Welcome, welcome, alle sprechen einen an. Peace, peace, rufen sie mir zu. Ein kleiner Junge will wissen, ob die weiße Hautfarbe auch wieder abgeht. Die Frau hinter dem Immigrationsschalter kichert. „This is hair?“ Sie deutet auf mein Pony, das unter dem Kopftuch hervorschaut. Sie hat scheinbar noch nie hellbraune, glatte Haare gesehen.
Ankunft am Miniflughafen in der Hauptstadt Hargeisa. Zwei Mitarbeiter werfen das Gepäck durch eine Luke in den einzigen Innenraum. Auf dem Handydisplay erscheint: Kein Netz.
Ein kleiner Junge will wissen, ob die weiße Hautfarbe auch wieder abgeht
Über Schotterwege fahren wir mit Allradantrieb ins staubige, hügelige Stadtzentrum, vorbei an Containersiedlungen und den knallbunt bemalten Fassaden der einstöckigen Flachdachbauten – einige sind vom somalischen Bürgerkrieg, in den Somaliland bis 1991 involviert war, noch immer zerstört. Immer wieder stehen Ziegen mitten auf dem Weg; die Straßen haben selten einen Namen und nie eine Nummer. Wer nicht von hier ist, findet sich nicht zurecht.
Somaliländer wissen nicht, wann sie Geburtstag haben. Viele haben keine Ausweise oder Pässe. Die Einwohnerzahl von 4,5 Millionen ist geschätzt. Es gibt keine internationale Bank im ganzen Land, wenige Importe. Kaum jemand hat je von Somaliland gehört, obwohl das Land an der Grenze zu Äthiopien größer als Griechenland ist. Wobei „Land“ eigentlich schon der falsche Begriff ist, denn Somaliland ist international nicht anerkannt. Die UN befürchten, dass eine offizielle Abspaltung von Somalia blutige Konflikte auslösen könnte. So wie es im Sudan/Südsudan oder in Äthiopien/Eritrea der Fall war.
Im Vergleich zum „Failed State“ Somalia funktioniert in Somaliland tatsächlich einiges sehr gut, vor allem der Frieden. Seit 25 Jahren flammen keine größeren Konflikte mehr auf, während die Dschihadisten-Miliz Al-Shabaab im Süden regelmäßig neue Anschläge verübt. „Somaliland hat es 1991 geschafft, eine parlamentarische Demokratie nach westlichem Vorbild mit traditionellen Gesetzen und Regeln zu verknüpfen – eine einzigartige Regierungsform“, so erklärt sich der Analyst und Politikwissenschaftler Bashir Ali den Frieden.
Parlamentarische Demokratie nach westlichem Vorbild verknüpft mit traditionellen Gesetzen und Regeln
Sie basiert auf einem Zweikammernsystem: Im Parlament sitzen gewählte Vertreter, über die Bürger von Anfang an partizipieren konnten. Im Ältestenrat sitzen Clanführer, die Spannungen zwischen den Clans schlichten konnten. So hat die Regierung Extremismus eingedämmt und eine gewaltfreie politische Umgebung geschaffen. Somaliländer arbeiten stets an ihrer Demokratie – regelmäßig optimieren sie ihre Wahlen. Im November 2017 wird ein neuer Präsident gewählt. Um Doppelanmeldungen zu vermeiden, mussten sich die Wähler mit biometrischen Daten registrieren lassen. Für Menschen mit Behinderungen werden Rampen bereitgestellt; sie bekommen Vortritt in der Warteschlange.
„Obwohl wir de facto unabhängig sind, werden wir mit Somalia gleichgesetzt“, beschweren sich Händler in Downtown, ohne dass man sie danach fragt. „Sie zwingen uns seit 25 Jahren, Somalia zu sein“, sagt Ali Jama Hassan, der in Hargeisa ein Zentrum für Menschen mit Behinderung mit aufgebaut hat, inklusive einer Werkstatt für Prothesen und Rollstühle, die seine Mitarbeiter aus Recyclingmaterialien zusammenschweißen. Sogar aus Dschibuti werden sie geordert. „Die internationale Gemeinschaft schaut nur auf das, was in Somalia schiefläuft, nicht auf das, was bei uns funktioniert“, sagt Ali Jama Hassan.
