Es ist egal, wer heute in Iran die Wahl gewinnt? Eh alles nur Show? Stimmt nicht. Zwar herrscht in dem Land eine Theokratie, ein islamischer Gottesstaat, in dem ein Teil der politischen Institutionen nicht vom Volk gewählt wird – darunter der religiöse Führer als mächtigster Mann im Staat. Aber es gibt auch demokratische Elemente. Die offizielle Nummer zwei, den Präsidenten, dürfen die Iraner*innen – mit Abstrichen – selbst bestimmen und damit über die zukünftige Richtung des Landes entscheiden: Soll sich der Iran weiter öffnen oder sich wieder zurückziehen?
Von über 1.600 Kandidatinnen und Kandidaten, die sich für die Präsidentenwahl beworben hatten (tatsächlich waren nur 137 weiblich), ließ der mächtige Wächterrat sechs Männer zu. Expräsident Mahmud Ahmadinedschad durfte nicht noch einmal antreten. Inzwischen haben sich mehrere Kandidaten zurückgezogen, um einen anderen zu unterstützen. So kommt es de facto zu einem Zweikampf zwischen Amtsinhaber Hassan Rohani, 68, und dem konservativen Geistlichen Ebrahim Raisi, 56. Die Wahl gilt auch als Abstimmung über das Atomabkommen vom Juli 2015, für das Rohani jahrelang gekämpft hatte: Iran sagte zu, nur noch unter strengen Beschränkungen Uran anzureichern. Der Westen – der das Ziel hatte, eine iranische Atombombe zu verhindern – hob im Gegenzug Wirtschaftssanktionen auf.
Die Präsidentschaftswahl findet zum zwölften Mal seit der Islamischen Revolution 1979 statt. Seit dieser Zäsur hat sich die Gesellschaft stark gewandelt: Anfang der Achtziger zum Beispiel bekamen die Iranerinnen im Schnitt knapp sechs Kinder, heute nicht einmal mehr zwei. Bemerkenswert ist auch, wie jung die Bevölkerung ist: Etwa die Hälfte der Iraner*innen ist unter 30.
Fünf junge Iraner*innen haben uns verraten, welchen Präsidentschaftskandidaten sie heute wählen werden und was sie sich von ihm erhoffen:
„Mehr Handelsbeziehungen mit dem Ausland – das wäre schon toll!“
Milad* ist 26 und kommt aus Isfahan. Momentan schreibt er an seiner Masterarbeit
Ich bin noch nicht ganz sicher, aber höchstwahrscheinlich werde ich für den jetzigen Präsidenten Hassan Rohani stimmen. Wenn ich mir anhöre, was die anderen Kandidaten so von sich geben, bleibt mir auch gar nichts anderes übrig: Ich kaufe ihnen nicht einmal die Hälfte ihrer Wahlversprechen ab. Dass Rohani nichts als die Wahrheit sagt, glaube ich natürlich auch nicht. Aber ich vertraue ihm mehr als den anderen. Vor allem hoffe ich, dass durch seine Bemühungen die iranische Wirtschaft wächst. Mehr Handelsbeziehungen mit dem Ausland – das wäre schon toll! Wir Studenten hätten dadurch vielleicht auch ein wenig bessere Karrierechancen als momentan. Allerdings befürchte ich, dass auch der Geistliche Ebrahim Raisi gute Chancen hat. Immerhin ist er ein enger Vertrauter des politischen und religiösen Führers Ali Chamenei und hat nicht nur viel Geld zur Verfügung, sondern auch viele Unterstützer. Davon abgesehen, dass der von Chamenei eingesetzte Wächterrat entscheidet, welche Bewerber antreten dürfen und welche nicht, schätze ich die Wahl aber schon als demokratisch ein. Zumindest zu 95 Prozent oder so.
Dina*, 30, ist Universitätsdozentin in Teheran
Für mich ist Religion sehr wichtig, denn ohne Glauben gibt es kein gesundes Leben. Genauso wichtig ist mir meine Familie: Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Aus diesen persönlichen Gründen werde ich für Raisi stimmen. Ich vertraue ihm. Er ist ein sehr ruhiger Mann, der auch die Rolle der Frauen genau im Blick hat – und zwar auf zwei Ebenen: in der Familie und in der Gesellschaft. Er wird dafür sorgen, dass Mütter mehr unterstützt werden. Frauen sollen leichter von zu Hause aus arbeiten können, Stichwort Telearbeit. Und auf dem Land und in den entlegenen Gebieten sollen die Gesundheitsversorgung verbessert und mehr Jobs für Mütter geschaffen werden. Raisi wäre ein sehr guter Präsident, denn er hat auch das Vertrauen des religiösen Führers Ali Chamenei. Manche sagen sogar, dass er sein Nachfolger wird. Das ist doch das Wichtigste: dass alles koordiniert abläuft im Land und es kein Chaos gibt.
