fluter.de: Lange Zeit hieß es, Frauen seien nicht lustig. Warum hielt sich diese Ansicht so hartnäckig?

Antonia Roeller: Ich glaube, das ist ein sehr großes Klischee. Manchmal heißt es ja auch, nur hässliche Frauen seien lustig, da sie sonst keine Aufmerksamkeit bekämen. In den USA gibt es eine Tradition lustiger Frauen. Es gab schon in den 1950er-Jahren eine Sitcom mit Lucille Ball namens „I love Lucy“, die zehn Jahre lief und einen großen kulturellen Einfluss hatte. In den 1970ern gab es die „Mary Tyler Moore Show“, viele Frauen in Komödien und viele Komikerinnen bei „Saturday Night Live“. Aber auch in den USA herrscht das Klischee unlustiger Frauen.

Wie sieht es in Deutschland aus?

Früher waren Frauen häufig als Partnerinnen von Männern komisch und über den Mann definiert. Evelyn Hamann und Loriot waren ein super Gespann, aber Evelyn Hamann konnte auch allein lustig sein.

Und heute?

In den letzten Jahren hat sich viel geändert. Im Fernsehen sieht man regelmäßig Cordula Stratmann, Martina Hill, Carolin Kebekus. Nur sind die Frauen bei uns mehr auf der Bühne oder im Fernsehen, sie schaffen nicht den Sprung auf die Leinwand. In den USA ist „Saturday Night Live“ enorm einflussreich – Kristen Wiig, Tina Fey, Amy Poehler: Die kommen alle aus einer Ecke und bekommen ihre Chancen. Aber auch denen wird nichts auf dem Silbertablett gereicht. Erst wollte niemand Sketche machen, in denen nur zwei Frauen vorkommen. Man sagte, es sollte mindestens ein Mann dabei sein, sonst schalten die Leute weg. Es ist so verankert bei den Leuten, dass ein Mann gezeigt werden muss. Tina Fey beschreibt in ihrem Buch „Bossypants“, dass sie sich bei der Produktion der Serie „30 Rock“ rücksichtslos durchboxen musste. Die höhere weibliche Präsenz in US-Komödien hängt damit zusammen, dass mehr Frauen Drehbücher schreiben und in den Filmen auch auftreten. Das fehlt in Deutschland noch.

Manchmal heißt es, Frauen hätten in der Comedy ein Problem, da komödiantisches Arbeiten die Bereitschaft erfordere, sich sehr hässlich zu machen. Was denkst du darüber?

Man kann auch lustig sein, wenn man nicht hässlich ist. Und wollen Frauen eigentlich immer schön sein? Charlize Theron in „Young Adult“ ist doch auch meist ungestylt. Es müssten sich doch alle auf eine Rolle stürzen, wo sie mal etwas Reales spielen können. Eine Figur, die in Jogginghose auf der Couch liegt und nicht immer Make-up und sexy Unterwäsche trägt. Der Punkt ist eher: Man muss über sich selbst lachen können.

Bei Komikern wird die Hässlichkeit auch nicht zum Thema, warum also bei Frauen? Wird da mit zweierlei Maß gemessen?

Ja. Warum kann eine Frau nicht einfach da sein, warum wird am Thema Schönheit so viel festgemacht? Ich denke, es geht beim Komödiantischen besonders darum, Schwächen zu zeigen. Man lacht über das, was man von sich selbst kennt. Wenn man sich selber mal zum Hanswurst gemacht hat und das wiedererkennt, versteht man die Figur, folgt ihr und fühlt mit ihr. Eine gute Komödie funktioniert nicht, wenn man auf dem hohen Ross sitzt und auf die Protagonisten herunterschaut. Das ist eher gemein und nicht tiefgründig, mit Hässlichkeit hat das wenig zu tun.

Bei Frauen wird nicht nur viel über den Körper, sondern auch über Jugendlichkeit gesprochen.

Klar, Männer haben nicht so ein Ablaufdatum, weswegen auch das Altern ein anderes Thema ist. Wenn ein Mann altert, kriegt er ein paar Falten und wirkt weise, bei Frauen heißt es immer: Die besten Jahre sind vorbei. Da gibt es auch eine Doppelmoral, die man in Komödien wiederfindet. Bei Frauen wird ein körperlicher „Makel“ wie Übergewicht viel eher kommentiert als bei Männern. Wenn die Haare verlieren, wird auch mal ein Witz gemacht, aber Frauen werden unter die Lupe genommen. Es gibt wie bei der New Yorker Stand-up-Comedienne Amy Schumer etwa richtig miese Kommentare online, solche Gemeinheiten, die sich auf den Körper einer Frau beziehen und unter die Gürtellinie zielen.

