Als der New Yorker Senator Charles Schumer die Bühne betritt, spaltet sich die Masse. Manche applaudieren, andere buhen, viele pfeifen, und ein paar Protestlern gelingt irgendwie alles gleichzeitig. „Seid ihr bereit zu kämpfen?“, brüllt er, drei Mal hintereinander. Schumer ist nicht nur gewählter Fraktionsführer der Demokraten im US-Senat, sondern auch selbst ernannter Anführer der Widerstandsbewegung. Im Parlament vertritt er den Staat New York und hat dort, seiner kämpferischen Rhetorik zum Trotz, eine Reihe von Trumps Minister-Kandidaten durchgewinkt. Entsprechend kritisch reagiert das Publikum heute auf ihn: „Hör auf, Trumps Kandidaten zu bestätigen!“
Tausende Menschen haben sich an diesem Samstagnachmittag im Februar an der Christopher Street im New Yorker West Village zum Protest gegen Donald Trump vereint. Doch wie der Widerstand aussehen soll und wer überhaupt dazugehört, darüber sind die Demonstranten uneins.
„Ich bin 26 Jahre alt, Afro-Latina, transsexuell und komme aus Bed-Stuy, Brooklyn“
Es ist ein symbolträchtiger Ort, den die Trump-Gegner für ihre Aktion gewählt haben. Im Juni 1969 rebellierten Schwule, Lesben und Transgender hier in der Christopher Street gegen Polizeigewalt, vorausgegangen war eine Razzia in der Bar Stonewall Inn. Ein Denkmal erinnert heute an den queeren Aufstand, aus dem eine weltweite Bewegung erwuchs. „Die Pioniere von Stonewall haben unermüdlich gekämpft und schließlich gewonnen. Wir werden das Gleiche tun“, ruft Senator Schumer, doch die meisten Regenbogenfahnen bleiben bei seiner Rede schlaff.
Kurz darauf steigt eine schwarze Frau, die wohl den allermeisten Demonstranten unbekannt ist, auf das Podium. „Ich bin 26 Jahre alt, Afro-Latina, transsexuell und komme aus Bed-Stuy, Brooklyn“, stellt sich Olympia Perez vor. Diese Worte reichen schon, da jubelt das Publikum geschlossen. Perez fordert Krankenversicherung und Wohnraum für alle Amerikaner sowie „safe spaces“ vor der Polizei, in denen sich Minderheiten bewegen können. „Was habt ihr bislang für uns gemacht?“, fragt Perez in Richtung der Politiker, die seitlich der Bühne stehen. Wieder großer Beifall, ehe die Aktivistin zum Schlachtruf ansetzt: „Es ist unsere Pflicht zu kämpfen! Es ist unsere Pflicht zu gewinnen!“ Die Menge feiert sie. Anders als Senator Schumer wirkt Olympia Perez auf die Demonstranten glaubwürdig.
An diesem Samstag im New Yorker West Village zeigt sich, wie divers die landesweite Protestbewegung gegen Trump ist. Politiker wie Schumer halten leidenschaftliche Oppositionsreden, fühlen sich aber gleichzeitig verpflichtet, mit dem neuen Präsidenten im Kongress zu kooperieren. Manche Aktivisten setzen alle Hoffnung in ihre Repräsentanten in Washington, D.C., andere sind so enttäuscht von den politischen Institutionen, dass sie nur noch auf radikale Konfrontation bauen.
„Es ist unsere Pflicht zu kämpfen! Es ist unsere Pflicht zu gewinnen!“
Eineinhalb Monate ist es mittlerweile her, dass Trump als Präsident vereidigt wurde. Dass bei den zahlreichen Women’s Marches am 21. Januar im ganzen Land Schätzungen zufolge bis zu fünf Millionen Menschen durch die Straßen zogen. Vor allem im linken Lager war die Befürchtung groß, dass der ersten Empörung keine dauerhafte Opposition entwächst, dass sich der Protest nicht verstetigt.
Doch die vergangenen Wochen haben das Gegenteil bewiesen: Zivilgesellschaft, politische Opposition, Justiz und Medien lassen bislang keine Normalisierung der Trump’schen Präsidentschaft zu. Manche Demonstrationen sind spontane Antworten auf Trumps neue Gesetze, andere sind wochenlang vorbereitet. Die USA sind, wie die „New York Times“ feststellte, zurzeit eine „Protest-Nation“ – und New York ist die Protest-Hauptstadt. Anarchisten, Kommunisten, Sozialisten, Bernie-Sanders-Fans, Hillary-Clinton-Unterstützer, Linke und Liberale sind sich einig, dass der neue Präsident diesem Land mehr schadet als nutzt. Doch sie demonstrieren nicht nur gegen Trump, sondern für den Schutz von Minderheiten, für Feminismus, für mehr Mitsprache im politischen Prozess, wenn auch die verschiedenen Fraktionen unterschiedliche Ideen haben, welche Alternativen anzustreben sind.
„Im Vergleich zu Occupy Wall Street oder Black Lives Matter ist die aktuelle Bewegung breiter, zerstreuter, und sie konzentriert sich mehr auf tatsächliche Wahlpolitik“, sagt Politikwissenschaftler Daniel Schlozman, der an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore lehrt. Viele Aktivisten würden also versuchen, ganz konkret die parlamentarischen Prozesse zu beeinflussen. In seinem Buch „When Movements Anchor Parties“ untersucht Schlozman das Zusammenspiel von Protestbewegungen und Parteien. Seiner Meinung nach lässt sich die derzeitige Bewegung am besten mit der Tea Party vergleichen. Im Frühjahr 2009, wenige Monate nach Barack Obamas Wahl, hatte sich eine rechte Opposition unter dem Namen „Tea Party“ formiert, die in der Folge großen Einfluss auf die Republikaner nahm. Die nationalistische Kampagne („I want my country back“) wirkte. Bei den Halbzeitwahlen 2010 verloren die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus.