In Somalia hingegen gab es über zwei Jahrzehnte lang gar keine Regierung. Erst in den letzten Jahren beruhigte sich die Situation etwas, die Al-Shabaab-Milizen mussten Teile ihres Territoriums aufgeben und wurden aus der Hauptstadt Mogadischu zurückgedrängt. Die Wahl des neuen Präsidenten Mohamed Abdullahi Mohamed, „Farmajo“ genannt, trug den Titel „Die längste Wahl der Welt“, weil sie aufgrund von Bestechungen und Drohungen immer wieder verschoben werden musste. Erst nach über vier Monaten, im Februar 2017, konnte sie in einem von Militär bewachten Flughafenhangar abgehalten werden. Es gingen nicht, wie geplant, die Bürger an die Urne, sondern nur die Parlamentsabgeordneten.
Trotz dieser Umstände verbinden viele Somalier große Hoffnungen mit dem neuen Präsidenten, der als transparent und nicht korrupt gilt. Für sie ist diese Wahl ein erster Schritt zur Normalität. Dass im Vorfeld Abgeordnete für Somaliland gewählt wurden, hat eine Twitter-Kampagne ausgelöst. Unter dem Hashtag #educateUNSOM klärten Somaliländer über die Unterschiede zwischen Somalia und Somaliland auf und darüber, was letzteres erreicht hat. „Wir haben ohne ausländische Finanzierung unseren Frieden erreicht“, heißt es in einem Tweet. In einem anderen: „Somaliland ist kein Teil von Somalia und wird es niemals sein, so sagt es unser Präsident.“
Die Wirtschaft wurde mit vergleichsweise wenig Hilfsgeldern aufgebaut und sie wächst
Die Wirtschaft ist mit vergleichsweise wenigen Hilfsgeldern aufgebaut worden, und sie wächst: Die Vereinigten Arabischen Emirate investieren 442 Millionen Dollar in den Hafen in der Küstenstadt Berbera. Auch eine Militärbasis soll entstehen, um Rebellen am Horn von Afrika zu bekämpfen. Die Türkei baut ihre Handelsbeziehungen mit Elektrizität und Lebensmitteln aus.
Allerdings: Auf dem Land hungern nach wie vor viele Menschen, vor allem wegen der immer wiederkehrenden Dürren – wie derzeit. In ganz Somalia sind laut UN fast drei der elf Millionen Menschen akut vom Hunger bedroht. Ziegen und Kamele sind bereits gestorben – ein düsteres Vorzeichen. Vor kurzem meldete die Regierung in Mogadischu die ersten Toten. Im schwer zugänglichen Osten von Somaliland geht es den Menschen am schlechtesten. Afrika, so heißt es beim Welternährungsprogramm, stehe vor der schlimmsten humanitären Krise seit 1945. Und US-Präsident Trump hat angekündigt Auslandshilfen in Höhe von 10 Milliarden Dollar zu kürzen.
Nicht wenige der somaliländischen Familien verdanken ihr Überleben der Diaspora, den geschätzt über 600.000 Somaliländern, die inzwischen in Europa, Nordamerika oder im Nahen Osten leben und von dort jährlich Hunderte Millionen Dollar in die Heimat schicken. Manche von den Ausgewanderten kehren auch von Zeit zu Zeit nach Somaliland zurück und kümmern sich vor Ort.
Langer weißer Sandstrand mit Korallenriffen in glasklarem Wasser, Sonne das ganze Jahr. Einen „Lonely Planet“ gibt es bereits – aber bisher kaum Touristen
Zum Beispiel die in Finnland lebenden Journalisten Wali Hashi und Mohamed Hassan Hirsi, die einmal im Jahr in Somaliland Journalistentrainings abhalten. „Wir wollen dabei helfen, eine lebhafte Zivilgesellschaft aufzubauen und Somaliland bekannter zu machen“, sagt Wali Hashi. Deshalb drehen sie dieses Mal auch einen Film – über den schwedischen Rentner Ulf, der in Somaliland Urlaub macht. Er ist einer von nur zwei Touristen, die zurzeit des Drehs in dem bekanntesten Hotel der Stadt, dem Oriental, abgestiegen sind. Die Finnen begleiten Ulf auch nach Laas Geel, der einzigen bekannteren Sehenswürdigkeit des Landes: einigen mindestens 5.000 Jahre alten Höhlenmalereien, die wohl der lokalen Bevölkerung bekannt waren, aber erst 2002 von einem französischen Archäologenteam entdeckt worden sind.
