cms-image-000043789.jpg

Traditionelle Archivarbeit: Ein Mitarbeiter des deutschen Filminstituts sichtet Material aus der Zeit des 1. Weltkriegs (Foto: Peer Grimm/dpa)

Traditionelle Archivarbeit: Ein Mitarbeiter des deutschen Filminstituts sichtet Material aus der Zeit des 1. Weltkriegs

(Foto: Peer Grimm/dpa)

Der Engländer Alexander Parkes (1813–1890) war ein erfolgreicher Erfinder. Mehr als 40 Patente wurden auf seinen Namen ausgestellt, die meisten hatten mit Galvanik zu tun. Parkes entwickelte auch den ersten thermoplastischen Kunststoff überhaupt. 1866 gründete er ein Unternehmen, um sein „Parkesine“ in großem Maßstab herzustellen. Doch das war hochentzündlich und hielt auch aufgrund der Verwendung minderwertiger Rohstoffe nicht, was es versprach. Die Firma wurde liquidiert.

Erst nach der Weiterentwicklung durch andere Erfinder und unter dem Namen Zelluloid trat das Gemisch aus Cellulosenitrat und Kampfer seinen Siegeszug an. Es fand Verwendung in Messergriffen, Kämmen, Brillengestellen oder auch Puppenkörpern. Bis vor kurzem wurden noch nahezu alle Tischtennisbälle daraus gefertigt. Doch brauchte es weitere Erfinder, um das Zelluloid in seine heute bekannteste Form zu bringen: George Eastman verkaufte es ab 1889 als Filmrolle für Fotoapparate. 1895 liefen dann die ersten Zelluloidstreifen durch Filmkameras und hielten bewegte Bilder fest. Der Film war geboren – und die Traumwelt, die er schuf, war unablösbar gebannt auf ein sehr langes Stück Plastik. Ein echter Kunst-Stoff also.

Im Lauf seiner langen Geschichte veränderte sich der durch Kameras und Projektoren laufende Streifen permanent. Eine besonders große Herausforderung für Archivare ist der bis in die frühen 1950er-Jahre verwendete Nitrofilm. Das Material zersetzt sich leicht. Unter anderem deshalb gelten 80 Prozent aller Stumm- und frühen Tonfilme als verschollen. Noch dazu ist Nitrofilm hochentzündlich. In Deutschland wird er nach den Sprengstofflager-Richtlinien behandelt und in Bunkern aufbewahrt. Einmal in Brand geraten, lassen sich die Flammen praktisch nicht mehr löschen, weil beim Verbrennungsvorgang Sauerstoff freigesetzt wird.


cms-image-000043785.jpg

Erfolgloser Pionier: Alexander Parkes (Foto: Oxford Science Archive / Heritage Images)

Erfolgloser Pionier: Alexander Parkes

(Foto: Oxford Science Archive / Heritage Images)

Deutsche Filmarchive bewahren alle möglichen Formen und Varianten von Filmstreifen auf. Im Archiv der Deutschen Kinemathek in Berlin lagern rund 26.500 Filme – in Schwarz-Weiß und Farbe, auf Sicherheits- und Ozaphan-Film, in Breiten von 35 mm, 70 mm, 16 mm und 8 mm. Das modernste und den Archivaren liebste Material ist der Polyesterfilm, meint Rainer Rother, künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek: „Er ist sehr dauerhaft. Wir gehen davon aus, dass Filme darauf für etwa 500 Jahre stabil bleiben.“

Der Zauber der Ungenauigkeit

Die Materialien haben verschiedene Eigenschaften, die sich auf die Ästhetik des Filmbildes auswirken. „Überhaupt sehen die auf Film gespeicherten optischen Informationen von einem Frame zum nächsten immer wieder anders aus“, erklärt Rother. Selbst wenn man mit der gleichen Beleuchtung und einer starren Kamera eine unbewegte Szenerie filme, sei von einem der 24 Einzelbilder, die pro Sekunde aufgenommen werden, zum nächsten ein Unterschied erkennbar. Diese Ungenauigkeit gehöre gerade zur Natur des Filmmaterials, und für Liebhaber trägt sie zur Lebendigkeit des filmischen Bildes bei.

