Für ihren Silvestereinsatz in Köln hat die Polizei viel positives Feedback bekommen – einerseits: Schließlich haben sich die massenhaften Übergriffe aus dem vergangenen Jahr nicht wiederholt. Andererseits steht gegen die Polizei der Vorwurf des Racial Profiling im Raum, also dass Menschen allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit kontrolliert worden seien. In diesem Fall: wegen ihres „nordafrikanischen“ Aussehens. Die Polizei hatte am Silvesterabend auf Twitter mitgeteilt, am Kölner Hauptbahnhof würden „mehrere Hundert Nafris“ kontrolliert. Genau wie die Kontrollen selbst sorgte auch diese Wortwahl für Kritik. Was wiederum zu scharfer Kritik an den Kritikern des Einsatzes führte, die Grünen-Vorsitzende Simone Peter etwa wurde massiv angefeindet.

In der oft hitzigen und polemischen Debatte der vergangenen Tage sind aber auch viele empfehlenswerte Beiträge erschienen: zur Frage, wie das Handeln der Polizei in der Silvesternacht zu bewerten ist, zu Racial Profiling, zum Begriff „Nafri“ und auch dazu, wie die Diskussion bisher verlaufen ist. Wir empfehlen: Erst mal mit den unterschiedlichen Sichtweisen auseinandersetzen (bedingt gilt das auch für die Kommentare unter den Beiträgen) – und sich dann eine eigene Meinung bilden.

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Auf welcher Grundlage wir diskutieren sollten

Der Journalist Christoph Herwartz war in der Silvesternacht selbst am Kölner Hauptbahnhof und hat seine Beobachtungen (ganz ohne Wertung) aufgeschrieben: „Nach und nach wird das Schema deutlich: Wer nicht im engeren Sinne weiß ist und nicht in Begleitung einer Frau, muss fast immer die rechte Tür nehmen, die anderen die linke Tür.“

n-tv.de: Wer feiern darf und wer nicht 

Warum der Vorwurf des Racial Profiling so ein gravierender ist? Die Praxis widerspricht dem Grundgesetz, sie ist nicht mit Artikel 3 vereinbar:

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland: Artikel 3 

Also dann: Das wird man jawohl noch sagen fragen dürfen!

Kritik üben – und zwar, ohne sich als weltfremd, hysterisch oder spinnert bezeichnen lassen zu müssen, findet Johannes Schneider. Die öffentliche Diskussion sei entgleist, schlimmer als je zuvor. Der Redakteur des Berliner „Tagesspiegel“ bietet einen Kompromiss an.

Tagesspiegel.de: Wie bitte geht eine normale Debatte? 

Medienjournalist Stefan Niggemeier traut sich kein Urteil zu, „ob das Vorgehen der Polizei richtig oder gar alternativlos war“. Aber auch er findet: Selbstverständlich dürfe man darüber streiten.

Übermedien: Im Meinungskessel von Köln 

Viel Aufmerksamkeit erregte der Kommentar von Miriam Spieß. Die Frau eines Kölner Polizeibeamten zeigte sich entsetzt über die Aussage von Simone Peter und fragte, wen die Beamten denn hätten kontrollieren sollen. Indirekt brachte sie auch die Perspektive der Polizisten in die Debatte ein: „Während Sie sicherlich eine schöne Silvesternacht gehabt haben, stand mein Mann bei eisiger Kälte in Köln und hat nach bestem Wissen und Gewissen alles Nötige getan, um den Menschen ein friedliches Feiern zu ermöglichen!“

Huffington Post: Antwort einer Kölner Polizisten-Frau auf Kritik der Grünen spricht Tausenden aus der Seele 

Zur Sache: War das Racial Profiling? War das Rassismus? – War das in Ordnung?

Die im folgenden Text zitierten Experten sind sich einig: Das Vorgehen der Polizei war gerechtfertigt und nicht diskriminierend. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten sagt aber auch: Racial Profiling ist Realität in Deutschland.

Zeit Online: Die üblichen Methoden der Gefahrenabwehr 

Dem Journalisten Patrick Gensing reicht die Bezeichnung „Nafris“ für den Beweis des Racial Profiling. Geht gar nicht, findet er. Was für ihn auch nicht geht: argumentieren, „man sei zwar gegen Racial Profiling, in manchen Fällen sei diese verbotene und grundgesetzwidrige Praxis angemessen – eine Diskussion darüber aber nicht“.

