsonst-Festivals mittragen. Denn auch wenn ein Act sich weigert, für nichts oder ein paar Pro-forma-Euros zu spielen: Es kostet die Veranstalter keine zwei Mails, Ersatz zu finden.

Bleibt nicht viel zu sagen. Nur dieses: Ich werde nie verstehen, wieso die Getränke bei diesen Veranstaltungen Geld kosten. Wenn die Gäste allesamt mit der gleichen Biermarke über das Gelände laufen – ist doch Promo.

Fotos: Heinrich Holtgreve