Trotzdem hat der Kunststoff-Filmstreifen inzwischen ausgedient, seit Mitte der Nullerjahre wird er vom Digitalfilm verdrängt. Dieser ist leichter und billiger zu handhaben, weil nicht mehr aufwändig Kopien gezogen und in den Kinos verteilt werden müssen. Von denen haben inzwischen ihrerseits die meisten auf digitale Projektion umgerüstet. Auch beim Filmdreh kommt analoges Material immer seltener zum Einsatz. Selbst wenn ein Regisseur darauf besteht, damit zu arbeiten, wird das Gefilmte für die Postproduktion am Computer doch digitalisiert und als Binärcode von Einsen und Nullen weiterverarbeitet.

Für die Filmindustrie ist die digitale Umwälzung gewaltig. Sie betrifft kleine Produktionsfirmen genauso wie große Studios, Programmkinos und Multiplexe, Kopierwerke, Verleihe und Vorführer. Das Ausmaß der Veränderung ist vergleichbar mit der Umstellung vom Stumm- auf den Tonfilm Anfang der 1930er-Jahre.

Auch jetzt ändert sich die Filmästhetik beträchtlich – ein Umstand, den vor allem Regisseure und Kameraleute bisher oft kritisch sehen. Bekannte Filmemacher wie Quentin Tarantino und J. J. Abrams sprechen gar vom Tod des Kinos und wollen verhindern, dass mit Kodak die letzte größere Firma ihre Produktion von 35-mm-Film einstellt. Das digitale Bild wirkt für sie steril, denn es kennt keine Irritationen und Darstellungsfehler. „Es ist auf eine merkwürdige Art konsistenter“, sagt Rainer Rother. „Die Ästhetik des digitalen Filmbildes ist eine andere, weil die Körnigkeit des Materials fehlt.“ Rother hält sie aber deshalb nicht für minderwertig.

cms-image-000043788.jpg

Erfolgreiche Pioniere: Eastman-Kodak präsentieren 1890 in einer Werbung ihre neue Kameratechnologie (Foto: United Archives/TopFoto/dpa)

Erfolgreiche Pioniere: Eastman-Kodak präsentieren 1890 in einer Werbung ihre neue Kameratechnologie

(Foto: United Archives/TopFoto/dpa)

Für ihn geht die Digitalisierung aber über ästhetische Fragen hinaus: „Bisher betrafen alle technischen Umwälzungen die Ausdrucksmöglichkeiten der Kunstform Film. Nun verändert sich zusätzlich radikal die Weise, wie Filmbilder überhaupt existieren – eben nicht mehr als Filmrollen, sondern als Dateien.“

Eine Revolution stellt die Umstellung auf Digitalfilm also nicht nur für den laufenden Filmbetrieb dar, sondern auch für die archivarische Tätigkeit. Man sollte meinen, die Archivierung müsste nun leichter werden, aber das Gegenteil ist der Fall. Schließlich kann man digitale Filme nicht anfassen. Gelagert werden keine Filmrollen mehr, sondern Datenmengen. Diese müssen redundant gesichert werden, das heißt auf verschiedenen Datenträgern, damit eine Kopie immer überlebt, sollte ein Träger beschädigt sein. Und sie müssen immer wieder überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie noch mit den Ausgangsinformationen übereinstimmen. „Letztlich handelt es sich um magnetisch gespeicherte Informationen, die verschiedenen Einflüssen unterliegen. Da kann es schon passieren, dass aus einer Null eine Eins wird“, so Rainer Rother.

Aus der sachgerechten Lagerung eines Gegenstandes aus Kunststoff wird für die Archivare im digitalen Zeitalter also eine permanente Beschäftigung mit Daten. Damit ändert sich zwar ihre Tätigkeit, aber die grundsätzliche Diskrepanz bleibt bestehen: Ob digital oder auf einem Streifen aus Plastik – Film bleibt eine eigentlich körperlose Kunstform, die in unseren Träumen und Vorstellungen lebt und sich ungern auf Material bannen lässt.