Herr Wolf, der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan sagte 2001, der harte Wettbewerb um Frischwasser könnte einmal Kriege auslösen. Hat er recht?
In der gesamten Menschheitsgeschichte wurde nur ein Krieg um Wasser geführt, vor 4500 Jahren zwischen den Stadtstaaten Lagasch und Umma im Gebiet des Tigris. Was es gab, sind zahlreiche innerstaatliche Konflikte, Auseinandersetzungen zwischen Stämmen, zum Beispiel in Kenia, oder zwischen indischen Bundesstaaten am Fluss Kaveri. Von Krieg sprechen nur Journalisten oder Politiker.
Also blinder Alarm?
Wie gesagt: Es gab und gibt Spannungen, bis hin zur Androhung von Gewalt. In den Fünfzigerjahren wurden die Streitkräfte Indiens und Pakistans mobilisiert, an der irakisch-syrischen Grenze wurden 1979 Truppen zusammengezogen. Es gab Schusswechsel zwischen Israel und Syrien in den Sechzigern, und in der Tat kam die Rede vom Krieg um Wasser wegen der Spannungen zwischen Ägypten und Äthiopien am Nil auf.
Der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat sagte 1979: „Das Einzige, was Ägypten noch einmal in einen Krieg führen kann, ist Wasser.“
Richtig. Aber die genannten Beispiele haben eine zweite Seite: Die Spannungen haben die Kontrahenten zu Verhandlungen gezwungen, zu Verträgen, zur Schaffung von Organisatio-nen, die ihnen halfen, Wasservorkommen gemeinsam zu nutzen. Das lässt Gutes erwarten.
Warum dann überhaupt Wasserkonflikte?
Wir haben heute dieselbe Menge an nutzbarem Wasser zur Verfügung wie seit Urzeiten. Gleichzeitig wachsen die Weltbevölkerung und die Wirtschaft, steigt unser Bewusstsein dafür, Wassergebiete ökologisch zu schützen, während wir die Wasserreservoirs durch Verunreinigungen reduzieren. Zusammen bedeutet das: Pro Kopf ist immer weniger Wasser vorhanden. Wenn es sich nun um ein von mehreren Ländern geteiltes Wasserreservoir handelt, kann das zu internationalen Spannungen führen.
Warum dann nicht auch zu Kriegen?
Hier werden Dinge vermischt, die man getrennt behandeln muss. Das eine ist die Krise, die durch Wasser entsteht: Menschen leiden und sterben, Ökosysteme werden zerstört, Wasser wird zunehmend verunreinigt; die Deserti-fikation, also Ver-Wüstung, nimmt immer mehr zu. Was wir damit vermengen, ist der Gedanke, dass sich als Konsequenz daraus politische Konflikte ergeben werden. Das denke ich nicht.
Zumindest innerstaatlich doch: In Bolivien, Mexiko, Argentinien, Südafrika wehrten und wehren sich die Menschen gegen die Privatisierung der Wasserversorgung – in Bolivien gab es im „Wasserkrieg“ im Jahr 2000 dabei sogar Tote.
Vollkommen richtig. Die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts nimmt zu, wenn der Wandel so schnell erfolgt, dass die institutionelle Kapazität nicht ausreicht, um ihn aufzunehmen und zu verarbeiten.
Können Sie das erklären?
In jedem Wasserreservoir gibt es Wandel, und ich spreche von rasantem Wandel. Natürlichen Wandel durch Überschwemmungen, Dürren, Zerstörungen. Menschlich geschaffenen durch Privatisierung, den Bau eines Staudamms, Wirtschaftswachstum, die Globalisierung. Dazu gibt es von Menschen geschaffene Institutionen, um mit diesem Wandel umzugehen: durch Verträge, Gesetze, EU-Vorschriften oder Ähnliches. Selbst ein dramatischer Wandel macht Gewaltausbrüche nicht sehr wahrscheinlich, wenn man über starke Institutionen verfügt. Deswegen ist die Gefahr gewalttätiger Konflikte zwischen EU-Ländern gering. Nimmt man aber dieselben Probleme und verpflanzt sie dorthin, wo man nicht den gleichen Korpus von Vereinbarungen hat, zum Beispiel nach Südamerika, Afrika oder Südostasien, wird die Wahrscheinlichkeit von Gewalt weitaus größer.
Können internationale Institutionen einspringen, wenn nationale Strukturen den Wandel nicht bewältigen können?
Das ist eine Frage der nationalen Souveränität. Aber ich denke, dort, wo Menschen auswärtigen Beistand akzeptieren, lernen die Geberländer unter anderem, dass es nicht reicht, ein Gesetz zu verabschieden, eine Pipeline oder einen Bewässerungsgraben zu bauen. Sondern dass man auch an der Gestaltung dieses Dialogs mitarbeiten und dabei helfen muss, Menschen zusammenzubringen, um über den Wandel zu sprechen, den die neuen Entwicklungen hervorbringen.
Können die Vereinten Nationen dabei eine Rolle spielen?
Die UN bieten durch ihr Umwelt- und Entwicklungsprogramm Richtlinien hierfür an. Aber direkte ausländische Hilfe wie von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ist viel zielgerichteter. Die GTZ führte zum Beispiel ein großartiges Programm im südlichen Afrika durch, an den Flüssen Orange und Limpopo. Dort haben sie sich nicht auf die Wasserversorgungssysteme konzentriert, sondern die Entstehung von Flussgebietskommissionen unterstützt. So können die betreffenden Staaten ihre eigenen Pläne für das Wasserreservoir entwickeln.
