Werkstätten für Menschen mit Behinderung haben nicht das beste Image: Trostlose Orte, an denen schlichte repetitive Tätigkeiten verübt werden, sagen manche. Abschiebeorte für Menschen, für die die Leistungsgesellschaft keine Verwendung findet. Deswegen veranstalten die Berliner Werkstätten am 12. Oktober den „Schichtwechsel“: Einen Tag lang tauschen die Werkstätten-Mitarbeiter*innen den Arbeitsplatz mit Menschen aus dem ersten Arbeitsmarkt, die dann erfahren sollen, wie vielfältig die Werkstätten in Wahrheit sind. Beworben und begleitet wird die Aktion mit einer Online-Kampagne.
Die Schichtwechsel-Idee kommt von Wigwam, einer Kommunikationsagentur aus Berlin, deren Büro auf den ersten Blick aussieht wie das einer beliebigen Berliner Werbeagentur: eine Fabriketage mit weiß gestrichenen Wänden, an den meisten Arbeitsplätzen Apple-Rechner und im Konferenzraum Einhornbilder. Aber in der Zeitschriftenecke liegen neben der obligatorischen „brand eins“ auch der „Atlas der Globalisierung“ und das Magazin „enorm“, das sich mit nachhaltigem Wirtschaften beschäftigt. In der Agenturküche weisen eine Kiste mit Biogemüse aus dem Umland und das Schild „We filter coffee, not people“ auf den Versuch eines alternativen Denkens hin.
„Wir leisten Gesellschaft“, sagt die Agentur von sich
Auf der Wigwam-Webseite ist die Botschaft deutlicher: „Wigwam macht Organisationsberatung. Aber nur für das Gute“ steht groß dort und: „Wir leisten Gesellschaft“. Man will „interessiert und weltoffen, idealistisch und zupackend“ sein.
Angefangen hat Wigwam 2009 als Social-Media-Beratung für NGOs, inzwischen gehören zum Portfolio längst auch ganze Kampagnen und die Begleitung von Transformationsprozessen. Rund 20 Festangestellte und viele Freie arbeiten parallel an Dutzenden Projekten, auf der Kundenliste stehen Terre des Hommes, der NABU, die Caritas, aber auch kleinere NGOs wie Pro Wildlife oder MitOst. Eines der größten Projekte bisher war die Landtagswahl-Kampagne für die Grünen in Baden-Württemberg 2016. Von der Prozessstrukturierung auf den Themenparteitagen, wo die grüne Basis festgelegt hat, mit welchen Themen sie in den Wahlkampf gehen will, bis hin zur Beklebung des Wahlkampfautos von Ministerpräsident Winfried Kretschmann war Wigwam dabei.
Ist Winfried Kretschmann einer von den Guten? Selbst innerhalb der grünen Partei würden einige Menschen das anders sehen. Und ist die Entscheidung, was „das Gute“ ist und, im Umkehrschluss, was nicht dazugehört, nicht ein wenig anmaßend? „Letztlich steht diese Frage hinter jeder Kundenanfrage, die wir bekommen. Sind das die Guten? Und wenn ja: Können wir ihnen gut helfen?“, sagt Malte Hein. Der 32-Jährige stieg Ende 2011 als Designpraktikant bei Wigwam ein, war bis vor kurzem im Vorstand und ist aktuell zuständig für die Personalentwicklung.
Was gut ist, das entscheidet das Team, jedes Mal aufs Neue
Was gut ist, das entscheidet das Team, jedes Mal aufs Neue. Zunächst werden potenzielle Neukunden in der wöchentlichen Projektmanagementrunde vorgestellt, bei unvereinbaren Positionen wird das gesamte Team miteinbezogen – dann sollen Fürsprecher und Gegner aber bitte auch Argumente vorlegen. Dabei gibt es keine Schablone, wo die Agentur sagt: Kunden aus diesem Bereich nie. Oder immer. „Bei einigen NGOs ist es auch schon vorgekommen, dass wir deren Projektarbeit okay fanden, sie aber beispielsweise mit Hegemonialbildern gespielt haben, die Geschichte vom ‚weißen guten Mann‘ und dem hungernden schwarzen Kind“, sagt Hein: „Das ist keine Welt, die wir mit unserer Arbeit promoten wollen.“
Das ist kein Alleinstellungsmerkmal; auch andere Agenturen haben Profile und suchen sich genau aus, mit wem sie arbeiten wollen. Besonders ist aber die Selbstvermarktung als jene, die für die „Guten“ arbeiten.
