Es begann 2010 als nichtkommerzielles Semesterprojekt zweier Designstudentinnen, heute ist das Uniprojekt ein erfolgreiches Modelabel: die „Alte Liebe“. Das Produkt: Mützen für Wellenreiter, Windsurfer und Warme-Ohren-Liebhaber. Die Produzenten: ältere Damen und ihre Häkelnadeln. Momentan häkeln zehn Seniorinnen aus Kassel an den bunten Wollmützen, wie sie Surfer und Skater an windigen Tagen gerne tragen: echte Handarbeit, echte Unikate. Produktionsdruck? Fehlanzeige. Großbestellungen werden gar nicht erst angenommen. Knapp 40 Euro kostet ein Häkelwerk aus Merinowolle.
Verkauft werden sie in einigen Läden und über das Internet, auf der Webseite des Unternehmens finden sich über 1.500 verschiedene Modelle. Zwischen 100 und 300 Mützen gehen im Jahr über den virtuellen Ladentisch. Aus dem sozialen Projekt der zwei Studentinnen, das der Einsamkeit im Alter begegnen und den Austausch zwischen den Generationen anregen sollte, ist ein kleines Sozialunternehmen geworden.
Mittlerweile haben die beiden Gründerinnen die „Alte Liebe“ verkauft. Bernhard Weiß und Michael Habedank, Geschäftsführer einer Kasseler Werbeagentur, führen das Unternehmen weiter. Die beiden Werber kommen aus der Gegend, nun sei es an der Zeit gewesen, der Region langfristig etwas zurückzugeben. Also haben sie das Sozialunternehmen gekauft. Wie hoch der Betrag war, wollen sie nicht in den Medien lesen, doch für einen Appel und ein Ei haben sie es nicht bekommen. „Uns war einfach klar, die ‚Alte Liebe‘ darf nicht sterben.“
Geld verdienen sie damit jedoch angeblich nicht
Doch zunächst mussten sich die Neuen bei den Häkeldamen beweisen. Bernhard nahm seine Frau und seine zwei Kinder mit zu dem Treffen. Es war ein kalter Herbsttag, also trug die Familie Mützen – natürlich von der „Alten Liebe“. „Das war reiner Zufall“, beteuert Bernhard, „uns ist das an dem Tag nicht aufgefallen. Erst später erzählten mir die Damen, wie beeindruckt sie davon waren.“ Seitdem verknüpfen Bernhard und Michael ihr soziales Engagement mit dem Verkauf von Wollmützen. Sie tun Gutes und, sonst wären sie keine PR-Experten, reden auch darüber. Auf ihrer Facebook-Seite und ihrer Homepage weisen sie auf ihre „neueste Masche“ hin – ein bisschen Imagewerbung in eigener Sache.
Geld verdienen sie damit jedoch angeblich nicht. Der Gewinn fließt zurück ins Unternehmen, in Rohstoffe, Verpackungen, neue Kollektionen, und – ganz wichtig – mit ihm finanzieren sie Ausflüge, Feste und Konzertbesuche für die älteren Damen. Wohin es geht, entscheiden die „Häkelheldinnen“, wie sie von den Geschäftsführern genannt werden, selbst. „Im Sommer waren die Damen am Edersee, machten eine Kräuterwanderung und eine Schiffsfahrt.“
Dauerwellen treffen auf Dreadlocks
Für die älteren Damen, die in einer Kasseler Seniorenwohnanlage ihren eigenen Häkelraum haben, sind die sozialen Kontakte wichtig, auch das Rauskommen aus den eigenen vier Wänden. Sie verdienen kein Geld mit den Mützen, doch die gemeinsame Zeit ist manchmal mehr wert als Bares. Laut einer Forsa-Studie im Auftrag der Johanniter aus dem Jahr 2012 wollen 67 Prozent der Menschen zwischen 65 und 75, die sich zeitlich oder finanziell engagieren, ihr Leben mit Sinn erfüllen. Der Kontakt zu gleichgesinnten Menschen ist für 55 Prozent der Befragten ein Motiv für ihr Engagement. Wer mitmachen darf, liegt in den Händen der Seniorinnen, das Häkeltalent entscheidet.
Und die Häkeldamen bleiben nicht nur unter sich, sondern knüpfen mit ihrer Arbeit an jüngere Generationen an. Dauerwellen treffen auf Dreadlocks, Rollatoren auf Skateboards. Gerade erst machten die Kasseler Jungs von Milky Chance eine Stippvisite bei der Häkelgruppe, blieben statt einer gleich zwei Stunden, weil es so nett war. Nun unterstützen die zwei Musiker das Projekt und rühren auf ihrer Facebook-Seite die Werbetrommel: „Die gute alte Liebe zur Mütze muss gepflegt werden!“, schreiben sie und verweisen auf die „wunderbare Handarbeit“ der Seniorinnen.
Alle Mützen werden samt Postkarte im Pappkarton verschickt. Der Clou: Auf jedem Karton steht der Name der Frau, die die Mütze gehäkelt hat. Nun ist der Käufer an der Reihe, schickt er die Postkarte zurück, weiß die Häkeldame, wo ihre Arbeit gelandet ist und ob sie gut ankommt. Die Rücklaufquote liegt bei über 50 Prozent, immerhin, jede zweite Häkeldame darf sich über einen Gruß aus der Ferne freuen.
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