Auf den ersten Blick ist Herzogenaurach eine ganz normale mittelgroße Stadt. 23.500 Einwohner, ein Schloss, ein historisches Rathaus und ein Fluss, die Aurach, die die Stadt in der Mitte teilt. Erlangen und Nürnberg sind nah. Doch der Provinzcharme trügt, in dem Städtchen wurden mit Puma und Adidas zwei Weltmarken gegründet. Die Firmenzentralen liegen bis heute nur wenige Gehminuten voneinander entfernt, und doch trennt sie die erbitterte Rivalität der Brüder Adolf und Rudolf Dassler.
Der Aufstieg
1924 gründen die beiden die „Gebrüder Dassler Schuhfabrik“. Die Rollen sind klar verteilt. Adolf, von allen nur Adi gerufen, gilt als sportverrückter Tüftler. Er ist besessen von der Idee, einen perfekten Sportschuh zu entwickeln. Stundenlang verkriecht er sich dafür in der Werkstatt. Mit Erfolg: Seine Schuhe sind weicher und leichter als die der Konkurrenz. Sein Bruder Rudolf ist dagegen ein geborener Verkäufer. Ständig auf Reisen, bringt er die Schuhe an die Athleten. Die Rollenverteilung funktioniert gut. Das Unternehmen wächst. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, arrangieren sich die Brüder mit ihnen, treten der NSDAP bei und knüpfen neue Kontakte. Rudolf, der eines der ersten Parteimitglieder des Ortes war, hatte Kontakte bis in die Parteispitze. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin tragen viele Athleten Schuhe aus Herzogenaurach, auch Jesse Owens. Dem afroamerikanischen Leichtathleten überreicht Adi seine Laufschuhe persönlich. Um NS-Ideologie schert er sich dabei nicht, für ihn zählt nur der sportliche Erfolg. Owens holt vier Goldmedaillen, in Dasslers Schuhen und vor der deutschen Konkurrenz. Konsequenzen für das Unternehmen aus Herzogenaurach hat das nicht. Ende 1943 wird der zivile Betrieb durch die Nazis stillgelegt, und die Brüder müssen Teile der Panzerabwehrwaffe „Panzerschreck“ produzieren.
Der Bruch
Vom Kriegsdienst bleibt Adi weitgehend verschont. Nach nur einem Jahr in der Wehrmacht wird er als unentbehrlich für die heimische Wirtschaft entlassen. Rudolf dagegen wird im Frühjahr 1943 eingezogen und nach Lodz im heutigen Polen versetzt. Er fühlt sich ungerecht behandelt und vermutet eine Intrige seines Bruders, um ihn aus der Firma zu drängen. Kurz vor Kriegsende flüchtet er vor der Roten Armee zurück nach Herzogenaurach. Wegen Fahnenflucht verhaftet ihn die Gestapo, er sitzt in einem Nürnberger Gefängnis ein, bis er auf dem Transport ins KZ Dachau durch US-Truppen befreit wird. Die Freiheit währt jedoch nicht lang. Wegen Spionageverdachts sitzt er ein weiteres Jahr in US-Haft. Wieder vermutet er eine Intrige. Aus Rache zeigt Rudolf seinen Bruder beim Entnazifizierungsausschuss an. Adi muss sich als Profiteur der Nazis verteidigen. Erst Aussagen von Mitarbeitern verhindern den Verlust der Firma und eine Freiheitsstrafe. An eine Versöhnung der Brüder ist längst nicht mehr zu denken.
Die Trennung
1948 wird die „Gebrüder Dassler Schuhfabrik“ aufgeteilt. Die Mitarbeiter müssen sich für einen der Brüder entscheiden: 47 Mitarbeiter, vor allem die Schuster, bleiben bei Adi. Er behält auch die Fabrik auf der linken Seite der Aurach. Die neue Firma heißt zunächst „Addas“, wird aber schon ein Jahr später auf den Namen „Adidas“ getauft, eine Kombination aus Vor- und Nachname des Gründers. Rudolf zieht mit einem guten Dutzend Mitarbeitern in ein Fabrikgebäude auf der anderen Seite des Flusses. Seine Firma will er erst „Ruda“ taufen – ebenfalls eine Kombination aus Vor- und Nachname. Dann nennt er sie „Puma“, wie sein Spitzname in Kindertagen lautete. Beide Unternehmen sind bald erfolgreich. Die leichten und bequemen Schuhe aus Herzogenaurach bleiben beliebt. Adi versieht seine Schuhe mit drei Streifen. Rudolf wählt nach einigem Herumexperimentieren einen geschwungenen Formstreifen.