Ja, Somaliland hat ein gewisses touristisches Potenzial. Vor der Küstenstadt Berbera liegt ein ewig langer weißer Sandstrand mit Korallenriffen in glasklarem Wasser. Sonne das ganze Jahr. Einen „Lonely Planet“-Reiseführer gibt es bereits, trotzdem verirren sich selten Abenteuerlustige hierher. Diverse Länder, auch Deutschland, warnen vor einer Reise nach Somaliland. Seit dem Mord an drei Sozialarbeitern 2003 in der somalischen Hauptstadt Mogadischu – 20 Stunden Autofahrt entfernt hat sie mit Somaliland eigentlich nichts zu tun – dürfen Ausländer sich außerhalb der Stadt nur mit bewaffneter Eskorte fortbewegen. Dazu kommt, dass es wenig Service für Touristen gibt, angefangen bei der Essensauswahl: In fast allen Restaurants kann man nur Fisch, Fleisch, Spaghetti oder Reis bestellen.
Khat hingegen gibt es im Überfluss. Die schwarzen Zähne verraten, wer die berauschenden Blätter konsumiert. Am späten Nachmittag werden Lastwagen voller frischer Zweige aus Äthiopien abgeladen. Dann stehen Männer Schlange an den grün bemalten Marktständen. Laut Schätzungen konsumieren drei von vier Somaliländern den bitteren Drogensaft, er ist legal, jeder kann ihn überall für ein paar US-Dollar kaufen. Zu viel von ihm macht depressiv, aggressiv, löst Mundkrebs aus. Doch keiner ist interessiert daran, den Einfluss einzudämmen, weil anscheinend alle mitprofitieren: Der wichtige Handelspartner Äthiopien freut sich über saftige Einnahmen, die Männer betäuben sich, die Frauen verdienen damit Geld am Markt. Etwa zwei von drei Frauen seien die Brotverdiener der Familien, schätzt Nafisa Yusuf, die Geschäftsführerin von Nagaad, dem größten Frauenverband Somalilands. Für die Parlamentarierin Baar Saeed Farah ist Khat nach der fehlenden internationalen Anerkennung das zweitgrößte Problem des Landes.
Die Droge Khat gibt es im Überfluss – und leider auch viele andere Probleme
Und es kommen weitere hinzu: Psychisch Kranke werden für „huali“ erklärt, also als verrückt abgestempelt. Manche werden angekettet, sogar in Krankenhäusern ist das noch üblich. „Sie gelten traditionell als unheilbar“, erzählt ein Mitarbeiter von Handicap International, der Ärzte, Krankenschwestern und Angehörige in Workshops sensibilisiert. Auch Genitalverstümmelung ist flächendeckender qualvoller Alltag. Fast alle Mädchen im Alter zwischen fünf und zehn Jahren werden beschnitten und zugenäht – meist ohne Betäubung und mit schmerzhaften Folgen für das ganze Leben. Kaum jemand stellt sich in dem zu 100 Prozent muslimischen Land gegen kulturelle Rituale. Frauen tragen fromm den Hidschab und gebären durchschnittlich knapp sechs Kinder.
Immerhin haben es heimische Frauenorganisationen wie Nagaad mit ihrer jahrzehntelangen Kampagnenarbeit geschafft, einige Imame davon zu überzeugen, sich öffentlich gegen die Beschneidung auszusprechen. Und sie haben Bildung für Frauen erkämpft. Fast 50 Prozent der Studenten in Somaliland sind weiblich – das sah vor 25 Jahren noch anders aus. Überhaupt: Schulen sind kostenlos, wenn auch unterfinanziert, wie UNICEF kritisiert. Doch es sind zu viele Leute für einen winzigen Arbeitsmarkt. Einige schaffen es, im Ausland eine Karriere zu starten. Die meisten würden lieber bleiben und ihr Land weiter aufbauen, wie die Studentin Asha, 28: „Ich möchte dabei helfen, dass wir endlich unabhängig werden.“