„Rah jib hada biye.“ So was in der Art könnte jemand stammeln, der einem syrischen Flüchtling begegnet, eigentlich kein Arabisch kann und darauf vertraut, dass sich beim Verfassen des „Phrasebook“ niemand in der Zeile vertan hat. Dann versteht sein Gegenüber vielleicht: „Ich hole jemanden, der Ihnen helfen kann“.
Die ersten Seiten des „Phrasebook“ wirken zunächst wie das letzte Kapitel eines Reiseführers. Grundlegende Kommunikationsfetzen sind dort in allen möglichen Sprachen aufgelistet. „Hallo“. „Guten Abend“. „Ich heiße“. Zahlen und Tage in Deutsch, Englisch, Arabisch, Armenisch, Urdu, Farsi, Tigrinya. Ein paar Zeilen später wird es schon viel ernster. Statt „Wie viel kostet das Kleid?“ und „Fahren Sie uns bitte zum Flughafen“ werden dort ganz andere Phrasen übersetzt: „Mein Kind hat Hunger.“ „Wir müssen schlafen.“ „Ich wurde vergewaltigt.“Das „Refugee Phrasebook“ ist eine Tabelle aus Vokabeln und Phrasen, die Sprachbarrieren überbrücken sollen. Die ersten Formulierungen für den zwischenmenschlichen Dialog an Staatsgrenzen und Bahnhöfen hat eine Gruppe Freiwilliger gesammelt und online gestellt. Seitdem kommen immer mehr Einträge und neue Sprachen hinzu. Jeder, der Fremdsprachen beherrscht, kann und soll mitmachen. Denn schließlich ist besonders in diesen Tagen schnelle Hilfe für Menschen gefragt, die Hilfe benötigen. Und dafür braucht es eben auch die richtigen Worte.
Begonnen hat das Refugee Phrasebook als leeres Google Doc Sheet, ein Dokument in der Cloud von Google, das von vielen Nutzern gemeinsam bearbeitet werden kann. Die Organisation „Berlin Refugee Help“ startete das Projekt, kurz darauf hat die Idee auf Facebook sehr schnell Fahrt aufgenommen. In den vergangenen Wochen machten unzählige Leute mit. Von Leuten, die als Flüchtlingshelfer arbeiten, über Privatpersonen, die einfach mit ihren Sprachkenntnissen einen Beitrag leisten wollten. An die 400 Einträge in jeweils rund 30 Sprachen sind bereits zusammengetragen worden.
Welche Leute genau diesen Kraftakt geschultert haben, kann die Gruppe schon gar nicht mehr sagen. Und es würde auch nicht dem Geist des Projektes entsprechen, die Leistungen Einzelner besonders hervorzuheben. Das „Refugee Phrasebook“ ist eine kollektive Leistung. Natürlich hat jemand angepackt, um eine Website zu gestalten, um einen Übersetzer für Paschtu zu finden oder Spenden für den Druck des „Phrasebook“ an der ungarischen Grenze zu sammeln. „Trotzdem ist das Projekt ein totaler Selbstläufer mit etlichen Beteiligten“, beharrt einer der Mitarbeiter. „Wir brauchen keine editorische Kontrolle, keine Autorenschaft, kein Copyright.“ Fehler sollen sich im Dunst der Schwarmintelligenz von allein korrigieren, wie bei Wikipedia.
Hier und da druckt ein solidarischer Verlag ein paar hundert Ausgaben aus. Ansonsten soll das Projekt digital bleiben. So verbreitet es sich schneller und spart Kosten. Das „Phrasebook“ gibt es mittlerweile als Wikibook im Netz. So kann es jeder frei verwenden, erweitern, zusammenstellen, drucken, auf A5 falten, abheften und verteilen. Nur nicht verkaufen.
Es gibt bereits vorgefertigte Versionen, die an Flüchtlinge und Helfer in Deutschland sowie an den Grenzen von Ungarn und Griechenland verteilt werden. Eine medizinische Variante wurde ebenfalls ausgearbeitet. Für eine Version, die die komplizierten Behördenformulierungen abdeckt, werden zurzeit noch sprachbegabte Juristen gesucht. Wer den Flüchtlingen helfen will, muss das nicht nur durch Kleider- und Lebensmittelspenden tun. Es können auch mal Worte sein.
Philipp Brandstädter lebt seit drei Jahren freier Journalist in Berlin-Neukölln und kann immer noch kein Arabisch. Das „Phrasebook“ wird auch ihm auf die Sprünge helfen.