Jeder Superheld braucht eine Schwäche: Kryptonit, Ego, Whisky, Frauen, Männer. Dieses ständige Hadern ist existenziell für Helden – für Normalsterbliche aber auch. Im Schwulen Museum in Berlin steht deshalb gerade ein Superhelden-Generator, der Laster per Münzeinwurf verteilt. „Du willst einfach nur normal sein“, verrät dann ein schmaler Papierstreifen – und wirft damit gleich eine der entscheidenden Fragen der queeren Comic-Geschichte auf: „Was ist das eigentlich, Normalität?“
In einer Ecke knutschen Batman und Robin. In der anderen outet sich Catwoman mit „Hey, ich bin bi“.
Ist der Comic schon eine Nische im Kulturbetrieb, gilt das für queere Comics erst recht. Fünf Comic- und Cartoon-Museen gibt es in Deutschland, dennoch ist „SuperQueeroes – Unsere LGBTI*-Comic-Held_innen“ die erste Ausstellung über schwule, lesbische, Trans*- und Inter*-Helden. Das wundert auch Kevin Clarke und Michael Bregel aus dem siebenköpfigen Kuratorenteam: „Es gibt immer noch Berührungsängste. Comic-Fachzeitschriften reagierten zum Beispiel erst ablehnend oder nach Anlaufschwierigkeiten auf unsere Ausstellung. Auch viele Verlage sind noch konservativ – unsere Leihgaben stammen deshalb oft aus Privatsammlungen.“
Über 250 Exponate schlängeln sich quer durch den gelb-weißen Ausstellungsraum. Ein Labyrinth aus wandhohen Panels mit vielen Sprechblasen ergibt ein gut sortiertes Chaos: selbst gemachte Fanzines neben Webcomics, Italo-Novels neben japanischen Mangas. Dazu kommen die klassischen US-Superhelden – die hier nicht mehr ganz so klassisch daherkommen: In einer Ecke knutschen Batman und Robin. In der anderen outet sich Catwoman mit „Hey, ich bin bi“. Und Wonder Woman erklärt dem Spießer Clark Kent mal eben: „Clark, to us it’s not gay marriage. It’s just marriage!“
Neben Japan und Europa haben die USA immer noch den größten Comic-Markt – das gilt auch für die LGBTI*-Szene, die mit den New Yorker Stonewall-Protesten aufkam. Aus den Straßenkämpfen ging 1969 die US-Schwulen- und Lesbenbewegung hervor, und Homosexuelle suchten nach ihrer öffentlichen Stimme, auch im Comic. Und Comics, das waren damals vor allem Superheldengeschichten über männliche, weiße, muskulöse Wesen in Spandex und Gummi – alle total hetero. Queere Helden, wie Rupert Kinnards schwarz-schwuler Brown Bomber, fanden nur im Underground statt.
„No Gays in the Marvel Universe!“
Denn lange fielen nicht nur Nacktheit, Drogen und vulgäre Sprüche, sondern auch Homosexualität unter die Zensur des Comic-Codes. Im Schwulen Museum liegt ein Exemplar von „Seduction of the Innocent“ aus, einer 1954 veröffentlichten Comic-Analyse des Psychiaters Fredric Wertham, die die angebliche Jugendfeindlichkeit der bunten Heftchen beschreibt und zur Grundlage der Zensur wurde – auch bei den großen US-Superheldenverlagen wie Marvel. Bis in die 90er- und Nullerjahre hieß es etwa: „No Gays in the Marvel Universe!“ Erst 2002 durfte X-Man Northstar endlich schwul heiraten – damals eine Art Big Bang in der Szene.
Warum eignen sich gerade Comics für queere Helden? Panels, Zeichenstile, Farben, mit ihnen lassen sich biografische Brüche besonders gut erzählen: auch Coming-outs, sexuelle Vorlieben und das Verhältnis zum eigenen Körper. Queere Graphic Novels werden so zu Identitätsbaustellen, die ein ständiges Werden beschreiben – und gerade im ultrakorrekten Superheldenkosmos Heteronormativität karikieren und durchbrechen können. Außerdem: Papier und Stift hat jeder. Das Medium war deshalb schon immer perfekt für Außenseiter.
Auch diese Alltagshelden sind Teil der Ausstellung. Die US-Zeichnerin Alison Bechdel etwa. „Mit ,Dykes to Watch Out For‘ hat sie geholfen, lesbisches Leben sichtbar zu machen“, erklärt Kulturwissenschaftler Clarke. Bechdels Protagonistinnen sind unförmige, nervige Lesben mit Beziehungsproblemen – die aber deutlich machen, wie politisch das Private sein kann. In schnörkellosen Schwarz-Weiß-Bildern zeigt sie Superqueeroes ohne Cape und ohne Strumpfhosen.
Ähnlich ist es bei Ralf König, der als Ikone der winzigen deutschen Queerszene gilt. Seit 35 Jahren machen seine cartoonigen Kerle auf schwulen Alltag, Homoehe, Erotik und Aids aufmerksam. Bis in die 90er-Jahre muss er sich gegen Zensur wehren. „Das bayerische Landesjugendamt wollte, dass Bücher wie ,Kondom des Grauens‘ auf den Index kommen. Aber die Bundesprüfstelle beschloss, dass sie sich an Erwachsene richten und Kunst seien“, erklärt König. Heute würden queere Comics vor allem von Facebook, Amazon und im iStore immer wieder in die Pornoecke gerückt, erklären die beiden Kuratoren.
Die queeren Helden müssen also weiterkämpfen – gegen den Mainstream und immer mit dem Wunsch, von diesem akzeptiert zu werden. Vielleicht hat der Generator im Eingang des Berliner Museums deshalb recht: „Normal“ sein zu wollen ist eine Schwäche. Aber jeder Superheld braucht eben eine.
Die Ausstellung „SuperQueeroes – Unsere LGBTI*-Comic-Held_innen“ läuft noch bis zum 26. Juni im Schwulen Museum Berlin.
Christine Stöckel schreibt über Filme, Fernsehen und Comics. Weil der Generator neben „Schwächen“ aber auch „Superkräfte“ und „Sidekicks“ ausspuckt, kann sie jetzt außerdem fliegen und bekämpft das Böse gemeinsam mit einem Einhorn.