Zwischen Jerusalem und Nablus, umgeben von drei jüdischen Siedlungen, sechzehn muslimischen Dörfern und drei Weinbergen liegt Taybeh, die letzte Hochburg des Christentums im Westjordanland. Das Bergdorf mit seinen Kirchen, dem Kloster und einer byzantinischen Ruine haben die 1.400 palästinensischen Christen aus Taybeh fast ganz für sich allein. Das gibt es sonst nirgendwo im Westjordanland: Lediglich zwei Prozent der Gesamtbevölkerung machen Christen hier noch aus. Und auch sie verlassen die Region, um in Australien, Kanada und den USA ein friedliches Leben zu führen. Fernab von diesem Landstrich, der unter israelischer Kontrolle steht und dessen Bevölkerung mehrheitlich muslimisch ist.
„Auch Taybeh ist auf zehn Prozent seiner ursprünglichen Größe geschrumpft“, erklärt Canaan Khoury. Seine Familie ist jedoch geblieben und betreibt ein Hotel mit angeschlossener Brauerei und Winzerei. Sechs Biersorten und sechs Weine, vier rote, zwei weiße, werden hier produziert, im Keller stehen unzählige Holzfässer für den Wein und fünf silberglänzende Tanks für das Bier. Sogar eine einheimische Rebsorte haben die Khourys wiederbelebt: „Die Zeini-Rebe wächst auch in Syrien und schmeckt ganz einzigartig, irgendwie nach Apfel und Pfirsich“, sagt Canaan und öffnet eines der Fässer, um eine Kostprobe des edlen Tropfens zu geben.
„Mit Gottes Willen, brau dein Bier!“, soll Arafat gesagt haben
In der Euphorie nach dem Priedensprozess von Oslo, als Israel und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) einander erstmals offiziell anerkannten und den Palästinensern für eine Interimsphase eine autonome Verwaltung des Gazastreifens und des Westjordanlandes zugesprochen wurde, hat Canaans Vater, Nadim Khoury, 1994 das Familienunternehmen gegründet. Der langjährige PLO-Chef und Palästinenserführer Jassir Arafat höchstpersönlich hat ihm damals seinen Segen gegeben: „Mit Gottes Willen, brau dein Bier!“, soll er gesagt haben. Ein Bild auf Nadims Schreibtisch verewigt den Moment des Handschlags. Der Name Khoury bedeutet auf Arabisch Priester, und in der Tat gibt es davon in der Familie 13 Stück. „Der Vorname meines Vaters, Nadim, bedeutet jedoch Saufkumpan. Vielleicht hat das unsere Berufung verändert“, fügt Canaan lachend hinzu.
Die Zutaten für das Getränk bezieht die Familie aus der ganzen Welt: Malz kommt aus Belgien, Hopfen aus Deutschland und Hefe aus Großbritannien. „Wir brauen nach dem deutschen Reinheitsgebot“, sagt Nadim Khoury stolz. In Anzug und Krawatte inspiziert er das heutige Bräu. Vor zwei Wochen war die Familie zu Besuch in Nürnberg, um sich bei der Fachmesse BrauBeviale mit den neuesten Trends der Bierkultur vertraut zu machen. Deutschland sei das erste Land gewesen, das Taybeh-Bier vertrieben habe. Mittlerweile findet man es sogar in Bars in Israel, wo es eher schwierig ist, Produkte aus dem Westjordanland zu vertreiben. Nadim Khoury deutet auf ein riesiges Poster an der Hausfassade. Eine Werbung für das Oktoberfest, das sie vor einem Monat in Taybeh veranstaltet haben. Es ist mittlerweile eines der größten Events in Palästina – dieses Jahr sind 16.000 Menschen gekommen. Seit 2005 veranstaltet die Brauerei das Fest. Lediglich während des Gazakriegs 2014 ist es aus Respekt gegenüber den Opfern ausgefallen. „In diesem Jahr hat eine Gruppe sogar den Schuhplattler getanzt“, erzählt Nadim und klatscht auf seine Oberschenkel. Nicht nur Christen, sondern auch viele Moslems seien gekommen, trotz ihrer religiösen Zurückhaltung dem Alkohol gegenüber. „Natürlich trinken sie“, sagt Nadim. „Niemand glaubt ja auch im Ernst, alle Christen hätten keinen Sex vor der Ehe.“
Probleme mit den muslimischen Nachbarn gebe es in der Regel keine, betont Canaan. Eine andauernde oder systematische Benachteiligung aufgrund seiner Religion habe er in seinem Leben glücklicherweise nie erfahren müssen, so der 25-Jährige. Man könne die Situation nicht mit der im Libanon, in Syrien oder in Ägypten vergleichen, wo Christen zunehmend diskriminiert werden. „Wir haben hier wahrscheinlich genug mit den Israelis zu tun, so dass wir nicht auch noch untereinander Streit anfangen können“, überlegt Canaan. Die muslimischen Arbeiter hätten am Anfang ein wenig gezögert, an der Herstellung eines verbotenen Getränks mitzuwirken, das war dann aber auch schon alles. Das Problem sei eher, dass die meisten Christen ihr Glück lieber an anderen Orten der Welt versuchen. Auch Canaan hat im Ausland studiert. Aber nach seinem Abschluss in Winzerei ist er nach fünf Jahren aus den USA nach Palästina zurückgekehrt. Es sei eine Entscheidung der emotionalen Art gewesen. „Besonders viel Sinn macht es nicht“, findet auch Madees Khoury, Canaans Schwester. Auch sie war lange fern der Heimat: 14 Jahre lang hat sie in Boston gelebt und studiert.
