Sitzt man vor dem Richter – ist es schon zu spät. Die Tat wurde begangen und muss nun auch entsprechend der Gesetze bestraft werden. Deshalb ist es wichtig, so früh wie möglich dafür zu sorgen, dass Jugendliche erst gar nicht zu Kriminellen werden. Durch Projekte in der Kita und in der Schule, durch Unterstützung für Familien in schwierigen Verhältnissen, oder durch Angebote der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Das Jugendstrafrecht legt den Schwerpunkt nicht auf die Bestrafung begangener Taten, sondern vor allem auf die Vermeidung von Wiederholungstaten.
Wann ist man als Jugendlicher straffähig?
In Deutschland gilt für Jugendliche, also für alle 14- bis 17-Jährigen, ein eigenes Jugendstrafrecht. In diesem Alter werden sie nur bedingt strafrechtlich für ihre Taten verantwortlich gemacht. Anders als bei Erwachsenen entscheidet im Jugendstrafrecht in erster Linie nicht die begangene Tat über die Bestrafung, sondern die Frage: Was könnte der beschuldigten Person helfen, damit sie keine weitere Straftaten begeht?
Unter 14 Jahren ist man in Deutschland übrigens nicht straffähig. Alle Erwachsenen zwischen 18 und 20 Jahren kommen auch vor ein Jugendgericht: Sie gelten als Heranwachsende – bei ihnen wird allerdings geprüft, ob noch nach Jugendstrafrecht oder schon nach dem allgemeinen Strafrecht verhandelt werden sollte. Wurde ein Verbrechen aus Neugier, Leichtsinn oder Gruppendruck begangen, oder wollte der Täter jemanden beeindrucken, wird häufig das mildere Jugendstrafrecht angewandt.
Kommen junge Straftäter immer vor ein Gericht?
"Je länger Jugendliche in Haft sind, desto eher begehen sie weitere Straftaten, werden also rückfällig", sagt Diana Willems. Sie ist Diplom- und Rechtssoziologin und in der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention am Deutschen Jugendinstitut in München tätig. Auch die Schwere der Taten nehme mit dem Freiheitsentzug eher zu als ab.
Vor Gericht – und was dann?
Deshalb versuche man bei Jugendlichen, die zum ersten Mal ein Gesetz gebrochen haben, Gefängnisstrafen zu vermeiden – besonders bei geringfügigen und mittelschweren Delikten. So soll auch die unangenehme Situation einer Gerichtsverhandlung mit Urteilsspruch vermieden werden. Zum Beispiel durch Diversion, eine Einigung durch beide Streitparteien. Bei der Diversion versuchen der Schadenverursacher und das Opfer, sich mit Hilfe von Mediatoren vorab auf eine Lösung des Problems zu einigen. Ein Jugendlicher, der zum Beispiel einen Mitschüler an die Wand gedrückt hat, um ihm dann sein Handy zu stehlen, könnte mit seinem Opfer vereinbaren, Geld für das Handy zurückzuzahlen, sich sozial zu engagieren und einen Entschuldigungsbrief zu schreiben. Das Opfer muss der Lösung zustimmen, sonst kommt es zur regulären Verhandlung.
Wenn ein Jugendlicher von einem Jugendgericht verurteilt werden soll, muss ein sogenannter Jugendhelfer vorher klären, warum die Tat begangen wurde. Individuell zeigt er dem Jugendlichen dann verschiedene Optionen auf, die ihm oder ihr helfen könnten, mit dem grundlegenden Problem klarzukommen: Ein Mädchen, das betrunken ein anderes Mädchen geschlagen hat, könnte zum Beispiel von einem Jugendrichter die Auflage bekommen, ein Konflikttraining zu besuchen oder eine Gruppe, in der sie gemeinsam mit anderen Jugendlichen regelmäßig über Alkoholprobleme spricht. Es gibt spezielle Trainings für Jugendliche, die häufig die Schule schwänzen, oder Therapieangebote bei Drogenproblemen. Manche Jungs, die straffällig werden, arbeiten in Gruppen an ihrem Männlichkeitsbild. Warum gehört für sie Gewalt dazu, um "richtige" Männer zu sein? Es gibt Anti-Aggressionstrainings, in denen Jugendliche sehr direkt von Sozialarbeitern mit ihren eigenen Taten konfrontiert werden. Oder Projekte, in denen gemeinsam ein geregelter Tagesablauf eingeübt wird. Ein Richter kann auch anweisen, dass sich das Lebensumfeld des Jugendlichen ändern muss und zum Beispiel den Aufenthalt in einem Heim anordnen.