Patrick Gensing: Wenn der Zweck die Mittel heiligt 

Anatol Stefanowitsch wollte sich eigentlich aus der Debatte raushalten, fühlte sich dann aber vom Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft provoziert. Genauer: von dessen Aussage, ein Polizeieinsatz sei eben kein „sprachwissenschaftliche[s] Grünen-Seminar“. Da musste der Linguist dann doch antworten.

Sprachlog.de: Nafris (ein sprachwissenschaftliches Grünen-Seminar für Rainer Wendt) 

Wer die Problematik von Racial Profiling nicht verstehen kann, hat sich möglicherweise noch nie gefragt, wie er oder sie es fände, regelmäßig aufgrund seiner Ethnie von der Polizei kontrolliert zu werden. Die Journalistin Sandhya Kambhampati kommt aus den USA und schildert hier, wieso sie sich in Deutschland mittlerweile nicht sicherer fühlt.

Correctiv: In neun Monaten hat mich die Berliner Polizei 23 Mal kontrolliert 

SCHAUEN

Gibt es auch in Deutschland: „Racial Profiling – anders gesagt: polizeilicher Rassismus“

Auch hier erzählen Betroffene: Das WDR-Magazin „Monitor“ hat 2014 einen Beitrag über die Kontrolle nach Hautfarbe veröffentlicht … 

Monitor: Kontrolle nach Hautfarbe: Wie der Staat Minderheiten schikaniert (7:59 Min.) 

… und im Sommer 2016 einen weiteren nachgelegt – für diejenigen, die sagen: „Rassismus? Polizeigewalt? Wir sind hier doch nicht in den USA!“ 

Monitor: Rassismus bei der Polizei – nur ein US-Problem? (5:04 Min.) 

Ein interessanter und wichtiger Gedanke findet sich außerdem am Ende dieses Beitrags: Für Vera Egenberger von der NGO „Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung“ sind ausdrücklich nicht die Polizisten rassistisch – es ist das Gesetz.

Arte Journal: „Racial Profiling“ bei der Bundespolizei (2:34 Min.)

Liebe auf den ersten Blick

Mohamed Hassan ist nicht nur Journalist, sondern auch Poetry Slammer. Dieses absurde Gedicht über Racial Profiling an Flughäfen ist ein ganz schöner Kontrast zu den unschönen Erlebnissen, die er auf Reisen immer wieder macht.

The Wireless NZ: Customs: A Love Poem (1:33 Min.) 

HÖREN

Alle mal beruhigen, bitte

Die Kritik auf „einen bekloppten Tweet“ der Polizei ist für „Tagesspiegel“-Chefredakteur Lorenz Maroldt ein Reflex: „Aufs Stichwort bellen alle los.“ Er kommt zu der Schlussfolgerung: kein Racial Profiling, sondern ein „saublöd kommunizierter Polizeieinsatz“. 

Radioeins: Nafris, Videoüberwachung, Polizei (5:14 Min.) 

Was darf die Polizei, was nicht?

Racial Profiling ist nicht erlaubt nach deutschem Recht, erklärt Rechtswissenschaftler Matthias Bäcker. Anders, wenn es konkrete Anlässe gegeben habe: Dann könne eine solche Kontrolle durchaus gerechtfertigt sein. Und im konkreten Fall? Da legt er sich nicht so richtig fest.

Deutschlandfunk: „Differenzierungskriterium Hautfarbe ist verboten“ (7:23 Min.) 

Profiling ist eine legitime kriminalistische Praxis, ohne die Ermittlungsbehörden ihrer Arbeit wohl kaum nachgehen könnten. Dieser US-Podcast erklärt, welche Arten von Profiling es gibt, wie diese funktionieren und wo Diskriminierung anfängt. Dem flapsigen Umgangston der beiden Moderatoren zum Trotz: Hier wird deutlich, wie problematisch diese Art von Polizeiarbeit mitunter sein kann.

Stuff you should know: How Profiling Works (50:24 Min.) 

Titelbild: Renke Brandt