Eigentlich sind Wahlen eine Chance, mitzugestalten, wie es in einem Land weitergeht. Von den am Sonntag zur Wahl stehenden Optionen sind viele junge Italienerinnen und Italiener aber wenig angetan. Sie fühlen sich von den Parteien weder verstanden noch unterstützt und sind genervt von den häufigen Regierungswechseln – alleine in der aktuellen Legislaturperiode waren es drei. Die europäische Schuldenkrise hat in Italien vor allem eines hinterlassen: eine extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit. Das Nationale Institut für Statistik (Istat) stellte im Dezember vergangenen Jahres fest, dass 32,2 Prozent der 15- bis 24-Jährigen, die nicht mehr zur Schule oder Uni gehen, arbeitslos sind.
32,2 Prozent der 15- bis 24-Jährigen, die nicht mehr zur Schule oder Uni gehen, sind arbeitslos
Wie in vielen anderen europäischen Ländern entlädt sich auch in Italien der Frust über die eigene Situation unter anderem an Geflüchteten, die versuchen, im Land eine neue Heimat zu finden. Neofaschismus und Rechtsradikalismus sind Themen, denen sich alle Kandidaten im Wahlkampf stellen müssen. Manche nutzen sie, um Wähler für sich zu mobilisieren.
Die konservative „Forza Italia“, die rechtspopulistische „Lega“ und die nationalistische Partei „Fratelli d’Italia“ (Brüder Italiens) haben sich zu einem losen Bündnis zusammengetan – angeführt vom ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Der 81-Jährige darf zwar aufgrund seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung kein öffentliches Amt bekleiden. Eine entscheidende politische Rolle spielt er aber trotzdem.
Gute Chancen, die Wahl zu gewinnen, werden außerdem der europakritischen Fünf-Sterne-Bewegung eingeräumt. Auch sie wird aber einen Koalitionspartner brauchen. Wer das sein könnte, ist noch offen. „Wir werden die passenden Entscheidungen am Tag nach der Wahl treffen“, sagte der Komiker Beppe Grillo, Gründer der Partei, der Deutschen Presse-Agentur.
Die linken Parteien sind in Lager zersplittert. Aus Matteo Renzis Mitte-Links-Bündnis „Partito Democratico (PD)“, das bisher regierte, sind Mitglieder ausgetreten und haben eine eigene Partei gegründet: „Frei und Gleich (Liberi e Uguali)“. Sie ist weiter links angesiedelt als die Partito Democratico, will sich auf den Arbeitsmarkt konzentrieren und Arbeitsmarktreformen rückgängig machen.
Wir haben uns in Mailand umgehört: Was erhoffen sich junge Leute von den Kandidaten? Und welche Veränderungen wünschen sie sich für ihr Land?
Dario, 25, studiert Statistik
Weil ich gerade sehr viel für mein Studium machen muss, habe ich mich erst in den letzten Tagen näher mit den aktuellen politischen Fragen und den Parteiprogrammen beschäftigt. Ich war mir aber schon vorher ziemlich sicher, wen ich wählen werde. Die Demokratische Partei ist für mich die am wenigsten schlechte Option. Mir graut vor der Vorstellung, dass Matteo Salvini von der Lega eine tragende Rolle in der Regierung spielen könnte. Die Fünf-Sterne-Bewegung mag ich auch nicht, vor allem wegen ihrer unklaren Haltung gegenüber eingetragenen Partnerschaften. Was die Einwanderungsthematik betrifft, bin ich zwiegespalten. Das belastet mich. Auf der einen Seite stimme ich denen zu, die sagen, dass wir nicht alle Menschen unterbringen können. Illegale Einwanderung zu stoppen ist meiner Meinung nach auch eine Möglichkeit, gegen Schlepper vorzugehen. Auf der anderen Seite weiß ich auch, dass wir einem globalen Phänomen gegenüberstehen. Es lässt sich nur gemeinsam lösen.
Alessandra, 23, studiert Fremdsprachen
Ich werde für die Lega stimmen, wegen ihrer Vorschläge im Bereich Sicherheit. In letzter Zeit häufen sich die Einbrüche in der Stadt, in der ich lebe. Bei mir zu Hause waren wir gezwungen, Gitterstäbe an die Fenster zu montieren. Die Bürger haben Angst. Ich lebe in Legnano, einer Stadt mit 60.000 Einwohnern, rund 30 Kilometer von Mailand entfernt. Aber ich empfinde dieses Gefühl der Unsicherheit auch in Mailand, und ich denke, es hängt alles mit der unkontrollierten Einwanderung zusammen. Natürlich sind nicht alle Kriminellen Einwanderer, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das Leben in Italien vor fünf oder sechs Jahren sicherer war. Ich gehe davon aus, dass Salvini und die Lega etwas tun werden, um die Situation zu verbessern.
Nicolò, 26, ist Optiker
Meiner Meinung nach ist die politische Elite unser größtes Problem. Sie hat sich immer nur um ihre eigenen Interessen gekümmert. Für mich steht deshalb ganz klar fest, dass ich nicht die alten Parteien wählen werde. Ich möchte mich nicht weitere fünf Jahre ekeln. Ein System, das nicht funktioniert, muss eines tun: alles löschen und neu starten. Deshalb werde ich wahrscheinlich für die Fünf-Sterne-Bewegung stimmen. Ich habe das Glück, eine Arbeit gefunden zu haben. Es ist zwar nicht mein Traumjob, aber wenn ich mir die Jugendarbeitslosigkeit so ansehe, schätze ich mich sehr glücklich. Was Einwanderung betrifft, glaube ich, dass wir – die Italiener – das Problem sind. Ich will kein Comeback des Faschismus. Ich würde es nicht ertragen, dass sich hier Rassismus ausbreitet. Wenn Berlusconi und Matteo Salvini gewinnen werden, überlege ich mir auszuwandern. Kein Witz!
Beatrice, 23, studiert Recht
Ich wähle 100-prozentig Mitte-Rechts. Aber ich bin noch ein wenig unentschlossen, welche Partei genau. Einige Standpunkte der Lega sind für mich wirklich unerträglich, zum Beispiel ihre Abneigung gegenüber obligatorischen Impfungen. Wenn wir die Zahlen und Statistiken zu Infektionskrankheiten anschauen, sind sie ganz einfach notwendig. Also werde ich Forza Italia wählen. Was ich über Silvio Berlusconi denke? Er ist alt und nicht mehr als ein Aushängeschild. Er kann ja nicht selbst antreten. Ich stimme nicht seinetwegen für Forza Italia. Ich glaube, dass Einwanderung ein echtes Problem ist, vor allem, wenn es darum geht, wie sicher wir uns fühlen.
Alessandro, 25, arbeitet im Finanzwesen
Ich bin enttäuscht vom System und vom allgemeinen Tonfall in den Wahlkampagnen, deren Niveau Tag für Tag sinkt. Ich habe mich noch nicht entschieden, werde aber wohl das kleinste Übel wählen. Es gibt eine politische Partei, die ich zumindest nicht ablehne: „+Europa“, angeführt von Emma Bonino. Aber finde nicht gut, dass sie sich dafür entschieden hat, eine Koalition mit Matteo Renzis Demokratischer Partei einzugehen. Meiner Meinung nach wäre es viel besser, wenn sie alleine angetreten wäre. Ich mag ihre starken und mutigen Kämpfe für Bürgerrechte und dass sie in ihren Aussagen so konkret ist. Und sie verspricht keine utopischen Dinge – im Gegensatz zu den meisten anderen Kandidaten.
Aus dem Englischen übersetzt