Irgendwann hatte Subomi Owo-Odusi genug. Ausgerechnet sein Heimatland Nigeria, einer der größten Rohöllieferanten Afrikas, leidet immer wieder unter Benzinknappheit. In der Millionenmetropole Lagos, in der Owo-Odusi lebt, stehen Autofahrer darum oft stundenlang Schlange an den Tankstellen.
Der 23-Jährige, der zwei Jahre bei einem Benzinlieferanten gearbeitet hat, dachte einige Wochen lang nach – und programmierte dann die App FueledUp. Mit dem kleinen Programm sollen Autofahrer über ihre Smartphones Kraftstoff direkt zu ihrem Fahrzeug bringen lassen können. Zumindest im Innenstadtbereich von Lagos wird das nach Owo-Odusis Plänen schon bald funktionieren. Maximal eine Stunde soll dann, trotz des chronischen Verkehrschaos in der Stadt, die Lieferung in der Express-Variante dauern.
Zwischen 2000 und 2014 sind in Afrika mehr als 300 Millionen Menschen ins Internet gegangen
Die Autofahrer von Lagos sind längst nicht die einzigen Afrikaner, denen eine App künftig das Leben erleichtert. Überall auf dem riesigen Kontinent hat in den vergangenen Jahren die Digitalisierung Einzug gehalten. Zwar liegen die Anteile der surfenden Bevölkerung noch fast überall unter dem globalen Durchschnitt, aber die Wachstumskurve weist steil nach oben. So sind in Afrika zwischen 2000 und 2014 mehr als 300 Millionen Menschen ins Internet gegangen, von Äthiopien bis Südafrika, von Senegal bis Simbabwe. In Kenia beispielsweise gibt es bereits eine kleine Online-Industrie, die sich „Silicon Savannah“ nennt, in Anlehnung an das kalifornische „Silicon Valley“, der Heimat von Konzernen wie Google, Facebook und Apple.
Der Digitalboom kommt nicht von ungefähr. Viele afrikanische Länder, von Ghana und Senegal im Westen bis Malawi und Sambia im Osten, sind seit längerem politisch vergleichsweise stabil. Zudem haben viele Staaten einen wirtschaftlichen Aufschwung hinter sich, weil alle Welt ihre Rohstoffe haben wollte und die Weltmarktpreise deshalb lange Zeit auf einem Höhenflug waren. So ist vor allem in den Großstädten des Kontinents eine Mittelklasse entstanden. Deren Mitglieder haben ähnliche Bedürfnisse wie die Mittelschicht hierzulande – und dazu zählen auch Internetzugang, schicke Smartphones und der Austausch über soziale Medien.
Die Digitalisierung hat dabei in Afrika einen weitaus größeren Effekt als in Europa oder Nordamerika. Dort verändert das Internet zwar viel Bestehendes, vom Einkaufen bis zum Reisen. In Afrika aber sind digitale Dienste wie etwa Geldtransfers per Mobiltelefon oder behördliche Online-Beschwerdestellen für viele Menschen die ersten funktionierenden solcher Angebote überhaupt.
Wie Schienen für den Westen
Festnetzleitungen beispielsweise gibt es vielerorts auch rund 140 Jahre nach Erfindung des Telefons nicht. Nun aber sind viele Regionen direkt in das Zeitalter des mobilen Internets eingestiegen – und haben damit auch gleich piepsende Modems oder lahmes ISDN-Internet übersprungen. So nutzt fast jeder fünfte Afrikaner mobiles Breitband-Internet, während nur ein verschwindend geringer Anteil über Kabelverbindungen ins Internet geht.
„Digitale Verbindungen haben das Potenzial, das für Afrika zu tun, was Schienen im 19. Jahrhundert für westliche Ökonomien getan haben“, mutmaßt der Harvard-Professor Calestous Juma. Das heißt: Sie beschleunigen den Waren- und Informationsaustausch, wodurch sie die wirtschaftliche, politische und kulturelle Entwicklung ankurbeln.
In Ghana etwa verfolgen Kakaobauern über einen speziellen Nachrichtendienst die Preise auf dem Weltmarkt. In Südafrika organisieren sich Menschen über soziale Medien bei den Protesten gegen den als korrupt verschrienen Präsidenten Jacob Zuma. Und die nigerianische Popmusik-Industrie sendet die Musik ihrer Stars dank beliebter YouTube-Videos über den gesamten Kontinent.
Vom Digitalboom profitieren bislang vor allem die Wohlhabenden und die Mittelschicht in den Städten
„Es gibt natürlich einen enormen Zuwachs“, bestätigt Professor Robert Kappel, langjähriger Präsident des Hamburger Forschungsinstituts GIGA und Wirtschaftsexperte für Afrika. „Aber es ist noch nicht die breite Masse, die Zugang hat, bislang sind es vor allem die Mittelschicht und die Wohlhabenden.“
Die Spaltung zeigt sich vor allem auf dem Land. Zwar finden Smartphones in Großstädten wie dem kenianischen Nairobi oder dem kongolesischen Kinshasa ohne Probleme ein Netz. Aber in den endlosen kenianischen Grassteppen oder den dichten Wäldern der Demokratischen Republik Kongo sieht es oft ganz anders aus. Hier, in den zahllosen Dörfern des riesigen Kontinents, gibt es meist nicht mal eine Stromversorgung. Rund zwei Drittel der Afrikaner südlich der Sahara haben gar keinen Zugang zu Elektrizität. Und selbst bei Afrikanern, die ans Netz angeschlossen sind, fällt der Strom nicht selten regelmäßig aus. Kein Wunder, denn ganz Afrika südlich der Sahara – ohne Südafrika – steht ebenso viel Strom zur Verfügung wie etwa Schweden, Polen oder dem US-Bundesstaat New York.
Lieber surfen als essen
Dazu kommt die nach wie vor mangelhafte Bildung und Ausbildung vieler Afrikaner. So können in Subsahara-Afrika nach Erhebungen von UNICEF gerade mal 60 Prozent der Erwachsenen lesen und schreiben – weit weniger als der weltweite Durchschnitt von 85 Prozent. „Man kann tolle Computer kaufen, aber die Menschen müssen auch damit arbeiten können“, sagt Kappel. Und nicht zuletzt sind die Kosten für Geräte und Zugang noch recht hoch. Viele Menschen sind schlicht zu arm, um sich ein noch so preiswertes Smartphone und dann auch noch das Datenvolumen leisten zu können. Allerdings hat die Weltbank bei einer Marktforschungsstudie herausgefunden, dass beispielsweise arme Kenianer, die von weniger als 2,50 US-Dollar am Tag leben müssen, lieber an ihren Mahlzeiten sparen als an den Prepaid-Gebühren für ihre Smartphones.
„Wenn all diese Hürden einmal überwunden werden, sehe ich dort ein unglaubliches Potenzial“, betont denn auch Kappel. Vor allem bei der Jugend gebe es eine große Nachfrage nach Zugang zum Internet. Die jungen Menschen erzeugten enormen Druck auf Politik und Unternehmen. Und das schon allein durch ihre große Masse: Mehr als die Hälfte aller Afrikaner ist jünger als 25 Jahre – und damit im besten Digital-Alter.
Illustration: Theresa Hattinger