Welche Rolle spielen dabei die internationalen Unternehmen?
Die Globalisierung hat eine Wasserkomponente und die Konzerne finanzielle Interessen. Aber all diese Konzerne müssen im Rahmen der Landesgesetze handeln. Sie haben Bolivien erwähnt. Als der US-amerikanische Baukonzern Bechtel dort eine Privatisierung durchzuführen versuchte, die sich gerade auf die Armen des Landes nachteilig auswirkte, kam es zu Ausschreitungen. Bolivien kündig-te den Vertrag mit Bechtel. Jetzt hat Bolivien immer noch ein Wasserproblem, aber es wird ein Weg gesucht, die Kooperation mit Privatfirmen so zu gestalten, dass sie sich nicht unverhältnismäßig auf die Armen auswirkt. Man darf aber über solchen negativen Beispielen nicht vergessen, dass die Globalisierung sich sehr positiv auswirken kann: weil letztendlich überall auf der Welt dieselben Richtlinien angewendet werden.
Wo zum Beispiel?
Die Türkei baut seit einiger Zeit Staudämme und erweitert die landwirtschaftlichen Flächen stromaufwärts an Euphrat und Tigris. Das vermindert die Wasserqualität stromabwärts und führt zu Konflikten. Weil die Türkei aber in die EU möchte, musste sie erkennen, dass sie sich an EU-Wasserrichtlinien halten muss, wenn Flüsse grenzüberschreitend sind – selbst wenn die Grenzen außerhalb der EU liegen.
Wo sehen Sie in den kommenden Jahren die Brennpunkte für Konflikte um Wasser?
Ich würde auf die Gegenden mit den geringsten institutionellen Kapazitäten achten. Auf Gebiete in Südostasien, wie den Thaniwin-Strom, westlich des Mekong, den sich China, Birma und Thailand teilen, ohne ein Abkommen miteinander zu haben. Alle drei Länder planen dort Entwicklungsprojekte, keines dieser Projekte ist mit einem der anderen vereinbar. Alle Ströme, die in China entspringen, und das sind im Grunde alle Ströme Süd- und Südostasiens, kommen als Brennpunkte in Frage. Da China beginnt, seinen steigenden Energiebedarf zu befriedigen, zieht es in zunehmen-dem Maße diese Quellgebiete als Orte für Staudammprojekte in Betracht. Dies wird sich in ganz Süd- und Südostasien auswirken. China hat keine Abkommen mit diesen Ländern und ist zugleich einer der drei Staaten, die die Unterschrift unter die 1997 abgeschlossene Konvention über die gemeinsame Nutzung von grenzüberschreitenden Wasserläufen verweigert haben. Dazu kommt Lateinamerika, wo sich Regionen wirtschaftlich entwickeln und dementsprechend auch dringend nach geeigneten Orten für Wasserkraftwerke suchen. Etwas anderes beunruhigt mich aber viel mehr.
Was?
Jedes Jahr sterben zweieinhalb bis fünf Millionen Menschen an den Folgen schmutzigen Wassers. Das bedeutet mehr Leiden als durch Malaria, Tsunamis, Überschwemmungen oder Erdbeben. Das Ausmaß der Zerstörung ist immens. Ein Krieg um Wasser mehr oder weniger würde, offen gesagt, da keinen Unterschied mehr machen.
Worüber sollten wir also sprechen?
Wasserversorgung, medizinische Versorgung, Abwasser, Abfall. Diese scheinbar so viel ba-naleren humanitären Probleme sind wesentlich wichtiger, wenn es um die Linderung menschlichen Leidens geht.
Sie haben gesagt: nur ein Krieg um Wasser in 4500 Jahren. Dem stehen Hunderte Abkommen gegenüber. Haben Sie zu Beginn Ihrer Forschungen dieses Ergebnis erwartet?
Ich war überrascht und, ehrlich gesagt, auch etwas enttäuscht. Wir brauchen Wasser für praktisch alles, was wir tun. Gleichzeitig gibt es keine internationale Richtlinie, an die sich alle Länder halten. Ich habe mich von dem Gedanken an Kriege um Wasser regelrecht verführen lassen. Aber dann war ich so ermutigt vom Ausmaß der sich mir offenbaren-den Zusammenarbeit. Nehmen Sie nur einen Vertrag zwischen Indien und Pakistan. Der hat zwei Kriege überdauert, und sogar mitten in einem dieser Kriege leistete Indien Zahlungen gegenüber Pakistan, um seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Als 1992 die Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Arabern begannen, gab es fünf Gesprächsrunden. Die einzige, die all die seitdem ausgebrochene Gewalt überdauerte, war die zum Wasser. Selbst während der zweiten Intifada baten die israelischen und palästinensischen Wasserbehörden gemeinsam darum, die bestehende Wasserinfrastruktur zu respektieren. Wenn man also Wasser nicht nur als potenziellen Grund für Spannungen sieht, sondern als Mittler für einen Dialog und als internationale Sprache des Friedens, kommt man über die Enttäuschung leicht hinweg.
Aaron T. Wolf ist Professor für Geografie an der Oregon State University. Sein Spezialgebiet ist die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen politischen Konflikten und Wasser. Wolf leitet die Transboundary Freshwater Dispute Database, in der unter anderem auch die mehr als 400 mit Was-ser zusammenhängenden Verträge erfasst sind.