Ein Südseestrand, ein Pferderücken, eine große Familie – Glück hat viele Gesichter. Für Lisa Käufer klingt das Glück an diesem Tag nach Trommeln und Beats. Sie und ihre Freundinnen mussten nach der Schule lange auf den Bus warten. Um sich die Zeit zu verkürzen, haben sie, statt mit schlechter Laune durchzuhängen, im Glücksunterricht geschaffene Rhythmen geklatscht. Eine Art Musikmachen mit dem eigenen Körper. "Die Zeit verging im Nu, wir haben so viel gelacht", sagt Lisa. Ein kleines Beispiel dafür, wie Glücksunterricht im Alltag der Schüler ankommt.
Als der Schuldirektor Ernst Fritz-Schubert 2007 erstmals an seiner Heidelberger Schule das Fach Glück einführte, machte er bundesweit Furore. Inzwischen ist Fritz-Schubert pensioniert und Glück ist an einigen Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den Stundenplan integriert. Als eigenständiges Fach oder als Projektkurs, einmalig oder in mehreren Klassenstufen nacheinander.
Fitness, Freunde und Freude
Die Inhalte sind an allen Schulen ähnlich und geprägt von Erkenntnissen aus Psychologie und Soziologie, aber auch durchzogen von viel Praktischem: Auf dem Stundenplan stehen das Zusammenspiel in der Gemeinschaft, sich das Glück im Alltag bewusst zu machen, die eigenen Stärken und Schwächen zu entdecken und sich selbst Ziele zu setzen, sich im eigenen Körper wohlzufühlen, Gesundheit und Ernährung, Sport – aber ohne Leistungsdruck, Theaterspielen.
Ernst Gehmacher, Soziologe und Glücksforscher in Wien, fasst das prägnant zusammen: "Ich spreche immer von den drei großen F: Fitness, Freunde und Freude an dem, was man tut." Auch in den USA und Großbritannien wird das Glückslernen in der Schule und in Universitäten schon länger ausprobiert. "Social and Emotional Learning" heißt es dort.
Werner Sander unterrichtet Glück als Wahlfach in der 11. Klasse des Anna-Essinger-Gymnasiums in Ulm. Besonders hat ihm imponiert, wie eine Schülerin gleich in der ersten Stunde für sich das Glück definiert hat: "Glück ist für mich, wenn ich jeden Abend zufrieden einschlafe." "Das ist es", sagt Sander, der ursprünglich gegen Mobbing und gegen die Härten des Notendrucks angehen wollte und sich so Schritt für Schritt zum Glückslehrer entwickelte. "Es geht nicht um das große, einmalige Glück, sondern darum, innerlich stabil zu sein, seine eigenen Stärken zu kennen und die Schwächen als Ressourcen zu nutzen. Das ist wichtig im Leben, aber in der Schule kommt es zu kurz."
Spielerische Übungen
Jede Stunde beginnt Sander mit einem Warm-Up: rhythmische Körperbewegungen, Body-Drumming genannt, die locker machen und Hemmungen nehmen sollen. Im Unterricht stehen spielerische Übungen an erster Stelle, um ganz praktisch zu erfahren, was Glück und Zufriedenheit schafft. Ein Beispiel: Alleine oder mit anderen zusammen ist "der Rubikon zu überschreiten", um auszuprobieren, wie man spielerisch Hindernisse überwinden kann. Zwei Klebebänder auf dem Fußboden des Klassenraums symbolisieren den historischen Grenzfluss, den Caesar einst überschritt und damit einen Bürgerkrieg auslöste. Drei Kartons kommen dazu, auf die jeweils nur ein Fuß passt, um "trocken" über die Wasserscheide zu kommen. "Das geht nur, wenn alle miteinander sprechen, sich helfen und gemeinsam eine Lösung finden", sagt Sander.
Lisa Käufer, die sich zu Beginn dieses Schuljahrs für den Glückskurs bei Werner Sander entschieden hat, erhofft sich davon einiges. "Mich selbst zu finden, im Alltag ruhiger zu sein und im Schulstress besser zu bestehen", sagt sie. Anfangs hat sie vor allem gereizt, dass das Fach im Abitur anerkannt wird und die mündliche Prüfung ersetzen kann. Inzwischen sieht Lisa darin eine echte Bereicherung und vor allem die Möglichkeit, die eigenen Stärken besser auszuschöpfen. Glück, das bedeutet für sie "mit Freunden zusammen zu sein; nicht alleine zu sein, sondern Menschen um mich zu haben, die ich mag, und die Dinge zu tun, die ich gern tue".