Du unterrichtest Drehbuchschreiben. Ein Kurs von dir befasst sich mit komplexen weiblichen Charaktere. Müssen lustige Figuren notwendigerweise auch komplexe Figuren sein?

Es gibt verschiedene Arten der Komödie. Klar gibt es Komödien, bei denen man distanziert dasitzt und über die Charaktere und ihre Handlungen urteilt. Wenn es nachhaltig sein soll, muss man sich mit dem Charakter identifizieren. Wenn man weiß, dass man sich in einer Situation auch nicht besser anstellen würde, empfindet man stärker mit.

„Häufig sind Frauenrollen nur da, um einen Mann charakterlich auszuschmücken.“

Und findet man solche Frauenfiguren in aktuellen populären Produktionen?

Generell gibt es immer noch nicht genug Sprechrollen für Frauen. Das belegen etwa die jährlichen Statistiken der University of San Diego. Außerdem sind sehr, sehr junge Frauen und Teenager überrepräsentiert. Es fehlen ältere und „normale“ Frauen, die nicht Objekte sind. Häufig sind Frauenrollen nur da, um einen Mann charakterlich auszuschmücken – damit der Mann durch seine Beziehung besser dargestellt wird und Tiefe zeigen kann. Das Element der Solidarität unter Frauen findet sich jetzt vermehrt. Frauen, die substanzielle Freundschaften führen und deren partnerschaftliche Beziehungen nicht das Einzige sind, was sie definiert. Eine Beziehung bildet nicht mehr immer das ultimative Ziel.

Wer ist denn eine gelungene komplexe Frauenfigur für dich?

Katniss in „Tribute von Panem“. Das ist natürlich keine Komödie, aber sie ist eine starke Frauenfigur, ohne zu männlich zu sein. Wir sehen in ihr erst mal den Tomboy, sie rennt in eher unweiblicher Kleidung rum, jagt, kann super klettern und schnell rennen. Aber sie ist eine Familienperson, sie hat keinerlei Karriereziele. Sie ist der einzige weibliche Charakter der Bücher, der keine berufliche Identität hat. Katniss übernimmt die Rolle des Vaters und der Mutter und schützt ihre Schwester, indem sie an ihrer Stelle an den Hungerspielen teilnimmt. Aber wir sehen sie auch, wie sie ihre Schwester nach einem Albtraum beruhigt. Dem toten Mädchen in der Arena verleiht sie Würde, indem sie den Leichnam schön hinlegt. Das ist ein Protest, der eine Revolution auslöst, aber nicht offensiv, sondern eher weiblich ist.

Würdest du Katniss als Feministin bezeichnen?

Ich glaube, sie versteht sich selbst nicht als Feministin. Sie macht einfach, was sie denkt, und scheut sich nicht vor Verantwortung. Sie definiert sich nicht über Ruhm, sondern geht in die Arena und opfert sich, weil ihre Schwester keine Chance hätte – auch sehr weiblich. Sie tut häufig etwas für andere, im Kern ist sie eher eine Beschützerin.

Und zum Abschluss: Was denkst du über Amy Schumer, die im amerikanischen Raum gerade sehr populär geworden ist?

Amy Schumer mag ich, weil sie keine Zensur betreibt und nicht politisch korrekt ist. Sie macht Witze über Vergewaltigungen und sagt, dass sie ein Teil des Lebens sind, über den wir sprechen müssen. Und dann muss man mit Humor rangehen, denn Leute fühlen sich nicht wohl, darüber zu sprechen, so auch das Thema Abtreibung in der Komödie „Grandma“ mit Lily Tomlin. Manchmal hilft es, Sachen mit Humor zu verpacken. Das heißt nicht, dass man sich darüber lustig macht, sondern man bringt sie überhaupt zur Sprache.

Antonia Roeller hat an der UCLA Filmwissenschaft studiert, lehrt Drehbuchschreiben und hat zuletzt den Essay "Karrieresüchtig, machtversessen, einsam. Die Darstellung weiblicher Führungskräfte in Film und Fernsehen" veröffentlicht.