Gemeinsam hat die Familie Khoury 2013 die Winzerei gegründet. Aber es ist schwierig, im Westjordanland ein profitables Geschäft zu betreiben. Seit der zweiten Intifada – dem fünfjährigen Konflikt zwischen Israel und Palästina, an dessen Beginn der Besuch des israelischen Politikers Ariel Scharon auf dem Tempelberg stand – hat sich der Tourismus nie wieder ganz erholt. Außerdem besitzen Palästinenser keine ausgeprägte Weinkultur. Das Unternehmen beruht größtenteils auf Exporten ins Ausland. Aber die Infrastruktur im Westjordanland macht internationalen Handel zu einer nervenaufreibenden Angelegenheit: Lediglich an den wenigen kommerziellen Checkpoints können Waren in Richtung Mittelmeer, zu den Häfen von Haifa und Akko, transportiert werden. Manchmal werden die Lastwagen vom israelischen Militär zurückgewiesen. „Den genauen Grund erfahren wir selten“, sagt Canaan und klingt resigniert. Oder aber es herrscht dort so viel Andrang, dass die Ware tagelang in der Sonne warten muss und das Bier schließlich schal wird. „Dann müssen wir die Ladung wieder zurücknehmen und eine neue schicken.“ Hinzu kommt der chronische Wassermangel. Die drei jüdischen Siedlungen am Fuße des Berges von Taybeh hätten privilegierten Zugang zu Wasser, sagt Canaan. An sieben Tagen die Woche würden die Einwohner dort mit fließendem Wasser versorgt, während palästinensische Ortschaften oft nur ein- bis zweimal pro Woche für mehrere Stunden Wasser erhielten. Die Khourys haben deswegen einen unterirdischen Wasserspeicher gebaut. „Außerdem fülle ich immer die riesigen Biertanks, sobald wir Wasser haben. Davon zehren wir dann die ganze Woche.“
Wenn nur ein- bis zweimal pro Woche Wasser fließt, ist es nicht leicht, Bier zu brauen
An diese Hindernisse haben sich die Khourys mittlerweile gewöhnt. Der Konflikt ist selbstverständlicher Teil des Alltags: „Ich denke gar nicht mehr darüber nach, warum es eine Straßenblockade gibt. Ich fahre einfach einen anderen Weg“, sagt Canaan und gibt damit ein gelebtes Beispiel für die Mentalität vieler Bewohner des Westjordanlandes. Als man jedoch einen Teil der Weinanbaufläche wegen „Sicherheitsmaßnahmen“ beschlagnahmt hat oder als einmal Siedler ein ganzes Weizenfeld niederbrannten, da habe er schon schlucken müssen, gibt er zu. Das seien die Momente, in denen er sich wieder nach dem unbeschwerten Leben in Kalifornien sehne. Aber das Familienunternehmen habe ihn gebraucht. Der Großvater habe ihn angefleht, zurück in die Heimat zu kommen. „Und wenn die Menschen, die es schaffen, hier etwas auf die Beine zu stellen, auch noch gehen, dann gibt es für diese Region wirklich keine Hoffnung.“
Heute Abend verkaufen die Khoury-Geschwister gemeinsam Honig, Olivenöl und Glühwein auf einem der beiden Weihnachtsmärkte in Ramallah. „Mein Bruder macht den Glühwein nach dem deutschen Rezept“, erklärt Madees. Rotwein, Orangen, Zimt, Sternanis. „Die Leute fanden heißen Wein anfangs natürlich sehr seltsam“, erinnert sich Canaan. „Aber er ist süß. Und Palästinenser lieben alles, was süß ist.“
Bilder: Yaakov Israel