Etwa ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland schätzt sein eigenes Wohlbefinden als unterdurchschnittlich ein. Je nach Bundesland sagen 11 bis 17 Prozent der unter 18-Jährigen, dass sie in der Schule nicht gut zurechtkommen, heißt es im "UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland" von 2011/2012. Ein Hobby mit den Eltern zu teilen, stärkt das Wohlbefinden deutlich. Sich zu dick zu fühlen oder Angst davor zu haben, in der Schule geärgert zu werden, trübt es spürbar ein.
Jeden Tag über Stärken und Schwächen nachdenken
Hier setzt der Glücksunterricht an, möglichst früh. Katja Richter hat am Gymnasium Ochsenhausen in Baden-Württemberg im vergangenen Schuljahr erstmals eine "AG Glück" für die Fünftklässler angeboten. Statt Glück zu lehren, sagt sie lieber, sie vermittle Lebenskunst. Fragt man die Fünftklässler, was sie in der AG lernen, sagen sie: "Ich bin nicht immer gleich so frustriert und wütend wie früher" und "Ich fühle mich geborgen in der AG". Alle haben inzwischen einen "Stärkenausweis" in der Hosentasche und bunte, kleine Steine. In dem Mini-Ausweis stehen ihre persönlichen Stärken drin, die sie selbst definiert haben: "Ich bin fleißig. Ich bin kreativ. Ich bin mir etwas wert", hat ein Schüler geschrieben. "Ich bin phantasievoll. Ich bin zuverlässig. Ich bin mir selbst treu", hat sich ein anderer in den Persönlichkeitspass geschrieben.
Das hilft auch, mit den Schwächen umzugehen – zum Beispiel damit, dass man sich leicht ablenken lässt oder nicht so mutig ist wie andere Schüler. Für jeden Glücksmoment am Tag schieben sie einen bunten Stein von der linken in die rechte Hosentasche. Und abends, wenn sie die Taschen leeren, erinnern sie sich an die glücklichen Momente des Tages. "Mir ist es wichtig, die Kinder auch für kleine Dinge zu sensibilisieren. Es gibt vieles im Alltag, das glücklich macht", sagt Katja Richter.
Für die Kinder zählt dazu "auf dem Rücken eines Pferdes zu reiten" – vor allem Mädchen träumen davon –, "ein schöner Nachmittag mit Oma und Opa" oder "ein Freund, der hilft, wenn es mir schlecht geht". In jedem stecke die Fähigkeit, sich glücklich zu fühlen, das sei genetisch so programmiert, sagt Katja Richter. "Aber man muss immer wieder üben, dieses Programm auch für Zufriedenheit und ein gelingendes Leben zu nutzen."
Touren mit der "Glückswaage"
Zurück zum Glücksforscher Ernst Gehmacher. "Bei mir fühlen sich die Glücksschüler wie in einer Weight-Watchers-Gruppe", sagt er schmunzelnd über sich. Denn Gehmacher misst nach, wie zufrieden sie sich vor und nach dem Glücksunterricht fühlen. An Schulen in Heidelberg, Graz und Neusiedel am See sowie an einigen anderen war er bereits mit seiner "Waage für das Glück" unterwegs. "Wunder sind selten, die Veränderungen sind nicht überragend groß", fasst er zusammen. Rasch wirkende Geheimrezepte werden im Glücksunterricht nicht vermittelt, aber viele Ansätze, um eigenständig und nachhaltig zufriedener zu leben. "Und einige Verbesserungen im Wohlbefinden sind im Unterricht leicht zu erreichen", sagt Gehmacher.
Er hat Glücksschüler mit Methoden der Psychologie befragt, um herauszufinden, was sich für sie verändert hat, seit sie zum Glücks-Unterricht gehen; zur Kontrolle hat er Nicht-Glücksschülern die gleichen Fragen gestellt. Im Vergleich zeige sich, so Gehmacher, dass Glücksschüler ihr Leben als sinnvoller empfänden, dass sie selbstbewusster seien und stärker das Gefühl hätten, Probleme aus eigener Kraft bewältigen zu können als Schüler, die das Fach nicht haben.
Auch Wolfgang Knörzer, Professor an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg und Mitwirkender an den ersten Glücksunterricht-Konzepten, sieht positive Effekte: Die Glücksschüler sind mehr in der Lage, sich Ziele zu setzen, und sie erkennen ihre eigenen Stärken besser. Knörzer wünscht sich statt eines Schulfachs Glück, dass ganze Schulen zu "Glücksschulen" werden: "Wir brauchen keine Inseln der Glücklichen, ein Fach allein reicht nicht aus", findet er. Die Interessen der Schüler stärker berücksichtigen, Raum für eigene Initiativen geben und einen Bezug zum wirklichen Leben herstellen – das sind Elemente, die für ihn eine Schule zu einer "Glücksschule" machen können.
Nicole Walter lebt als freie Journalistin in Berlin.