Was passiert, wenn Erziehungsmaßnahmen nicht helfen?
Wenn der Jugendliche eine Erziehungsmaßnahme abbricht – was laut Willems häufig der Fall ist –, oder er wieder straffällig wird, dann kann ein Richter auch zu sogenannten "Zuchtmitteln" greifen, zum Beispiel Arbeitsauflagen oder Geldbußen anordnen. Noch eine Stufe schärfer ist dann der Freiheitsentzug in Form von Jugendarrest: Er kann von einem Wochenende bis zu vier Wochen dauern. Die Jugendhaft ist eine Freiheitsstrafe ab sechs Monaten – für schwerwiegendere Taten und wenn Erziehung und diese "Zuchtmittel" nicht mehr greifen.
Außer bei schwerer Körperverletzung, Mord und Totschlag müssen junge Menschen bei einer ersten Straftat aber üblicherweise nicht in Jugendarrest oder Jugendhaft. Von den 102.175 Jugendlichen, die in Deutschland im Jahr 2011 nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wurden, bekamen laut Statistischem Bundesamt 16.168 eine Jugendstrafe. Davon wurde die Haftstrafe in 9.948 Fällen zur Bewährung ausgesetzt. Die oder der Jugendliche muss bei Bewährungsstrafen tatsächlich erst dann ins Gefängnis, wenn er oder sie bestimmte Auflagen nicht erfüllt oder eine weitere Straftat begeht.
Haben die Jugendlichen ein Mitspracherecht?
So unterschiedlich die Gründe sind, warum Jugendliche straffällig werden und welche Hilfsangebote sie deshalb brauchen – ein Punkt wird von Experten wie Diana Willems immer wieder hervorgehoben: Je besser jugendliche Straftäter pädagogisch betreut werden und je mehr sie mitbestimmen können, was mit ihnen passiert, desto erfolgreicher sind die Programme. "Ob Sanktionen wie Arbeitsauflagen Jugendliche von weiteren Straftaten abhalten, hängt stark davon ab, ob und wie begleitend pädagogisch gearbeitet wird", sagt Willems. Wenn Jugendliche zum Beispiel Arbeitsstunden ableisten müssen – etwa 200 Stunden in einem Altersheim helfen –, mache es einen Unterschied, wenn sie sich selbst an der Auswahl eines geeigneten Ortes beteiligen können und wie sie währenddessen betreut werden.
"Bei einer Jugendstrafe haben Jugendliche natürlich wenig Einfluss", sagt die Rechtssoziologin. Sie ist auch der Meinung, dass in Gefängnissen immer noch zu wenig mit Jugendlichen gearbeitet werde. Im Jugendarrest gebe es zwar Beratungsangebote zu Themen wie Sucht, Sexualität oder Arbeitsmarkt. Es gibt Sportangebote, Bücherverleihe oder manchmal Handwerkskurse. Auch Anti-Aggressionstrainings oder Anti-Gewalttrainings werden angeboten. "Wie oft die Angebote stattfinden, und wie viele der Arrestanten daran teilnehmen können, hängt aber sehr von den finanziellen und personellen Ressourcen der Jugendarrestanstalten ab", sagt Willems. An vielen Stellen fehle es auch an Unterstützung beim Übergang zurück ins Leben vor den Gefängnistoren – etwa durch finanzielle Hilfe, betreutes Wohnen oder Organisationstrainings. "Prävention ist in der Jugendkriminalität eine pädagogische Aufgabe", fasst Willems zusammen. Und ohne die Pädagogik führen auch drastischere Maßnahmen wie Arrest oder Haft nicht zum Ziel.
Brauchst du Hilfe bei rechtlichen Fragen? Im Jugendinformationszentrum deiner Stadt gibt es manchmal Anwälte, die dich umsonst beraten. Zum Beispiel in München.
Schon was passiert? Im Berliner Büro für Diversionsberatung und -vermittlung helfen Sozialarbeiter/innen Jugendlichen, die eine Straftat begangen haben.
Dieser Bericht der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention des Deutschen Jugendinstituts gibt einen Überblick, wer, wie, wo, was unternimmt, um Jugendkriminalität zu verhindern.
Was sind eigentlich die Ziele und Aufgaben des Jugendstrafrechts? Das kannst du bei der bpb nachlesen.