Die Konkurrenz
Die Feindschaft der Brüder spaltet die mittelfränkische Kleinstadt. Auf der Straße grüßen sich Adidasler und Pumaner nicht. In der Kneipe sitzt man nie am selben Tisch. Herzogenaurach wird zur „Stadt der gesenkten Blicke“, weil jeder dem anderen auf die Schuhe schaut. Wirtschaftlich hat Adidas die Nase vorn. Die Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz wird zum Schlüsselereignis. Für die DFB-Elf ist es das erste große Turnier nach Kriegsende. Im Vorfeld verhandelt Bundestrainer Sepp Herberger mit Puma über die Ausrüstung der Mannschaft. Er will nicht nur Schuhe, sondern auch eine ordentliche Geldsumme obendrauf. Rudolf hält das für unverschämt und setzt ihn vor die Tür. Herberger überquert die Aurach und wird bei Adidas mit offenen Armen empfangen. Bei der WM trägt kein deutscher Spieler Puma. Adidas ist bis heute DFB-Ausrüster. Besonders übel nimmt Rudolf seinem Bruder aber ein technisches Detail: die Schraubstollen. Die auswechselbaren und damit den Bodenverhältnissen anpassbaren länglichen Stifte unter den Schuhen sollen den Spielern auf nassem Rasen besseren Halt geben. Im Endspiel gegen Ungarn machen sie angeblich den Unterschied aus. Adidas hat damit Anteil am „Wunder von Bern“, zumindest hält sich dieser Mythos bis heute hartnäckig. Rudolf wirft seinem Bruder Ideenklau vor. Puma hat ebenfalls mit Schraubstollen experimentiert. Heute weiß man, dass die Idee schon mindestens drei Jahrzehnte früher aufkam. Erfinder oder nicht, die Rivalität wächst.
Die nächste Generation
Längst ist aus dem Bruderstreit ein Familienzwist geworden, an dem sich auch die Söhne der Gründer beteiligen. Zum ersten Highnoon der Nachfolger kommt es bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne. Adidas-Spross Horst verschenkt im olympischen Dorf Schuhe an die Athleten und macht sich so viele Freunde. 70 Olympiasieger tragen am Ende drei Streifen am Fuß. Klarer Sieg für Adidas. Nach dem Erfolg darf Horst im Elsass eine französische Zweigstelle aufbauen. Trotz der „Niederlage“ in Melbourne steigt auch Rudolfs Sohn Armin in die Puma-Führungsriege auf. An eine Versöhnung denken die beiden Cousins nicht. Ihre Rivalität ist so erbittert wie kostspielig. Adidas und Puma wollen nur die besten Athleten ausrüsten und greifen dafür tief in die Tasche. 20.000 Mark bekommt ein 100-Meter-Olympiasieger damals, wenn er sich für eine der Marken entscheidet. Längst tauchen Vertreter von Adidas und Puma bei jeder größeren Sportveranstaltung auf, immer mit neuen Schuhen und Geldbündeln im Kofferraum. Prominente Werbegesichter versprechen mehr Schuhverkäufe. 1966 wird der portugiesische Fußballstar Eusébio für 10.000 Mark das Aushängeschild von Puma. Vier Jahre später buhlen beide um den Weltstar Pelé. Der brasilianische Zauberkicker ist sehr teuer, Rudolf und Adi bekommen Bauchschmerzen und versprechen sich, kein Wettbieten zu veranstalten. Doch an die Abmachung halten sich nicht alle. Ohne Wissen des Vaters schließt am Ende Rudolfs Sohn Armin den Puma-Vertrag mit Pelé ab. Bei Adidas ist man gelinde gesagt verstimmt.
