Worum geht’s?
Um die 16-jährige Mifti (Jasna Fritzi Bauer), die seit dem Tod ihrer Mutter mit ihren zwei Halbgeschwistern Annika und Edmond in Berlin zusammenwohnt. Ihr reicher intellektueller Vater interessiert sich mehr für Kunst als für seine Kinder. So lässt sich Mifti durch Berlin treiben – einsam, ziellos und unangepasst. Anstatt zur Schule geht sie ins Berghain, konsumiert mit ihrer besten Freundin Ophelia (Mavie Hörbiger) alle Arten von Drogen und hat wahllos Sex mit Menschen, die ihr über den Weg laufen. Nur für Alice – eine Frau um die 40 (Arly Jover), mit der Mifti eine Affäre eingeht – entwickelt sie Gefühle.
Und was soll uns das sagen?
Letztlich geht es um Deutungshoheit. Die sucht Mifti mit ihrem selbstzerstörerischen Lebenstil, aber auch Helene Hegemann, heute 25, die ihr autobiografisches Buch „Axolotl Roadkill” verfilmt hat. Das wurde 2010 von der Literaturkritik erst zur Sensation hochgejubelt, dann aber, als zahlreiche Plagiatsvorwürfe auftauchten, wüst zerrissen. Ist das dreistes Abschreiben – oder eine neue Form von literarischem Sampling? Über diese Frage wird heute noch diskutiert. Genau wie über Hegemann.
Wie wird’s erzählt?
Assoziativ und experimentell. In manchen Momenten ist man sich nicht sicher, ob das gerade Geschehene wirklich passiert ist oder ob Mifti geträumt hat. Die Gedankenverknüpfungen machen Spaß und erinnern an Videokunst. Jedoch hangelt man sich hier in Spielfilmlänge von Szene zu Szene, ohne dass wirklich was passiert. Einmal läuft ein Pinguin durch die Wohnung. Ein anderes Mal dreht sich die Kamera und wir sehen die Regisseurin Helene Hegemann im Regiestuhl sitzen. Ein nächstes Mal tanzt ein kleines Mädchen mit unglaublichen Dubstep-Skills. Alles schön anzuschauen – ohne Frage –, aber so plätschern die 90 Minuten vor sich hin, und alle Charaktere des Films bleiben Kunstfiguren. Meist gut gekleidet, leicht entrückt und traumverloren – jedoch ohne die spannungsreiche Tiefe, die Figuren letztendlich interessant macht.
Good Job!
Herausragend ist der Look des Films. Die Kulissen sind perfekt inszeniert – von der im Shabby-Chic drapierten Altbauwohnung der Geschwister über teure Hotelsuiten, in denen sich Mifti mit Alice zum Sex trifft, bis zum sakral erleuchteten Schlafzimmer von Ophelia während eines Heroin-Trips. Mitreißend sind auch die Choreografien während der Clubbesuche, wenn die zuckenden Körper im Stroboskop-Licht aufleuchten. Licht, Kamera, Kulisse und ein sehr starker Soundtrack stimmen sich perfekt aufeinander ab. Immer mit dabei: Gil Scott-Heron mit seinem Lied „Me and the Devil“, das mehrfach im Film zu hören ist.
Beste Nebenrolle
Der Komiker Oliver Polak als etwas zerknautschter und wohl nicht wirklich erfolgreicher Gangster und Tierhändler, der seinen Papagei „White Hitler“ nennt. Er stellt Mifti sein Lieblingstier vor – den titelgebenden Axolotl. Ein durchscheinender Lurch, der nie erwachsen wird und über Superkräfte zu verfügen scheint: „Trennt man ihm etwas von seinem Körper ab, dann wächst es nach. So Siegfried&Roy-mäßig. Wirklich das allerbeste Tier!“ Klar, dass diese nackte Kreatur Miftis Wappentier wird.
Beste Szene
Nach einer Party über mehrere Tage/Nächte/Orte stolpert Mifti mit ihrer besten Freundin Ophelia und deren wesentlich älterem Liebhaber aus einem Club. Der mit Seidenschal gekleidete Schnösel versucht ein Selfie von sich hochzuladen, stellt fest: „Facebook geht hier nicht. Wir müssen zum Funkturm fahren.“ Schnitt. Die drei laufen über eine Brache am Funkturm. Mit zwei Alpakas.
Geht gar nicht
Viele Dialoge nerven. Typisch etwa dieser hier, der während einer Zusammenkunft der Familie stattfindet:
Mifti (in die Runde): „Gibt es einen Grund für dieses Treffen hier?“
Vater: „Wir machen uns Sorgen um dich!“
Mifti: „Ihr Versager.“ (zischt ab)
…
(Kommt zurück) „Ich nehm mir jetzt noch ein Stück Käse und dann verpiss ich mich hier!“
Fun Fact
Die Berghain-Szenen wurden im Tresor gedreht.
Ideal für …
… alle, die schon immer wissen wollten, wie sich eine exzessive Jugend zwischen Antidepressiva und Wohlstandsverwahrlosung in Berlin anfühlt.
„Axolotl Overkill“, D 2017. Buch und Regie: Helene Hegemann, mit: Jasna Fritzi Bauer, Mavie Hörbiger, Laura Tonke, Julius Feldmeier. 94 Minuten
Foto: Constantin