„Im Vergleich zu Occupy Wall Street oder Black Lives Matter ist die aktuelle Bewegung breiter, zerstreuter“
Die Taktik der Tea Party hat sich nun auch eine Gruppe ehemaliger Kongressmitarbeiter zum Vorbild für den Kampf gegen Trump genommen. Ezra Levin, Leah Greenberg und Angel Padilla haben mit dem „Indivisible Guide“ einen Protest-Leitfaden veröffentlicht. So wie die sogenannte Tea Party vor acht Jahren die öffentliche Meinung mitprägte und den Eindruck einer breiten Unzufriedenheit mit Präsident Obama vermittelte, wollen sie deren Methoden nun gegen Trump einsetzen: lokale Organisation, Fokus auf bestimmte Kongressmitglieder und beharrliches Blockieren aller Initiativen des Präsidenten durch die parlamentarische Opposition. Der „Indivisible Guide“ wurde nach eigenen Angaben bislang von rund 4.500 Gruppen unterzeichnet und über eine Million Mal heruntergeladen.
Von zentraler Bedeutung ist Kontinuität, da sind sich fast alle Aktivisten einig. „Wichtig ist, die Leute auf regelmäßiger Basis in den Widerstand einzubinden“, sagt die 37-jährige New Yorkerin Elizabeth Zeldin. Sie ist eine der Organisatoren der Initiative „Resist Trump Tuesdays“. Jeden Dienstag finden momentan an verschiedenen Orten in den USA Proteste gegen die neue Regierung statt. „In den Monaten vor der Amtseinführung stand die Bewegung noch unter Schock. ‚Resist Trump Tuesdays‘ war also so etwas wie ein Weckruf“, sagt Zeldin.
Mal stehen die Aktionen im Zeichen der Solidarität mit Muslimen, mal richten sie sich gegen Trumps Wall-Street-Verbandelungen. So versammelten sich Anfang Februar ein paar hundert Menschen vor dem Hauptquartier der Bank JPMorgan Chase in Midtown Manhattan, um gegen Trumps geplante Deregulierungen zu protestieren. Der neue Präsident will den sogenannten „Dodd-Frank-Act“ größtenteils außer Kraft setzen. Das Gesetz hatte Obama 2010 erlassen, unter anderem, um zu verhindern, dass Großbanken mit Steuergeldern gerettet werden können. „Wir brauchen eine Bandbreite an Veranstaltungen, um jeder Wählerschicht eine Möglichkeit zum Widerstand zu bieten. Manche haben nur tagsüber Zeit, andere nur abends. Manche wollen an Mainstream-Veranstaltungen wie dem Women’s March teilnehmen, andere an radikaleren Aktionen“, sagt Aktivistin Zeldin. Sie will erreichen, dass sie alle aktiv werden.
„Unsere Senatoren und Repräsentanten sind der Schlüssel, um die Regierung zu beeinflussen“
Doch wo im politischen System müssen die Protestierenden ansetzen, damit sie etwas bewirken können? „Am effektivsten ist wohl der direkte persönliche Kontakt mit den entsprechenden Politikern. Bei Bürgerversammlungen oder, für die Reichen, bei Benefizveranstaltungen oder am Telefon“, sagt Politik-Professor Daniel Schlozman. Dem schließt sich Aktivistin Elizabeth Zeldin an: „Unsere Senatoren und Repräsentanten sind der Schlüssel, um die Regierung zu beeinflussen.“
Die kanadische Soziologin Frances Fox Piven setzt dagegen auf zivilen Ungehorsam. In einem Artikel für die Wochenzeitschrift „The Nation“ forderte Piven Ende Januar, „Sand ins Getriebe der Institutionen“ zu werfen. Wie das aussehen kann? „Auch normale Bürger können Immigranten aufnehmen und sie dadurch beschützen. Und jeder von uns kann mögliche Register unbrauchbar machen, indem man sich selbst als Moslem oder Mexikaner oder Moldauer registriert“, schreibt Piven.
Auch ein Generalstreik wird von immer mehr Aktivisten diskutiert. Bei Google wird nach dem Begriff so häufig wie seit 2012 nicht mehr gesucht. „Millionen realisieren, dass ein Generalstreik der nächste logische Schritt nach den Massenprotesten vom 21. Januar ist“, schrieb der Aktivist und ehemalige Lehrer Erik Forman vor Anfang Februar in einem Beitrag für das sozialistische Magazin „Jacobin“.
Und die Politiker selbst? Die Bürgermeister mehrerer Großstädte wie Chicago und Los Angeles haben bereits angekündigt, Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis vor der Abschiebung schützen zu wollen. Die Politiker der Demokraten stehen unter Druck, ihrer Rhetorik auch Taten folgen zu lassen. Vor der Wohnung von Senator Charles Schumer in Brooklyn versammelten sich erst vor ein paar Wochen Tausende Menschen zum Protest. Die Botschaft war eindeutig. „Lass dir ein Rückgrat wachsen, Chuck“ stand auf einem Plakat. Ein paar Tage danach stand der Mann dann an der Christopher Street und fragte ins Publikum: „Seid ihr bereit zu kämpfen?“
Titelbild: Go Nakamura/Redux/laif