Der Haussegen hängt schief
Im Dassler-Clan kämpft man längst nicht mehr nur gegen die andere Seite. Auch der interne Haussegen hängt schief. Kurz vor seinem Tod 1974 streicht Rudolf seinen Sohn Armin aus dem Testament. Nur mit Hilfe eines Anwalts gelingt es diesem, seine Mehrheit bei Puma zu verteidigen und eine Spaltung zu verhindern. Auch bei Adidas ist man sich alles andere als grün. Adi hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen. Das Wettbieten um die Sportler missfällt ihm zusehends. Er stirbt vier Jahre nach seinem Bruder. Begraben sind die beiden auf verschiedenen Seiten des Friedhofs von Herzogenaurach. Bei Adidas wird Horst zum Firmenlenker. In Frankreich baut er erfolgreich eine Zweigstelle auf, mit eigener Produktion, Marketing und Vertrieb. Der Sohn ist ziemlich geschäftstüchtig und gründet nebenbei eine Marketingagentur, die Bandenwerbung und Sponsorenrechte verkauft. Zudem steigt er beim französischen Sportmodehersteller Le Coq Sportif ein und entwickelt die Schwimmmarke Arena. Von seinen Nebengeschäften ahnt in Herzogenaurach niemand etwas. Als die Mutter und seine Schwestern davon erfahren, kommt es zum Rechtsstreit. Am Ende bekommen alle fünf Kinder gleiche Anteile an Adidas und den neuen Firmen zugesprochen. Im Gegenzug darf Horst alleine regieren. Die Adidas-Welt erscheint für kurze Zeit heil. Die Marke mit den drei Streifen ist Weltmarktführer und an den wichtigen Entscheidungen der Sportwelt beteiligt. Das Unternehmen besitzt exklusive Verträge mit allen großen Verbänden und unterhält engste Kontakte zu IOC und FIFA.
Die Familie tritt ab
Während die beiden Unternehmen aus Herzogenaurach mit Familienstreitigkeiten beschäftigt sind, haben sie einen neuen Konkurrenten auf dem Markt völlig verschlafen. 1964 hat Phil Knight in den USA Nike mitgegründet. Der Wirtschaftswissenschaftler produziert billig in Fernost und investiert in ein offensives Marketing. Horst Dassler kann den Angriff auf die Vormachtstellung am Markt nicht mehr abwehren. Mit nur 51 Jahren stirbt er an Krebs, zwei Jahre nach dem Tod seiner Mutter. Seine Kinder und deren Tanten bekommen zwar Firmenanteile, in seine Fußstapfen aber will niemand treten. Erstmals übernehmen Manager von außen die Geschicke bei Adidas. Kluge Firmenlenker wie Adi oder Horst sind sie nicht. 1990 verkaufen die Dassler-Schwestern ihre Anteile weit unter Wert an den französischen Unternehmer Bernard Tapie. Es wird nicht besser: Adidas gerät in finanzielle Schwierigkeiten. Auch bei Puma läuft es nicht gerade rund. Armin will die Geschäfte ankurbeln und setzt dabei auf teure Stars wie Boris Becker. Fünf Millionen US-Dollar pro Jahr soll Puma der Fünf-Jahres-Deal mit dem Tennis-Wunderkind gekostet haben, das dann eher mit Negativschlagzeilen denn mit Siegen aufwartet. Die Werbekampagne floppt. Das Geld fehlt bei der Entwicklung neuer Produkte. Ende der 80er-Jahre finden sich Puma-Schuhe und Trainingsanzüge vor allem auf dem Grabbeltisch wieder. Die Banken und Aktionäre drängen Armin und seine Söhne aus dem Unternehmen. Die Puma-Mehrheit übernimmt am Ende ein französischer Luxusgüterkonzern.
Heute
Wirtschaftlich haben sich beide Konzerne inzwischen wieder erholt. Hinter Branchenprimus Nike ist Adidas immer noch die klare Nummer zwei. Der Konzern beschäftigt 2014 weltweit über 53.000 Mitarbeiter und hat einen Umsatz von gut 14,5 Milliarden Euro. Platz drei geht an Puma. Der Konkurrent aus der Nachbarschaft beschäftigt „nur“ 10.000 Mitarbeiter und hat einen Umsatz von knapp drei Milliarden Euro. Geblieben ist die Rivalität um die besten Sportler, bis heute trägt die deutsche Fußballnationalmannschaft drei Streifen. Der schnellste Sprinter der Welt, Usain Bolt, setzt dagegen auf Puma. Nur aus der Familie Dassler ist heute niemand mehr an dem Kampf um Sportler beteiligt.
Der Journalist Birk Grüling lebt in Hamburg und schreibt für große Tageszeitungen und Magazine über Wissenschaft und Gesellschaft. Zu Turnschuhen hat er einen besonderen Bezug. Er war mal Redakteur eines Sneaker-Magazins.