„Das ist doch das Wichtigste: dass alles koordiniert abläuft im Land und es kein Chaos gibt“
„Die TV-Konfrontationen werden live übertragen und erlauben, freiheraus seine Meinung zu sagen – eine absolute Besonderheit im Iran!“
Seit vier Monaten lebt Shirin* an der US-amerikanischen Ostküste und forscht für ihre Doktorarbeit
Auch wenn ich den Wahlkampf nur aus der Ferne miterlebe, habe ich das Gefühl, hautnah dabei zu sein: Meine Freunde schicken mir Links zu viel diskutierten Artikeln, ich skype täglich mit meiner Familie und bin in mehreren Telegram-Gruppen [Anm.: Telegram ist ein verschlüsselter, im Iran besonders populärer Messengerdienst]. Da debattieren schon mal 4.000 User gemeinsam über die neuesten Statements der Kandidaten! Natürlich ist auch viel Spam und Sinnloses dabei, aber ich finde es schön zu sehen, wie viele Menschen sich aktiv an der Diskussion beteiligen. Vor allem während der TV-Debatten geht es richtig ab: Die Konfrontationen werden live übertragen und erlauben, freiheraus seine Meinung zu sagen – eine absolute Besonderheit im Iran, wo sogar Sportübertragungen live zensiert werden! Während die meisten Kandidaten diese Chance dafür nutzten, sich gegenseitig zu beschimpfen, stellte unser Präsident Hassan Rohani seine Pläne für die Zukunft Irans vor: Er will das Land stabilisieren, weiter öffnen und modernisieren. Ich denke, es lohnt sich, ihn noch weitere vier Jahre im Amt zu haben. Die anderen Kandidaten kommen für mich überhaupt nicht infrage. Allein schon deshalb, weil ich gläubig bin und nicht mit ansehen kann, wie sie den Islam dafür missbrauchen, ihre eigene Agenda zu legitimieren.
Amir*, 31, lebt in Teheran und war bis vor Kurzem Staatsbediensteter. Er arbeitete bei einer Jugendbehörde
Ich werde für Ebrahim Raisi stimmen, weil er ein guter Mann ist. Er ist der Hüter des Heiligen Schreins in Maschhad, deshalb mögen ihn auch so viele, weil er sich dort um das Andenken an Imam Reza kümmert, den achten schiitischen Imam. Die Leute stimmen für Raisi, weil sie wollen, dass der Islam wichtig bleibt in Iran. Außerdem wird er endlich Jobs schaffen, er tut jetzt schon viel für die Armen. Mir ist aufgefallen, dass er bei den Fernsehdebatten viel höflicher war als die anderen Kandidaten. Was hat die Rohani-Regierung überhaupt erreicht? Den Atomdeal mit dem Westen, sicher. Aber wollen wir wirklich eine Puppe der USA sein? Der Atomdeal, so hat es Raisi gesagt, ist wie ein Scheck, den die Regierung nicht eingelöst hat – die dadurch versprochenen Verbesserungen sind noch nicht bei uns Bürgern angekommen. Und die Freiheiten, von denen Rohani spricht, können leider leicht in die falsche Richtung gehen. Es ist nicht richtig, dass die Leute Wein trinken und Jungs und Mädchen zusammen auf Konzerten tanzen. Und Frauen haben sich zu bedecken, daran dürfen wir nicht rütteln.
„Es ist nicht richtig, dass die Leute Wein trinken und Jungs und Mädchen zusammen auf Konzerten tanzen“
„Wir werden nicht zulassen, dass noch einmal jemand wie Ahmadinedschad durch eine Wahl an die Macht kommt“
Anahita*, 26, wohnt im Süden Irans. Sie hat in Indien studiert und will möglichst bald wieder ins Ausland. Noch fünf Monate pauken, so hofft sie, und ihr Sprachniveau könnte hoch genug sein, um sich auf einen Studienplatz in Deutschland zu bewerben
Eigentlich wollte ich nicht wählen gehen. Ich halte von dem politischen System im Iran nämlich überhaupt nichts. Mit ansehen, wie der konservative Hardliner Ebrahim Raisi gewinnt – ein Mann, der viel zu viele Gemeinsamkeiten mit unserem früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad hat –, kann ich aber auch nicht. Deshalb stimme ich für Rohani. Als ich vor sieben Jahren zum Studieren nach Indien gegangen bin, regierte Ahmadinedschad unser Land. Fünf Jahre später kam ich zurück und war erstaunt: Unter Rohani wurde der Iran zu einem viel offeneren Land, einem, in dem ich das Internet freier nutzen kann, mein Kopftuch nicht so streng sitzen muss und es meiner Meinung nach auch ein halbwegs gutes Gesundheitssystem gibt. Raisi würde einen Rückschritt bedeuten: Er ist gegen politische Reformen und eine weitere Öffnung des Irans. Viele Leute, besonders Studenten, sind deshalb gegen ihn. Ein bisschen erinnert mich die Situation an die Grüne Bewegung im Sommer 2009: Damals protestierten Millionen Iraner, auch viele meiner Freunde, gegen die Wiederwahl von Ahmadinedschad. Leider waren sie nicht erfolgreich. Viele Menschen wurden getötet oder sitzen bis heute im Gefängnis. Ich glaube aber nicht, dass es wieder so weit kommt – wir werden nicht zulassen, dass noch einmal jemand wie Ahmadinedschad durch eine Wahl an die Macht kommt.
* Zwar wären fast alle Gesprächspartner bereit gewesen, ihr Protokoll unter Echtnamen zu veröffentlichen. Weil man im Iran aber für manches, was darin zu lesen ist, großen Ärger bekommen kann, haben wir uns dazu entschieden, alle Namen zu ändern.
Titelbild: Ali Mohammadi/UPI/laif