Besteht ein Thema die kritisch-diskursive Überprüfung, geht es an die Arbeit. Neben den klassischen Formen der Werbung mit Anzeigen und Werbebannern gehört dazu ganz konkret das „Campaigning“: Hier geht es darum, Menschen zu einem bestimmten Thema zu informieren und punktgenau zu mobilisieren. Am Ziel steht meist ein sogenannter „Call to Action“: Unterschreiben Sie diese Petition, um jenen EU-Abgeordneten zum Abstimmen zu bringen. Oder: Wir wollen x-tausend Leute für die Stop-TTIP-Demo auf die Straße bringen, um zu zeigen, dass die Bevölkerung dagegen ist. Oder eben: Tauschen Sie am 12. Oktober für einen Tag den Arbeitsplatz und gehen Sie in die Werkstätten für Behinderte.
Auch hier gilt: Kurze plakative Botschaften dringen besser durch
„Letzten Endes geht es im Campaigning darum, relativ komplexe Themen auf einen Knackpunkt runterzureduzieren“, sagt Malte Hein. Denn kurze, plakative Botschaften dringen besser durch. Aber bleibt dabei nicht oft ein Teil der Wahrheit auf der Strecke?
Das Problem ist dabei auch die kommunikative Übersättigung. Vor allem in den sozialen Medien herrscht Dauerfeuer: hier was unterschreiben, da was liken und schnell noch die Teilnahme an irgendeiner virtuellen Demo erklären. Wer auf diesem Aufmerksamkeitsmarkt gehört werden will, muss sich der gleichen Spielregeln bedienen wie alle anderen – selbst wenn kommerziell orientierte Unternehmen oder zum Beispiel auch populistische Parteien dabei zuweilen skrupellosere Mittel nutzen können.
„Dazu kommt, dass fast alle Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten, ungefähr dieselben Leute erreichen wollen“, sagt auch Malte Hein: „Nämlich spendenwillige, politisch interessierte Menschen, die ohnehin nah an den Themen der Organisation dran sind.“ Denn es geht auch den NGOs darum, dass die Mitarbeitenden bezahlt werden, die Arbeit weitergehen und die Organisation selbst bestehen bleiben kann. Gerade für NGOs ist das Werben um Geld besonders wichtig, weil die wenigsten selbst welches erwirtschaften. Es geht also um Fundraising, effiziente Mittelbeschaffung; seien es Projektgelder oder Spenden von Privatpersonen.
Laut Spendenrat ist seit den Nullerjahren das Gesamtspendenvolumen in Deutschland nur wenig gestiegen, die Anzahl der NGOs weltweit hingegen hat sich etwa verdoppelt. Die Konkurrenz ist also sehr groß, und das wiederum führt dazu, dass immer mehr Organisationen dieselben Mechanismen und Werkzeuge nutzen, die es auch auf dem Markt der Profitwirtschaft gibt. Etwa Facebook-Anzeigen, auch wenn sie wissen, dass Facebook in Sachen Datenschutz nun wirklich nicht zu den Guten gehört. „Es ist das Medium, wo alle anderen auch unterwegs sind und ihre Klicks bekommen, deswegen wollen das dann viele“, so Hein.
Auch Agenturen, die Gutes tun wollen, müssen Geld verdienen
Ein weiterer Widerspruch: Auch Agenturen, die für die Zivilgesellschaft arbeiten, sind Wirtschaftsunternehmen. Je besser Agenturen wie Wigwam sich bezahlen lassen, desto weniger Geld haben die NGOs für ihre eigentliche Arbeit. Gleichzeitig müssen die Agenturmitarbeiter*innen natürlich auch was verdienen und am besten ihre Leute auch gut bezahlen – sonst werden die besten von normalen Werbeagenturen abgeworben.
„Grundsätzlich haben wir mit dieser Mechanik auch wenig Gewissenskonflikte“, sagt Malte Hein. „Wir sehen es nicht so, dass wir denen Geld wegnehmen, das sie woanders sinnvoller einsetzen – sondern dass wir mit ihnen zusammen dafür sorgen, dass sie danach mehr Geld für ihre Projekte haben.“ Oft würden Organisationen ohnehin mit schon beschlossenen Budgets an Wigwam herantreten.
Was die eigene Bezahlung angeht, kriegen die Wigwam-Mitarbeiter*innen gemessen an anderen Agenturen aber tatsächlich weniger raus. „Da bewegen wir uns dann im Bereich ‚Neues Arbeiten‘“, nennt Malte Hein das, was andere als (Selbst-)Ausbeutung bezeichnen würden: „Wie sehr ist man bereit, finanzielle Abstriche hinzunehmen – um im Gegenzug etwas zu tun, mit dem man sich wirklich identifizieren kann und das man auch für sinnvoll hält?“